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27.11.17 Serikornis – Dinosaurier mit halbfertigen Federn?Die kürzlich beschriebene Dinosaurier-Gattung Serikornis besaß sowohl flaumartig-büschelige als auch einfach gefiederte Körperanhänge. Die Deutung als Zwischenform, die zu Vögeln überleitet, ist dennoch problematisch. Das Merkmalsmosaik von Serikornis ist evolutionstheoretisch unerwartet und wesentliche Fragen zur Entstehung flugtauglicher Federn kann das Fossil nicht klären. Die Serie interessanter Fossilfunde von Vögeln und Dinosauriern, die in die Nähe der Vögel gestellt werden, reißt nicht ab. In den letzten Jahren gab es dabei einige Überraschungen. Statt passender Bindeglieder wurden Formen entdeckt, die unerwartete Merkmalsmosaike aufwiesen wie z. B. Yi qi (mit einer fledermausartigen Flughaut) oder Chilesaurus, oder andere, deren Merkmale oder Fähigkeiten „moderner“ waren als bis dahin angenommen (z. B. bei Anchiornis oder Confuciusornis); siehe Links am Ende des Artikels. Im Sommer dieses Jahres wurde eine neue fossile Gattung beschrieben, die in einem wichtigen Merkmal evolutionstheoretischen Erwartungen teilweise entspricht, wenn man einen evolutionären Übergang von Dinosauriern zu Vögeln annimmt (was der Auffassung der klaren Mehrheit der Paläontologen entspricht). Die Rede ist von einem nahezu vollständig erhaltenen Exemplar der Art Serikornis sungei aus der Gruppe der sognannten Paraves (Bilder hier: http://novataxa.blogspot.de/2017/08/serikornis.html). Die Bezeichnung „Paraves“ kann man mit „neben den Vögeln“ übersetzen. Diese Gruppe umfasst eine recht bunte Mischung von zweibeinig sich fortbewegenden Gattungen aus verschiedenen Familien, deren Verwandtschaftsbeziehungen oft unklar sind und entsprechend kontrovers diskutiert werden.1 Entdeckt wurde die neue Gattung in der oberjurassischen Tiaojishan-Formation (Liaoning-Provinz, China), in der schon andere Gattungen der Paraves gefunden wurden, darunter mit Anchiornis auch eine vierflügelige Gattung mit eindeutig flächigen Federn; nach neueren Erkenntnissen konnte Anchiornis wahrscheinlich recht gut fliegen (Wang et al. 2017). Serikornis war etwa 60 cm groß und damit so groß wie ein Fasan, vermutlich ein Waldbewohner, der wahrscheinlich auch auf niedriges Geäst klettern konnte (wofür die Existenz stark gebogener Klauen sprechen könnte) (Lefèvre et al. 2017, 11). Das evolutionstheoretisch interessanteste Merkmal von Serikornis ist der Besitz von unterschiedlich gestalteten flaumigen oder fiederigen Körperanhängen, die den ganzen Körper, auch Beine und Füße bis zu den Fußphalangen bedeckten (Lefèvre et al. 2017). Neben Regionen mit flaumartigen, unverzweigten und dünnen, büscheligen Haaren (evolutionstheoretisch als „Protofedern“ bezeichnet, die man aber nicht unbedingt als „Federn“ bezeichnen muss) sind an den Armen, Beinen, auf dem Rücken und am Ende des Schwanzes auch flächig-fiederige Anhänge mit zentraler Achse (Schaft) überliefert, die man als einfach gebaute Federn interpretieren kann; Serikornis war also sozusagen vierflügelig. Die Vorderflügel waren mit mehreren Lagen relativ kurzer, schlanker, symmetrischer und wenig differenzierter federartiger Anhänge besetzt (eine ähnliche Situation wie bei Anchiornis, bei dem aber wie angemerkt echte Federn ausgebildet waren). Die Autoren erwähnen auch ein großes Propatagium (Flughaut); dessen Existenz scheint aber nur indirekt erschlossen und nicht fossil nachgewiesen zu sein (Lefèvre et al. 2017, 72). Schwung- und Deckfedern – wenn man von „Federn“ sprechen möchte – sind nicht unterscheidbar (anders als beim „Urvogel“ Archaeopteryx, bei der vierflügeligen Gattung Microraptor, bei Confuciusornis und bei modernen Vögeln). Aufgrund der sehr guten Erhaltung und der erkennbaren feinen Details kann man nach Auffassung der Beschreiber ausschließen, dass Federstrahlen (Bogen- und Hakenstrahlen) ausgebildet waren. Das System aus Federstrahlen ist zwingend notwendig für die Flugfähigkeit; sonst kann der Luft nicht genügend Widerstand entgegengesetzt werden. Vermutlich waren die Federn zudem nicht leicht und nicht steif genug, um ausreichend Schub zu erzeugen. Darüber, wie die Anhänge im Körper verankert waren, ist offenbar nichts bekannt; die Autoren äußern sich nicht dazu. Damit besteht über einen wichtiges Kennzeichen echter Federn Unklarheit. Ob man also von Federn oder von gefiederten Haaren sprechen will, ist Definitionssache; jedenfalls fehlen wesentliche Merkmale flugtauglicher Federn.3 Die flächigen Federn waren klein, schlank und symmetrisch (ein weiteres Kennzeichen für das Fehlen von Flugtauglichkeit). Da die Körperanhänge also mit großer Wahrscheinlichkeit nicht für Flugzwecke genutzt werden konnten und auch die Fähigkeit zum Gleitflug wahrscheinlich nicht gegeben war – allenfalls könnten die Federn bei einem Sturzflug bremsend gewirkt haben –, stellt sich die Frage nach ihrer Funktion. Die Forscher diskutieren Isolierung (Thermoregulation) und Zurschaustellung („display“, für die Balz); erst später seien die „Federn“ für den Flug kooptiert worden. Auch der Skelettbau zeigt keine Anpassung an einen Flug und spricht für ein Leben am Boden. Insbesondere waren die Vorderextremitäten viel zu kurz für eine Flugfunktion. Die für einen Flügelschlag erforderlichen Bewegungen waren aufgrund der geraden Form von Elle und Speiche kaum möglich; die Beinmerkmale sprechen für eine Fortbewegung als Läufer (Lefèvre et al. 2017, 10f.). Diskussion Kann Serikornis als Bindeglied zwischen „noch nicht“ flugfähigen befiederten Dinosauriern und Vögeln interpretiert werden? Lefèvre et al (2017, 8) sehen das – wenig überraschend – genau so. Dafür werden zwei Befunde ins Feld geführt: Die einfach gefiederten Anhänge und das stratigraphische Alter (die Position im geologischen System). Die Körperanhänge von Serikornis kommen im Vergleich zu den Körperanhängen von Gattungen mit „Dino-Flaum“ (flaumige, faserige oder büschelige haarartige Anhänge) echten Federn strukturell am nächsten. Und Serikornis gehört zu den geologisch ältesten Gattungen mit „Dino-Flaum“. Diese Punkte gehen an evolutionstheoretische Deutungen. Die Tatsachenaussage der Artikelüberschrift („China documents a transitional step“) ist aber nicht gerechtfertigt, wie die nachfolgenden Aspekte zeigen. Selektionsdrücke. Serikornis ist nämlich in einem evolutionstheoretischen Rahmen schwer einzuordnen. Die Merkmalskombination aus einfachen Federn, befiederten Beinen, kurzen Vorderextremitäten und Merkmalen, die auf ein Bodenleben hinweisen, ist evolutionstheoretisch unerwartet.4 Denn für einen Bodenstart eines schnellen Läufers sind befiederte Beine nachteilig; für den Baumstart passen die kurzen Vorderextremitäten und das Leben auf dem Waldboden nicht. Problematisch sind die Selektionsdrücke, ohne die evolutionstheoretische Modellierungen kaum auskommen5, und zwar in zweierlei Hinsicht: 1. Welcher Selektionsdruck könnte die Art der Befiederung bei Serikornis begünstigt haben; 2. wie könnte es Richtung Flugfähigkeit weitergegangen sein? Für eine Schaufunktion (Balz) und Thermoregulation erscheinen die fiederigen Anhänge und ihre Art ihrer Anordnung auf der Körperoberfläche nicht notwendig zu sein; sexuelle Selektion als Erklärung ist ein Notbehelf. Selektion auf zukünftige Flugfähigkeit ist nicht möglich, da auf potentiellen zukünftigen Nutzen nicht ausgelesen werden kann. Serikornis ist aus diesen Gründen als Startpunkt für spätere Flugfähigkeit wenig überzeugend. In einem nicht-evolutionären Deutungsrahmen entfällt die Frage nach Selektionsdrücken, die eine erstmalige Entstehung begünstigt haben könnten. Arten müssen einfach nur überlebensfähig sein, während die sich Frage nach der Überlebensfähigkeit hypothetischer Vor- oder Zwischenformen gar nicht stellt, weil diese nicht benötigt werden. Außerdem müssen nicht alle Merkmale unbedingt unter dem Zweckmäßigkeitsaspekt gesehen werden, es können auch Schönheit oder Phantasiereichtum eine Rolle spielen (hier wird wie oben angedeutet evolutionstheoretisch mit sexueller Selektion argumentiert). Von Serikornis-„Federn“ zu flugtauglichen Federn. Der Schritt zu flugtauglichen Federn wäre von Serikornis ausgehend immer noch enorm. Die einfache Fiederung bringt – gemessen an den zahlreichen Anforderungen für Flugtauglichkeit – gegenüber einfachen oder büscheligen Haaren kaum etwas. Zur Flugtauglichkeit gehören das ausgefeilte Bogen-/Hakenstrahlen-System, eine geeignete Verankerung im Körper mit der Fähigkeit der Federbewegung (das ist bei Serikornis unbekannt, s. o.), vielfältige Steuerungsmechanismen und vieles mehr (vgl. Junker 2016 und „Wunderwerk Feder“). Vielfalt von Oberjura-Formen. Aus dem Oberjura stammt bekanntlich auch Archaeopteryx, der „moderne“ Federn besaß (dessen Flugfähigkeit aber umstritten ist). Die Juraschichten, in denen er geborgen wurde, sind allerdings stratigraphisch relativ jünger als die Schichten der chinesischen Tiaojishan-Formation; Serikornis ist stratigraphisch älter (s. o.). Aus diesen Schichten und anderen etwa gleich alten Schichten Chinas stammt eine ganze Reihe verschiedener echt befiederter Formen wie z. B. der oben erwähnte Anchiornis, die kletternden Scansoriopterygiden (u. a. der mit einer besonderen Flughaut ausgestattete Yi qi), die Gattung Pedopenna mit langen symmetrischen Konturfedern, die an ganzer Länge am Mittelfuß ansetzen (bei dieser Gattung sind nur die Hinterbeine fossil überliefert (Xu & Zhang 2005) und weitere Gattungen; sie tauchen in ihrer Vielfalt recht plötzlich auf, und ihre Merkmalsmosaike können nicht ohne Weiteres in ein evolutionstheoretisches System gebracht werden. Entsprechend zeigt das von Lefèvre et al. veröffentlichte Cladogramm zahlreiche Konvergenzen bzw. Merkmalswidersprüche und es unterscheidet sich von zuvor publizierten Cladogrammen. Vermutlich ist über die Lebensweise und die Ökologie von Serikornis wie auch von anderen fossilen Formen, die zu den Paraves gestellt werden, einfach zu wenig bekannt, um sich einen klaren Reim auf die Merkmalskombinationen dieser Gattungen machen zu können. In gewisser Hinsicht erinnert Serikornis an die flugunfähigen Kiwis, die ebenfalls einfach gefiederte Körperanhänge – Federn ohne Federstrahlen – haben, die als rückgebildet interpretiert werden. Es spricht zwar einiges dafür, dass Serikornis auf dem Waldboden lebte, doch die Beinbefiederung erscheint dafür eher hinderlich. Aber auch für ein Klettern sind Federn an den Beinen nicht förderlich. Wie hat Serikornis also gelebt? Hier muss wohl einiges offen bleiben. Weitere thematisch verwandte Artikel auf Genesisnet Buntes Merkmalsmosaik: Ein „Schnabeltier“ unter den Raubdinosauriern Yi qi – „merkwürdiger Flügel“ eines (Dino-?)sauriers Mosaikform der Gegenvögel passt erneut nicht ins evolutionäre Bild Der älteste „echte“ Vogel: überraschend modern Alte Vögel mit moderner Flugkunst Urvogel Confuciusornis unerwartet „modern“ Zhenyuanlong – befiederter Dinosaurier, flugunfähiger Vogel oder …? Vierflügelige Vögel am Anfang? Anmerkungen 1 Man vergleiche beispielsweise die Cladogramme in Godefroit et al. (2013a; 2013b), Xu et al. (2011) und Hu et al. (2009). 2 Lefèvre et al. (2017, 7) schreiben: „… forelimb feathers are arranged in several rows in Serikornis, suggesting the presence of a large propatagium, … The development of a large propatagium in basal paravians is therefore supported by the presence of numerous layers of feathers along the forearm in Serikornis …“ 3 Chuong et al. (2003) definieren Federn als komplexe Integumentanhänge, die hierarchisch verzweigt sind, aus Rachis, Federästen und Federstrahlen bestehen und aus einem Follikel heraus wachsen und besondere biochemische, morphologische und entwicklungsbiologische Eigenschaften besitzen. 4 Vgl. Pickrell (2017): „The distribution and type of feathers on its body are not consistent with the currently preferred scenario about the evolution of bird feathers and flight. That scenario assumes that long pennaceous feathers on arms and legs originated with arboreal four-winged gliders such as Microraptor.“ 5 Evolution ohne Selektion wäre noch problematischer, weil in diesem Fall davon ausgegangen werden müsste, dass sich Voraussetzungen für die Flugfähigkeit latent zufällig entwickelt hätte, was angesichts der Fülle der dafür erforderlichen Voraussetzungen völlig unglaubhaft wäre. Literatur Chuong CM, Wu P, Zhang FC, Xu X, Yu M. Widelitz RB, Jiang TX & Hou L (2003) Adaptation to the sky: Defining the feather with integument fossils from Mesozoic China and experimental evidence from molecular laboratories. J. Exp. Zool. 298B, 42-56. Godefroit P, Cau A, Hu DY, Escuillié F, Wu W & Dyke G (2013a) A Jurassic avialan dinosaur from China resolves the early phylogenetic history of birds. Nature 498, 359-362. Godefroit P, Demuynck H, Dyke G, Hu D, Escuillié F & Claeys P (2013b) Reduced plumage and flight ability of a new Jurassic paravian theropod from China. Nat. Comm. 4:1394,1-6, doi:10.1038/ncomms2389. Hu D, Hou L, Zhang L & Xu X (2009) A pre-Archaeopteryx troodontid theropod from China with long feathers on the metatarsus. Nature 461, 460-463. Lefèvre U, Cau A, Cincotta A, Hu D, Chinsamy A Escuillié F& Godefroit P (2017) A new Jurassic theropod from China documents a transitional step in the macrostructure of feathers. Sci. Nat. 104:74. Pickrell J (2017) New Feathered Dinosaur Had Four Wings but Couldn’t Fly. https://news.nationalgeographic.com/2017/08/feathered-dinosaur-four-wings-species-serikornis-science/ Wang X, Pittman M, Zheng X, Kaye TG, Falk AR, Hartman SA & Xu X (2017) Basal paravian functional anatomy illuminated by high-detail body outline. Nat. Comm. 8:14576, doi: 10.1038/ncomms14576. Xu X, You H, Du K & Han F (2011) An Archaeopteryx-like theropod from China and the origin of Avialae. Nature 475, 465-470. Xu X & Zhang F (2005) A new maniraptoran dinosaur from China with long feathers on the metatarsus. Naturwissenschaften 92, 173-177.
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