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12.12.24 Neue Befunde zum Fluss der genetischen InformationDas sogenannte „zentrale Dogma der Molekularbiologie“, das im Jahr 1958 von Francis Crick formuliert wurde, beschreibt den gerichteten Fluss genetischer Information in biologischen Systemen. Dieses Prinzip gehört zum Fundament der Molekulargenetik und bietet einen Rahmen für das Verständnis der komplexen Prozesse, die den Transfer genetischer Information von DNA zu RNA und weiter zu Proteinen steuern. Neue Forschungen an Bakterien legen nahe, dass die Kernkomponente des zentralen Dogmas erweitert werden muss und Bakterien selbst neue Gene erzeugen können. Nach dem „zentralen Dogma der Molekularbiologie“ wird genetische Information nur in der Richtung von DNA zu RNA und anschließend zu Proteinen übertragen. Die Entdeckung dieses Prinzips hat unser Verständnis der Molekulargenetik tiefgreifend geprägt und die Forschung auf diesem Gebiet jahrzehntelang geleitet. Das zentrale Dogma bietet einen Rahmen für die Erforschung der Komplexität der genetischen Regulation und Expression von Genen und hebt sowohl die Eleganz als auch die Komplexität der molekularen Prozesse hervor, die dem Leben zugrunde liegen. Gemäß dem zentralen Dogma ist der nur in eine Richtung erfolgende Informationsfluss in drei Prozesse unterteilt: Replikation (Vervielfältigung), Transkription (Umschreibung) und Translation (Übersetzung). Jeder dieser Prozesse ist für die genaue Weitergabe und Expression genetischer Information von entscheidender Bedeutung und gewährleistet die Kontinuität und Funktionalität des Lebens (Cobb 2017). Bei der Replikation dient DNA dient als Vorlage für ihre eigene Vervielfältigung. Während der Replikation wird die Doppelhelix-Struktur der DNA entwunden, und jeder Einzelstrang dient als Vorlage für die Synthese eines neuen komplementären Strangs. Dieser Prozess wird durch das Enzym DNA-Polymerase vermittelt, das eine hohe Genauigkeit des Kopiervorgangs sicherstellt. Die Replikation (samt nachfolgender Korrekturdurchgänge) garantiert, dass jede Tochterzelle eine identische Kopie des genetischen Materials erhält und somit die Funktionsweise der Zelle über Generationen hinweg bewahrt bleibt. Der Prozess der Transkription ist der erste Schritt der Proteinbiosynthese. Dabei wird die in der DNA codierte genetische Information in Messenger-RNA (mRNA) transkribiert (umgeschrieben). Die RNA-Polymerase, das für die Transkription verantwortliche Enzym, synthetisiert ein einzelsträngiges RNA-Molekül unter Verwendung eines der DNA-Stränge als Vorlage. Dieses mRNA-Molekül dient als Zwischenprodukt und transportiert die genetische Information von der DNA im Zellkern zu den Ribosomen im Cytoplasma, wo die Proteinsynthese stattfindet (Translation, s. u.). Die Transkription ist ein kritischer regulatorischer Teilprozess der Genexpression, da hier bestimmt wird, welche Gene bzw. welche Abschnitte der Gene exprimiert werden und in welchem Ausmaß. Der zweite Schritt ist die Translation, durch die die Sequenz der mRNA übersetzt wird, um ein bestimmtes Protein zu synthetisieren. Dieser Prozess findet am Ribosom statt, einer komplexen molekularen Maschine, die aus ribosomaler RNA (rRNA) und Proteinen besteht. Transfer-RNA (tRNA)-Moleküle, die jeweils eine bestimmte Aminosäure tragen, interagieren über ihre Anticodons* mit den entsprechenden Codons* auf dem mRNA-Strang. (Begriffe mit * werden im Glossar am Ende des Artikels erklärt.) Das Ribosom katalysiert* die Bildung von Peptidbindungen zwischen den Aminosäuren, was zur Bildung einer Polypeptidkette führt, die sich nach Abschluss der Proteinsynthese zu einem funktionsfähigen Protein faltet (bzw. mit Unterstützung von Chaperonen gefaltet wird). Proteine, die Effektormoleküle bzw. Werkzeuge der Zelle, erfüllen eine Vielzahl von Funktionen, die für die Zellstruktur, den Stoffwechsel und die Regulation unerlässlich sind. Während das zentrale Dogma den Fluss genetischer Information als nur in eine Richtung verlaufend darstellt, wurden im Laufe der Zeit einige Ausnahmen entdeckt, die das Gesamtbild verkomplizieren. Insbesondere die Entdeckung der reversen Transkription* in Retroviren zeigte, dass RNA durch das im Jahr 1970 entdeckte Enzym Reverse Transkriptase* in DNA umgeschrieben werden kann (Baltimore 1970). Dieser Prozess, der dem ursprünglichen Konzept des zentralen Dogmas widerspricht (obwohl es von Francis Crick selbst nicht ausgeschlossen wurde (siehe Abb. 473), hat weitreichende Auswirkungen auf unser Verständnis der Verarbeitung genetischer Informationen, da auf diese Weise die Umwandlung von RNA in DNA erfolgen kann. Darüber hinaus haben Fortschritte im Verständnis epigenetischer und RNA-vermittelter Regulation unser Wissen über die Kontrollmechanismen der Informationsweitergabe bedeutend erweitert. Es hat sich gezeigt, dass der im zentralen Dogma beschriebene Informationsfluss als linearer Prozess häufig viel zu einfach dargestellt wird. Die Reverse-Transkriptase und die Neubildung von Genen Neuere Forschungsergebnisse haben eine weitere überraschende Wende dieses Modells aufgezeigt: Wissenschaftler haben eine bakterielle Reverse Transkriptase entdeckt, die nicht nur RNA als Vorlage nutzt, sondern auch vollständig neue Gene in Form von DNA synthetisiert (Tang et al. 2024). Dabei werden vorhandene DNA-Abschnitte zusammengefügt. Diese neu synthetisierten Gene werden dann wieder in RNA umgeschrieben, welche in Proteine übersetzt wird, die das Bakterium zur Abwehr von Virusinfektionen befähigt. Im Gegensatz zu viralen reversen Transkriptasen, die lediglich vorhandene genetische Information von RNA auf DNA übertragen, ermöglicht dieses bakterielle Enzym die Erstellung neuer Gene. Diese Ergebnisse wurden am 8. Mai auf dem Preprint-Server bioRxiv veröffentlicht und befinden sich momentan im Peer-Review-Prozess (Tang et al. 2024). Um die Mechanismen hinter diesem neuartigen System zu entschlüsseln, führte ein Forschungsteam unter der Leitung des Molekularbiologen Stephen Tang und des Biochemikers Samuel Sternberg von der Columbia University eine Studie über die Reverse Transkriptase des Bakteriums Klebsiella pneumoniae (Abb. 474) durch. Sie identifizierten außergewöhnlich lange DNA-Sequenzen, die zahlreiche identische Wiederholungssegmente enthielten, von denen jedes einem Segment einer mysteriösen RNA entsprach. Diese wiederholten DNA-Segmente bildeten einen offenen Leserahmen („open reading frame“, ORF), eine Protein-codierende Sequenz, die kein typisches Endsignal aufwies und daher theoretisch unbegrenzt ist. Die Forscher nannten diese Sequenz „neo“, ein Akronym für „never-ending open reading frame“ (Tang et al. 2024). Bei einer Virusinfektion wird die Produktion des Neo-Proteins ausgelöst, was zum Stopp der Zellteilung führt, so dass das Virus sich nicht weiter ausbreiten kann. Der traditionell bekannte Informationsfluss funktioniert normalerweise so: DNA à mRNA à Protein. Die neuen Gene, die durch die Aktivität der reversen Transkriptase entstehen, folgen diesem Ablauf: RNA wird einmal in DNA umgewandelt (RNA àDNA), dann folgt der übliche Weg DNA à mRNA à Protein. Dieses neu entdeckte System funktioniert jedes Mal, wenn es aktiviert wird, so: DNA à non-codingRNA à DNA à mRNA à Protein. Das Neo-Gen wird erst gebildet, wenn ein Virus (Bakteriophage) auftaucht und das Abwehrsystem aktiviert. Vorher existieren nur die einzelnen Bestandteile des Systems. Das Bakterium verwendet also verschiedene Teile seiner DNA, um über die noncoding RNA (s. o.) eine unvollständige einsträngige DNA herzustellen, der ein Promotor fehlt, also der Teil, der die Transkription eines Gens einleitet. Der Promotor wird später automatisch hinzugefügt, wenn die DNA-Bestandteile in Doppelstränge umgewandelt werden, sobald das Bakterium von einem Phagen angegriffen wird. Diese neue DNA produziert dann das Neo-Protein in großer Menge, sodass das Wachstum der Bakterien gestoppt wird, um zu verhindern, dass das Virus das Bakterium für die Synthese seiner Virusproteine nutzt. Dieser Mechanismus deutet darauf hin, dass das Neo-Protein eine entscheidende Rolle in der bakteriellen Abwehrreaktion auf virale Bedrohungen spielt. Diese bahnbrechenden Erkenntnisse stellen eine signifikante Abweichung von etablierten genetischen Prinzipien dar. Diese Entdeckung verkompliziert nicht nur unser Verständnis des genetischen Informationsflusses, sondern verdeutlicht auch die Vielseitigkeit und Anpassungsfähigkeit biologischer Systeme, insbesondere solcher, die für die Immunabwehr benötigt werden. Dass die neuen Gene, die bei diesem Prozess entstehen, an der Abwehrreaktion gegen Viren beteiligt sind, erscheint sinnvoll, denn dort werden sie gebraucht, und alle uns bekannten Immunsysteme verfügen über Mechanismen zur Erzeugung neuer Gene aus bereits vorhandenen DNA-Segmenten (z. B. um Millionen verschiedener Antikörper-Gene hervorzubringen). Die Fähigkeit der bakteriellen reversen Transkriptasen, neue Gene aus vorliegenden DNA-Segmenten zu erzeugen, unterstreicht die dynamische Natur der genetischen Adaption und die ständige Erweiterung unseres Wissens in der Molekularbiologie. Mit dem Fortschreiten der Forschung werden diese Erkenntnisse zweifellos eine Neubewertung lang gehegter Konzepte auslösen und weitere Erkundungen der komplexen Pfade des genetischen Informationsflusses inspirieren. Dass solche sich selbst anpassenden Systeme durch rein natürliche Vorgänge, d. h. ohne jede Planung, entstanden sein sollen, wie es die Evolutionslehre besagt, ist jedoch eine Annahme, die durch die vorgelegten Fakten nicht unterstützt wird. Eine immer größer werdende Fülle an Befunden hinsichtlich der Komplexität und Genialität der molekularen Grundlagen des Lebens spricht deutlich für intelligente Planung (vgl. z. B. Junker & Widenmeyer 2021). Glossar Anticodon: Ein -> Codon, mit dem sich die tRNA im Zuge der Translation der Proteinsynthese (Übersetzung mRNA in ein Protein) an das Codon der mRNA bindet. Codon: Ein Codon ist eine Abfolge von drei Nukleotiden in der DNA oder RNA, die für eine spezifische Aminosäure oder ein Stopp-Signal während der Proteinsynthese codiert. Codons sind die „Buchstaben“ der genetischen Sprache, die die Reihenfolge der Aminosäuren in einem Protein bestimmen. Katalyse: der Prozess, bei dem die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion durch einen Katalysator erhöht wird, ohne dass der Katalysator dabei verbraucht oder dauerhaft verändert wird. Der Katalysator senkt die Aktivierungsenergie der Reaktion, wodurch diese schneller abläuft. Reverse Transkription: der Prozess, bei dem ein Enzym namens Reverse Transkriptase eine DNA-Molekül unter Verwendung einer RNA-Vorlage synthetisiert. Dieser Prozess ist charakteristisch für Retroviren und einige andere Viren, und er ermöglicht es ihnen, ihr RNA-Genom in DNA umzuwandeln, die dann in das Genom der Wirtszelle integriert werden kann. Reverse Transcriptase: Reverse Transkriptase ist ein Enzym, das die Synthese von DNA aus einer RNA-Vorlage katalysiert. Quellen Baltimore D (1970) RNA-dependent DNA polymerase in virions of RNA tumour viruses. Nature 226, 1209–1211. Cobb M (2017) 60 years ago, Francis Crick changed the logic of biology. PLoS Biol 15(9): e2003243, https://doi.org/10.1371/journal.pbio.2003243. Junker R & Widenmeyer M (Hrsg.) (2021) Schöpfung ohne Schöpfer? Eine Verteidigung des Design-Arguments in der Biologie. Holzgerlingen: SCM Hänssler. Tang S, Conte V, Zhang DJ et al. (2024) De novo gene synthesis by an antiviral reverse transcriptase, https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2024.05.08.593200v1
Autor dieser News: Peter Borger
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