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02.10.13 Fisch mit Gesicht stellt Abstammung auf den KopfBestätigen neue Fossilfunde immer wieder Evolution? Der Fund eines Fischfossils aus dem oberen Silur Chinas stellt eine etablierte Abstammungsvorstellung auf den Kopf: Knochenfische sollen nun vor den Knorpelfischen entstanden sein. Das hätte allerdings evolutionstheoretisch zur Folge, dass ein knöcherner Kiefer zweimal unabhängig entstand oder dass die Entstehung der Knorpelfische mit zahlreichen Rückbildungen einherging. Beides ist nicht gerade plausibel. Die Einschätzung, dass eine allgemeine Evolution der Lebewesen eine Tatsache sei, wird häufig damit begründet, dass neue Befunde sich immer wieder in das evolutionstheoretische Theoriegebäude einfügen ließen und aus Evolutionstheorien abgeleitete Vorhersagen sich erfüllten. So wird beispielsweise auf passende fossile Übergangsformen verwiesen. Tatsächlich aber entsprechen viele neue Fossilfunde jedoch gerade nicht den evolutionstheoretisch motivierten Erwartungen. Ein jüngst entdecktes Fossil verlängert die Reihe evolutionstheoretisch völlig unerwarteter Formen. Von diesem Fund, der den Stammbaum der Wirbeltiere kräftig „durcheinanderwirbelt“ (http://www.dradio.de/dlf/sendungen/forschak/2266356/) berichteten Min Zhu und Kollegen von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in der Wissenschaftszeitschrift Nature. Es handelt sich dabei um das Fossil eines etwa 20 cm langen Fisches, der die etablierte Theorie über die stammesgeschichtlichen Beziehungen von Knochen- und Knorpelfischen komplett in Frage stellt (Zhu et al. 2013). Bisher war man davon ausgegangen, dass Knorpelfische ähnlich den heutigen Haien Vorfahren der Knochenfische seien. Die beiden Gruppen bilden zusammen mit den ausgestorbenen Panzerfischen (Placodermi) und den Acanthodii die Kiefermäuler (Gnathostomata). Zu den Knorpelfischen gehören Haie, Rochen und Seekatzen. Sie besitzen keine Knochen; ihr Skelett ist aus Knorpel aufgebaut, der jedoch durch Kalkeinlagerung eine hohe Festigkeit erreicht, die die enorme Größe mancher Haie erlaubt. Richtiges Knochengewebe wird nur ganz selten bei großen alten Haien in den Wirbeln ausgebildet. Der Großteil der Fische (über 95% der Arten) hat dagegen ein knöchernes Skelett, das als evolutionäre Weiterentwicklung betrachtet wird. Im Kopfbereich besitzen die Knochenfische anders als die Knorpelfische feste Platten und hochentwickelte Kieferknochen, was den Fischen sozusagen ein „richtiges Gesicht“ verleiht. Dagegen besitzen die Knorpelfische im Schädelbereich nur winzige Schuppen. Der Fund des neuen Fossils, das den Gattungsnamen Entelognathus erhielt, stammt aus dem oberen Silur der Yunnan-Provinz Chinas und wurde auf 419 Millionen Jahre datiert. Entelognathus ähnelt mit seiner knochigen Schulter- und Schädelpartie den Panzerfischen, die als frühe Abspaltung der Linie gelten, aus denen sich Knorpel- und Knochenfische entwickelt haben sollen. Es stellte sich jedoch heraus, dass die neu entdeckte Art auch differenzierte Kieferknochen besaß, wie sie bisher nur von Knochenfischen bekannt sind, ein komplexes Arrangement kleinerer Knochen, die als Prämaxilla und Maxilla im Oberkiefer, als Dentale im Unterkiefer und als Wangenknochen bekannt sind (Zhu et al. 2013). Es handelt sich also um einen Fisch mit Gesicht, der damit der älteste bekannte Fisch mit Gesicht ist Das hat weitreichende Folgen für die stammesgeschichtliche Einordnung: Entelognathus könnte zu einer Schwestergruppe der Panzerfische gehören oder eng mit dem letzten gemeinsamen Vorfahren von Knorpel- und Knochenfischen verwandt sein (siehe Abbildung http://www.nature.com/nature/journal/vaop/ncurrent/images_article/nature12690-f1.jpg). In jedem Fall kann der hochentwickelte Kiefer nicht mehr als Alleinstellungsmerkmal der Knochenfische angesehen werden. Der knöcherne Kiefer als Struktur könnte somit zweifach unabhängig (konvergent) entstanden sein. Oder aber, und dazu scheinen die Wissenschaftler zu neigen, die Schädelknochen sind in der Knorpelfisch-Linie wieder verlorengegangen, wenn die Knochenfische vor den Knorpelfischen entstanden sein sollen (Friedman & Brazeau 2013). Beide Möglichkeiten sind wenig plausibel – nicht umsonst wurde die Stammesgeschichte der beiden großen heute lebenden Fischgruppen bisher genau anders herum rekonstruiert: Knorpelfische vor Knochenfischen. Unerwartete Funde und Evolution Auf der Basis etablierter stammesgeschichtlicher Hypothesen war das neue Fossil mit der Kombination von Merkmalen aus Placodermen und Knochenfischen nicht vorhergesagt worden. Es erfordert die Annahme einer Umkehr der Evolutionsrichtung gegenüber den bisher favorisierten Hypothesen. Natürlich kann die (Re-)Konstruktion von Stammbäumen immer an neue Fossilfunde angepasst werden; Fossilien können die Evolution als konzeptionelle Vorgabe nicht „umstürzen“. Aber die Anpassung der Theorie an die Befunde erfordert, hier wie in vielen anderen Fällen, eine Verkomplizierung evolutionstheoretischer Hypothesen: Entweder muss eine zweimal unabhängige Entstehung von knöchernem Kiefer und Knochenplatten oder deren Verlust bei den Knorpelfischen angenommen werden. Man kann schwerlich behaupten, dass der neue Fund das evolutionäre Paradigma einmal mehr bestätigt hätte. Literatur Zhu M, Yu X et al. (2013) A Silurian placoderm with osteichthyan-like marginal jaw bones. Nature, doi:10.1038/nature12617
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