In Ursuppen-Simulations-Experimenten (siehe „Ursuppen-Simulationsexperimente") bildet sich eine Vielzahl von Verbindungen. Abb. 118 gibt Informationen über die Zusammensetzung der Reaktionsprodukte wieder. Wie im Artikel „Ursuppen-Simulationsexperimente" erwähnt, können die Reaktionsprodukte erst nach chemischer Aufarbeitung analysiert werden. Es zeigt sich, dass zwar auch Aminosäuren gebildet werden, daneben aber in viel größerer Menge andere Reaktionsprodukte, darunter viele, die weitere nachfolgende Reaktionsschritte verhindern.
Der Kohlenstoff, als Methan eingesetzt, wird nur eine geringe Menge in identifizierte Produkte umgesetzt (geringe Ausbeute). Je komplexer die Moleküle werden, d.h. je höher die Zahl der C-Atome ist und je mehr Atome unterschiedlicher Elemente sie enthalten, desto geringer wird die Konzentration der jeweiligen Komponente im Produktgemisch. Ein solches Resultat deckt sich mit den theoretischen Erwartungen für Reaktionen unter unspezifischen Bedingungen. „Unspezifisch" heißt, dass keine speziellen, auf chemischer Erfahrung beruhende Bedingungen wie ein ausgeklügelter Versuchsaufbau angewendet werden. In präbiotischen Situationen können solche spezifischen Randbedingungen ja nicht vorausgesetzt werden.
Die Analyse der Reaktionsprodukte ergab, dass die Monokarbonsäuren (in Abb. 119A sind zwei abgebildet) überwiegen. Durch weitere Simulationsversuche konnten bis heute die meisten – aber nicht alle – am Aufbau von Proteinen beteiligten Aminosäuren hergestellt werden.
Darüber hinaus entstehen aber auch viele andere Aminosäuren, die in Lebewesen nicht vorkommen. So kommen unter den C3-Aminosäuren neben Alanin noch b-Alanin und Sarcosin (Abb. 119B), die nicht Bestandteil von Proteinen sind . Wie und weshalb in den lebenden Zellen eine Beschränkung auf 20 proteinogene (=am Aufbau der Proteine beteiligte) Aminosäuren trotz erheblich größerer Auswahl stattgefunden haben sollte, ist unbekannt. Die Vorstellung, dass zunächst alle Aminosäuren verwendet wurden, dann aber etliche „ausstarben", weil die entsprechenden Systeme weniger „lebenstüchtig" waren (vgl. natürliche Selektion), ist bisher ohne überzeugende empirische (=auf Erfahrung beruhend) Stütze.
Es zeigt sich zudem, dass bei den einzelnen Ansätzen je nach Versuchsbedingungen (Gaszusammensetzung, Reaktionszeit etc.) von den 20 proteinogenen Aminosäuren nur wenige synthetisiert werden. Bei optimistischer Interpretation der bisherigen Ergebnisse kann man in einem einzigen Experiment bis zu 13 am Aufbau von Proteinen beteiligte Aminosäuren synthetisieren. Aminosäuren mit basischen Eigenschaften (Lysin, Arginin und Histidin) wurden bisher in präbiotischen Simulationsexperimenten nicht nachgewiesen. Günstige äußere physikalische Bedingungen, wie passender Druck und Temperatur, denen enge Grenzen gesetzt sind, wenn die Reaktionsprodukte stabil bleiben sollen, werden bei solchen Versuchen als gegeben vorausgesetzt. Unter präbiotischen Ursuppenbedingungen ist dies jedoch sehr unwahrscheinlich. Im „Ursuppenmodell" muss daher postuliert (=gefordert) werden, dass die an verschiedenen Stellen gebildeten Bestandteile später zusammengeführt worden sind, um miteinander reagieren zu können. Damit wird dieses Szenario immer komplexer und damit sinkt die Erklärungskraft.
Besonders bedeutsam unter den Resultaten von Miller-Experimenten ist die mengenmäßig überwiegende Anwesenheit von mono- und polyfunktionellen Molekülen im Produktgemisch, d.h. Verbindungen, die sich mit nur einem bzw. vielen Reaktionspartnern verknüpfen können. Diese Stoffe haben für die nachfolgenden Schritte im Konzept der präbiotischen Chemie weitreichende Konsequenzen, wie im folgenden gezeigt werden soll.
Insgesamt zeigt sich, dass die bei Ursuppen-Simulations-Experimenten entstandenen Aminosäure-Zusammensetzungen sich wesentlich von der Zusammensetzung in den Zellen der Lebewesen unterscheiden. |
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