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22.01.21 Seeanemonen: Evolution oder Abruf eines Programms?Das Ausschalten eines Regulationsgens der Seeanemone Nematostella vectensis führt dazu, dass ein neuer Zelltyp ausgebildet wird, eine Art Klebzelle, die bei dieser Art bisher nicht beobachtet wurde. Wissenschaftler diskutieren diesen Befund im Rahmen von Evolution; er verweist aber viel klarer auf die Existenz bereits angelegter Strukturen. Aus der Sicht einer Schöpfung kann das so verstanden werden, dass Lebewesen mit mehr abrufbaren Fähigkeiten ausgestattet sind, als sie gewöhnlich benötigen. Lebewesen besitzen schlummernde Bauplanmodule, die im Normalfall nicht genutzt werden, aber unter bestimmten Bedingungen abrufbar sind. Wer hätte beispielsweise gedacht, dass manche krautige Pflanzen eine Art „Holzmodul“ besitzen, das sie unter bestimmen Bedingungen ausprägen können und dadurch verholzen? (Losos 2018, 93). Hat dies etwas mit Evolution zu tun? Wohl kaum, denn ein Bauelement, das durch einen Umweltreiz oder eine geringfügige genetische Änderungen fix und fertig abgerufen werden kann, war offenbar schon vorher da; seine Entstehungsweise ist davon unberührt. Über ein erstaunliches Beispiel eines latent (im Verborgenen) vorhandenen Organs bei Quallen berichtete kürzlich Leslie Babonis von der Cornell University auf der virtuellen Jahrestagung der Society for Integrative and Comparative Biology (Pennisi 2021). Quallen sind berüchtigt wegen ihrer Nesselzellen, deren Stich Hautreaktionen und heftige Schmerzen verursachen. Babonis hat herausgefunden, dass ein einziger genetischer Schalter stechende Nesselzellen in Zellen umwandeln kann, die an einer Unterlage kleben können. Dies ermöglicht dem Tier, im Verlauf der Entwicklung von der frei beweglichen Larve zum festsitzenden (sessilen) Organismus neue Oberflächen zu besiedeln. Die Nesselzellen der Quallen haben mehrere Erscheinungsformen. Die Stachelzellen (Nematozyten) schießen winzige, giftbeladene Harpunen ab, während einige Nesselzellen in Seeanemonen und Korallen Fäden aus klebrigem Material absondern, mit denen sich die Tiere in Substraten wie Schlamm verankern können. Babonis untersuchte mit ihrem Team die 5 cm lange, durchsichtige Seeanemone Nematostella vectensis. Die Forscher schalteten das Sox2-Gen aus, das bei vielen anderen Tieren für die neurale Entwicklung wichtig ist. Es zeigt sich, dass als Folge davon Nematozyten in den Tentakelspitzen krumme Harpunen ausbildeten, Nematozyten aber an der Körperwand fehlten; an ihrer Stelle wurden fette Nesselzellen, sogenannte robuste Spirozyten, ausgebildet, die (bei anderen Arten) für ihre Klebrigkeit bekannt sind. Diese Zellen waren bei dieser Art bislang noch nie beobachtet worden. Offenbar hat das Sox2-Gen die Funktion eines Schalters. Wenn es aktiv ist, bilden sich Stachelzellen, andernfalls bilden sich Spirozyten, aber nur in der Körperwand. Ob Sox2 auch bei anderen Nesseltieren für die Spirozytenbildung wichtig ist, ist bisher nicht bekannt. Solche Regulationsgene, die wie Schalter wirken, sind an sich keine neue Entdeckung; man kennt sie als homöotische Mutationen. Zum Beispiel können durch solche Mutationen die Antennen eines Insektes in Beine umgewandelt werden. Ein neuer Befund ist jedoch, dass solche Änderungen auch bei als einfach geltenden und stammesgeschichtlich an der Basis stehenden Formen vorkommen. „Man erwartet normalerweise nicht, dass Organismen in der Lage sind, Organe zu produzieren, die sie normalerweise nicht entwickeln“, kommentiert Nicole Webster, Evolutionsbiologin an der Clark University (Pennisi 2021). Man kann das in der Tat nicht erwarten, wenn es sich um eine Neuentstehung handeln würde. Aber das ist offenkundig nicht der Fall. Das plötzliche Auftreten der Klebzellen (Spirozyten) ist vielmehr ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass Lebewesen Bauplanmodule gleichsam in petto haben, die bereits fertig ausgebildet sind und auf Abruf bereit stehen. Dabei spielt es nur eine untergeordnete Bedeutung, ob es sich bei den experimentell umgewandelten Nesselzellen um echte Spirozyten handelt. Die Information zur Ausbildung dieser spezialisierten Zellen war in jedem Fall bereits vorhanden. Evolution? Außer dem beschriebenen Phänomen ist auch bemerkenswert, wie dieser Befund von den Wissenschaftlern kommentiert wird: Er wird in den Kontext von Evolution gestellt, obwohl überhaupt keine evolutive Veränderung beobachtet wurde. So meint Nicole Webster, die Studie zeige, wie die Evolution neuartiger Eigenschaften auf einer kleinen Skala – verschiedene Zelltypen – erfolge, und dabei zu größeren Konsequenzen führen könne. Pennisi kommentiert: „Die Arbeit legt nahe, dass diese Art von Schalter dazu beigetragen haben könnte, evolutionäre Veränderungen über Hunderte von Millionen Jahren voranzutreiben.“ Sie zitiert Billie Swalla, Evo-Devo-Forscherin an der University of Washington in Seattle: „Die Nesselzellen sind ein großartiges Modellsystem, um die Evolution und Diversifizierung neuartiger Zelltypen zu untersuchen.“ Und Kristen Koenig, Evolutionsbiologin an der Harvard University, sieht es so: „Die Entdeckung [liefert] aussagekräftige Beobachtungen darüber, wie sich neue Zelltypen entwickeln und an neuartigen Orten ankommen.“ Hier wird offensichtlich Evolution in den experimentellen Befund hineingelesen. Man hat den Eindruck, dass hier Befunde reflexartig nach einem evolutionären Prinzip eingeordnet werden. Wirkliche Erklärungen werden damit aber nicht geliefert und es stellen sich stattdessen neue Fragen: Wie sind die spezialisierten Typen der Nesselzellen ursprünglich entstanden? Wie konnte die Fähigkeit, Klebzellen zu bilden, in einem latenten Zustand erhalten bleiben? Aus der Sicht einer Schöpfung können die Befunde dagegen zwanglos verstanden werden: Lebewesen sind mit mehr Fähigkeiten ausgestattet, als sie gewöhnlich benötigen, können diese aber unter bestimmten Umständen abrufen. Das ist ein Indiz für vorausschauendes Handeln und mithin für einen Schöpfer. Quellen Losos JB (2018) Glücksfall Mensch. Ist Evolution vorhersehbar? München. Pennisi E (2021) Anemone shows mechanism of rapid evolution. Science 371, 221.
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