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20.10.10 Spezialisierter Sauerstofftransport: zweimal unabhängig „erfunden“Aufgrund von phylogenetischen (=stammesgeschichtlichen) Analysen muss angenommen werden, dass der spezialisierte Sauerstofftransport zweimal unabhängig (= konvergent) entstanden sein muss: bei den Rundmäulern und den Kiefermündern. Dies ist bemerkenswert, weil mehrere ähnliche Vorgänge mit ähnlichem funktionalem Ergebnis angenommen werden müssen. Gene müssten unabhängig verdoppelt und für die neue Funktion rekrutiert worden sein; die durch sie codierten Hämoglobine weisen unabhängig ähnliche Spezialisierungen und biochemische Besonderheiten auf. Bekannte Evolutionsmechanismen scheinen für den erforderlichen hypothetischen Evolutionsprozess deutlich überfordert zu sein. Der hypothetische Vorgang der Inanspruchnahme vorhandener Gene für eine neue Aufgabe wird als „Kooption“ bezeichnet, man spricht auch von Gen-Rekrutierung oder auch von einer Neuverschaltung von Genen. Solche Vorgänge sollen sich in der Evolution der Lebewesen häufig abgespielt haben. Die dafür erforderlichen Prozesse bzw. die einer solchen Neuordnung zugrunde liegenden Mechanismen sind aber weitgehend hypothetisch. Immer mehr stellt sich nun aufgrund von phylogenetischen Analysen (Ermittlung von Abstammungsverhältnissen durch Merkmalsvergleiche) heraus, dass angesichts der genetischen Merkmalsverteilungen zweifache oder sogar mehrfache konvergente Kooptionen gleicher Gene angenommen werden müssen. Das heißt: Die gleichen oder ähnlichen Gene wurden zweimal oder mehrfach unabhängig in unterschiedlichen stammesgeschichtlichen Linien in gleicher Weise für eine identische Funktion rekrutiert. Angesichts der Schwierigkeiten, die sich schon bei einer erfolgreichen Integration eines Gens in einen anderen Funktionszusammenhang stellt, wirft die Erklärung einer mehrfach unabhängigen gleichartigen Neu-Inanspruchnahme desselben Gens erst recht Fragen nach den Mechanismen auf. Konvergente Kooptionen scheinen zudem keine seltenen Ausnahmen zu sein. Das in der Evolutionsforschung bekannte Konvergenzproblem (vgl. Ähnlichkeiten in der Morphologie und Anatomie) begegnet einem auch hier. Wie kommt es, dass unabhängig voneinander (d. h. konvergent) dieselben bzw. ähnliche, aber auch unterschiedliche Gene für neue und zugleich identische Zwecke oder Funktionen in stammesgeschichtlich getrennten Linien genutzt werden? Ein Beispiel einer konvergenten Kooption beschreiben Hoffmann et al. (2010). Es geht dabei um Hämoglobine, Moleküle, die für den Sauerstofftransport im Blut bei Wirbeltieren und einigen Wirbellosen sorgen. Die Evolution des Sauerstofftransports durch die Hämoglobine wird von den Autoren als „physiologische Schlüsselinnovation“ gewertet, ohne die größere Tiere nicht existieren könnten, da bloße passive Diffusion von Sauerstoff im Blutplasma nicht zur Versorgung der Gewebe ausreichen würde. Eine großangelegte phylogenetische Analyse der Globin-Gen-Superfamilie bei Wirbeltieren zeigte u. a., dass die Untergruppen der Hämoglobine in den Roten Blutkörperchen von Rundmäulern (Cyclostomata) und Kiefermündern (Gnathostomata, eine Überklasse der Wirbeltiere) nicht von orthologen (=durch Artaufspaltung entstandene) Genen kodiert werden, d. h. nicht durch die klassischen Artbildungsprozesse aus einem gemeinsamen Vorläufer entstanden sein können. Anders ausgedrückt: Aufgrund der den Globinen zugrundeliegenden genetischen Sequenzverteilungen können die beiden Hämoglobingruppen nicht von einem gemeinsamen Vorläufermolekül abgeleitet werden. Dennoch sind sie funktionell und teilweise in ihrem komplexen strukturellen Aufbau erstaunlich ähnlich. Dieser Tatbestand wirft die Frage auf, wie und in welchen Linien die aktuell funktionell ähnlichen, aber genetisch und biochemisch-strukturell deutlich unterschiedlichen Sauerstofftransportproteine von Rundmäulern und Kiefermündern phylogenetisch entstanden sind. Als Lösung des Problems wird von den Autoren zunächst vorgeschlagen, dass bei dem hypothetischen Vorläufer der Wirbeltiere verschiedene Vorläufervarianten der Globin-Gen-Superfamilie vorhanden waren, von denen die heute beobachtbaren verschiedenen und stark divergierenden Globin-Familien (z. B. die Hämoglobine) abzuleiten sind. Nach Trennung der Rundmäuler von den Kiefermündern erfuhren die verschiedenen genetischen Vorläufervarianten der Globingene eine unterschiedliche weitere Entwicklung. Einige Gene wurden mehrfach dupliziert (verdoppelt) und in neue Funktionszusammenhänge integriert andere verschwanden vollständig aus dem genetischen Repertoire (vgl. Abb. 367). Speziell für die Entwicklung der Hämoglobingruppen vermuten die Autoren einen Prozess, den sie „konvergente Kooption“ nennen. Für die erforderliche Funktion des Sauerstofftransports wurden bei den Rundmäulern und den Kiefermündern unterschiedliche „freie“ Kopien von speziellen Globin-Genen verwendet, die zuvor durch Genduplikation entstanden waren (die so entstandenen Gene werden als paralog bezeichnet). Die Integration der frei gewordenen Genduplikate in den neuen Funktionszusammenhang des Sauerstofftransports (Kooption) fand dann in den stammesgeschichtlich getrennten Linien ebenso wie die zuvor erforderliche Duplikation unabhängig voneinander statt und führte zu einem erstaunlich ähnlichen (konvergenten) Ergebnis. „Kooptive Konvergenz“ im Sinne der Autoren bedeutet also anders ausgedrückt, dass paraloge (=durch Duplikation entstandene) Mitglieder derselben Globin-Genfamilie in den beiden Linien unabhängig voneinander dieselbe Spezialisierung1 der Funktion (Sauerstofftransport) und ähnliche biochemische Eigenschaften bei den durch sie codierten Hämoglobin-Proteine im Verlauf der Evolution hervorbrachten (S. 14274f.). Was wurde zweimal „erfunden“? Um das Ausmaß der evolutionstheoretisch anzunehmenden Konvergenz deutlich zu machen, muss die Funktionsweise des Hämoglobin (Hb) etwas erläutert werden: Bei den Kiefermündern ist Hb vierteilig, aus 2 a- und 2 b-Globin-Ketten aufgebaut. Hb kann vier Sauerstoffmoleküle aufnehmen, wobei die Aufnahmefähigkeit mit der Anzahl der bereits gebundenen Sauerstoffmoleküle zunimmt. Diese sogenannte positive Kooperativität der Sauerstoffbindung resultiert aus einer Veränderung der Quartärstruktur. Das Hb der Rundmäuler besteht ebenfalls aus mehreren (zwei oder vier) Globin-Untereinheiten. Die Kooperativität der Sauerstoffbindung resultiert jedoch aus einer durch die Oxygenierung (=Prozess der Sauerstoffbindung) verbundenen Trennung der Multimeren in gebundene Monomere. Die Hämoglobine sind in beiden Gruppen in Rote Blutkörperchen eingebunden und ermöglichen einen hocheffizienten Sauerstofftransport vom Aufnahmeort zu den Zielorten und tragen zum Rücktransport von CO2 bei. Die Effizienz beider Hämoglobine als Sauerstofftransportproteine wird durch eine Wechselwirkung der Untereinheiten erreicht (homotroper Effekt), die zur Kooperativität (s. o.) der Sauerstoffbindung führt. Die Sauerstoffabgabe im Gewebe erfolgt durch Bindung mit einem Liganden, die zu einer Konformationsänderung (=Änderung der räumlichen Struktur) führt (heterotroper Effekt). Sowohl im Hb der Rundmäuler als auch im Hb der Kiefermünder werden die Kooperativität und die Regulation durch Konformationsänderung aufgrund von Veränderungen der Quartärstruktur infolge der Oxygenierung ermöglicht (S. 14274f.). Konvergent entstanden sind somit die Fähigkeit der Sauerstoffaufnahme und -abgabe sowohl durch homotrope als auch heterotrope kooperative Effekte. Die Kooperativität wird in beiden Fällen durch die Verbindung mehrerer Untereinheiten zu einer Quartärstruktur ermöglicht, wenn auch auf verschiedene Weisen. Diese Vorgänge müssten nach Hoffmann et al. in beiden Fällen von verschiedenen Globin-Monomeren ausgegangen sein, denen diese Kooperativität fehlte (14275). Abb. 367 verdeutlicht das mutmaßliche evolutionstheoretische Szenario. Dass die beiden Hämoglobine nicht von einem gemeinsamen Vorläuferglobin mit Sauerstofffunktion stammen, schließen die Autoren aus zahlreichen Unterschieden in den strukturellen Details. Die Mechanismen der Sauerstoffaufnahme und -abgabe sind verschieden, beruhen aber in beiden Fällen auf Kooperativität mehrerer Untereinheiten. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Hämoglobine beider untersuchten Gruppen zwar funktionell gleichartig, aber trotz der gleichen Benennung als Hämoglobine nicht homolog seien (S. 15277). Jenseits der empirischen Wissenschaft. Die Autoren schließen ihren Artikel wie folgt: „Dieses Beispiel von konvergenter Evolution einer Proteinfunktion demonstriert eindrucksvoll die Fähigkeit der natürlichen Selektion, komplexe Design-Lösungen dadurch zusammenzuschustern, indem verschiedene Variationen desselben Protein-Gerüsts zusammengebastelt werden“ (S. 14278). Angesichts der Tatsache, das im gesamten Artikel von der Wirksamkeit der Selektion und den molekulargenetischen Mechanismen auf die mutmaßlichen Abläufe („konvergente Kooption“) nicht die Rede war, ist dieser Satz als Glaubenssatz zu werten und kein Ergebnis von empirischer Forschung. Er ist vielmehr Ausdruck von stillschweigenden Voraussetzungen: Funktionelle und/oder strukturelle Ähnlichkeiten (hier der Globine) sind abstammungsbedingt und der zentrale Mechanismus der Evolution ist die natürliche Auslese. Die von den Autoren vorgestellten Befunde sprechen diese Sprache aber nicht unbedingt, sie sprechen von einer unabhängigen „Erfindung“, natürlich ohne an einen Erfinder zu denken. Erstaunlich ist, dass man annehmen muss, dass der Selektionsdruck (hoher Sauerstoffbedarf bei größeren stoffwechselaktiven Tieren) dazu führt, dass die „Natur“ oder die „Evolution“ das gleiche funktionelle Ergebnis mit ähnlichen Abläufen der Sauerstoffaufnahme und -abgabe zweimal unabhängig voneinander hervorbringt. Die klassischen Mechanismen, wie sie im Rahmen der Erweiterten Synthetischen Evolutionstheorie diskutiert werden, können dieses Geschehen nicht plausibel machen. Neue Begriffe wie „konvergente Kooption“ erklären nichts, sondern verschleiern das eigentlich Unerwartete und Widersprüchliche der evolutionären Perspektive. Nimmt man eine Schöpfungsperspektive ein (ebenfalls eine nicht allein aus den Daten ableitbare, aber mögliche Perspektive), ist durchaus verständlich, dass ähnlichen funktionellen Erfordernissen ähnliche Lösungen entsprechen. Diese sind im Detail verschieden, was aber auch wiederum im Detail den verschiedenen Anforderungen in den jeweiligen Organismen Rechnung tragen könnte. Unser Wissen ist bisher zu begrenzt, um dies beurteilen zu können. (Unter Mitarbeit von Henrik Ullrich) Literatur Hoffmann FG, Opazo JC & Storz JF (2010) Gene cooption and convergent evolution of oxygen transport hemoglobins in jawed and jawless vertebrates. Proc. Natl. Acad. Sci 107, 14274-14279. Anmerkung 1 Es könnte sich auch um einen Neuerwerb der Funktion handeln. Die Autoren verweisen darauf, dass die verwendeten Globine vielleicht bereits irgendwie mit dem O2 Transport zu tun hatten. Das ist allerdings spekulativ.
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