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13.11.23  Ein neues Bindeglied zwischen Dinosauriern und Vögeln?

Erneut wurde ein Fossil entdeckt, dessen Merkmalskombination zwischen Dinosauriern und Vögeln vermitteln soll – Fujianvenator prodigiosus. Die neue Art hat relativ vogelähnliche Vorderextremitäten, jedoch ungewöhnlich lange Beine. Dieses auffällige Merkmal war von „Urvögeln“ bisher weder bekannt noch erwartet worden; und es passt auch nicht in bisherige evolutionäre Vorstellungen. Die Beschreiber deuten die Merkmalskombination als „evolutionären Mosaizismus“ (evolutionär bedingte mosaikartige Verteilung von Merkmalen). Damit wird jedoch nichts erklärt und das dahinterstehende Problem für evolutionäre Erklärungen wird verschleiert.

Als evolutionäres „Bindeglied zu den Vögeln“ stellt wissenschaft.de die neu entdeckte langbeinige Dinosaurier-Art Fujianvenator prodigiosus vor (Bernard 2023; Xu et al. 2023). Welche Anforderungen sollte eine Art erfüllen, damit sie als Bindeglied in einer evolutiven Abfolge interpretiert werden kann? Als eine Minimalbedingung kann genannt werden: Die Merkmalskombination eines Bindeglieds sollte einigermaßen widerspruchsfrei zwischen zwei Arten passen, zwischen denen die betreffenden verbindende Art vermittelt. Und wenn die Baupläne des Lebens auf evolutivem Wege entstanden sind, sollte man zahlreiche solche passenden Bindeglieder finden.

Die fasanengroße neue Art, deren Name „bizarrer Jäger aus Fujian“ bedeutet und die als Bindeglied angesehen wird, wurde in Schichten des Oberjura entdeckt und hat demnach ein ähnliches Alter wie der berühmte Urvogel Archaeopteryx. Das Fossil ist relativ gut erhalten; es fehlen aber Kopf, Hals und das Ende des Schwanzes.

Rekonstruktionen von Fujianvenator zeigen ein prächtig entwickeltes Federkleid aus flächigen Federn. Das Fossil selbst weist jedoch gar keine Federn auf. Der Besitz von Federn wird nur angenommen, weil seine nächsten Verwandten der Anchiornithidae Federn besitzen (Dunham 2023). Als vogelartig wird das Fossil eingestuft, da sein Körperbau eine Mischung aus Merkmalen der Avialae (Vögel und nächste Verwandte) sowie zu den Dinosaurierfamilien der Troodontidae und Dromaeosauridae aufweist (Xu et al. 2023). Sein Becken besitzt Merkmale, die zur Diagnose von Anchiornis und der Troodontidae verwendet werden (zur Systematik s. Abb. 436). Die Vorderextremitäten sind im Wesentlichen wie das Skelett eines Vogelflügels gebaut, allerdings mit drei Krallen an den Fingern, die bei heutigen Vögeln ebenso wie bei den meisten fossilen Formen fehlen. Eine Ausnahme stellen die Kletterkrallen bei Jungvögeln des Hoatzins dar (Abb. 435):  „[…] Krallen charakterisierten Archaeopteryx […]. Seltsamerweise haben die Jungtiere des Hoatzins (Opisthocomus hoazin) ähnliche Krallen an ihren Flügeln, verlieren sie aber im Erwachsenenalter“ (Naeem & Post 2019). Auch die Proportionen der Handknochen von Fujianvenator ähneln denen von Archaeopteryx. Aufgrund der Merkmale des gesamten Skeletts ist Fujianvenator dennoch wahrscheinlich nicht flugfähig. So hat Fujianvenator ein relativ kleines Schulterblatt, was gegen Flugfähigkeit spricht, da ein vergrößertes Schulterblatt mit den Muskeln verbunden ist, die für den Kraftflug erforderlich sind. Details der Mittelhandknochen deuten darauf hin, dass Fujianvenator flexible Greiffinger besaß, die beim Ergreifen von Beutetieren hilfreich gewesen sein könnten, während bei verwandten Vogelarten die Mittelhandknochen eine einzige unbewegliche Einheit bilden, an denen die Flugfedern befestigt sind (Xu et al. 2023, 341). Nimmt man alle diese Merkmale zusammen, sind die Rekonstruktionen von Fujianvenator mit einem Federkleid irreführend. Die Einstufung als Bindeglied steht schon von daher auf schwachen Beinen.

Apropos Beine. Diesbezüglich ist Fujianvenator außergewöhnlich. Denn das Tier besaß sehr lange Beine und ähnelte daher heutigen Lauf- oder Watvögeln. Das Schienbein ist etwa doppelt so lang wie der Oberschenkelknochen. „Betrachtet man […] nur die Hinterbeine, so liegt Fujianvenator weit entfernt von allen anderen Theropoden, einschließlich anderer jurassischer Avialae“, stellen Xu et al. (2023, 341) fest. Ob die Merkmale der Beine eher auf eine Lebensweise im Sumpf oder auf schnelles Laufen hinweisen, ist mangels schlechter Erhaltung der Zehen nicht entscheidbar (Xu et al. 2023, 342; Coleman 2023). Weitere Fossilien aus der gleichen Fundstelle deuten aber darauf hin, dass Fujianvenator in einem sumpfigen Ökosystem lebte. Damit unterscheidet er sich von anderen Formen, die als Vorfahren der Vögel diskutiert werden und die an ein Leben auf Bäumen und in der Luft angepasst waren. Diese ökologische Nische war bisher bei den Avialae unbekannt.

Fujianvenator wird von den Forschern zu den Anchiornithidae gestellt (Xu et al. 2023), die innerhalb der Avialae eine Schwestergruppe zu Archaeopteryx und allen anderen Vogelarten darstellen (Abb. 436). In evolutionäre Interpretation befindet sich Fujianvenator also auf einem Seitenast.

Kommentar

Min Wang, einer der Bearbeiter, wird mit den Worten zitiert: „Auf die Frage nach einem Wort, das Fujianvenator beschreiben würde, würde ich sagen ‚bizarr‘. Fujianvenator ist weit davon entfernt, modernen Vögeln zu ähneln“ (zit. in Coleman 2023). Einmal mehr wurde mit Fujianvenator ein Fossil entdeckt, dessen Merkmalskombination evolutionär nicht erwartet wurde. Offensichtlich ist Fujianvenator kein Bindeglied hin zu modernen Vögeln, dafür ist er zu „bizarr“ – konkret: Die langen Beine und der mutmaßliche Lebensraum passen nicht für eine Interpretation als Bindeglied. Fujianvenator erweitert somit unsere Formenkenntnis über Dinosaurier und Vögel, doch er füllt keine bisher vorhandene evolutionäre Lücke. Vielmehr führt das Fossil in evolutionärer Perspektive zu einer zusätzlichen Lücke im evolutionären Stammbaum – nämlich von den bereits bekannten Anchiornithidae hin zu Fujianvenator mit seinem einzigartigen Merkmalsmosaik.

Fujianvenator steht hingegen – wie viele andere Gattungen auch – dafür, dass Merkmale frei kombinierbar sind. Davon kann aber nur in einem Schöpfungsmodell ausgegangen werden. Xu et al. (2023, 340) sprechen von einem „evolutionären Mosaizismus“: „Die einzigartige Kombination postkranialer (Körperskelett-)Merkmale, die Fujianvenator mit frühen Paraves gemeinsam hat, zeigt, wie stark die Phylogenie [Stammesgeschichte] der Avialier durch evolutionären Mosaizismus beeinflusst wurde“ (zu „Paraves“, inklusive Deinonychosauria, und „Avialae“ siehe Abb. 436). Doch das ist nur ein Schlagwort, das nichts erklärt und das evolutionäre Problem verschleiert. Wie kann „Mosaizismus“ – mosaikartige Verteilung von Merkmalen – etwas beeinflussen? Es ist die freie Kombinierbarkeit von Merkmalen, die zu einer mosaikartigen Verteilung von Merkmalen verschiedener Arten oder größerer Gruppen führt und gerade nicht bekannte evolutionäre Prozesse; daher ist dies evolutionär nicht zu erwarten. „Mosaizismus“ bedeutet bei einer „Übersetzung“ in ein Cladogramm bzw. in einen Stammbaum, dass Konvergenzen angenommen werden müssen, also das mehrfach unabhängige Auftreten gleicher Merkmale. Durch einen evolutionären Prozess, der nicht zielorientiert verläuft, sind Konvergenzen aufgrund der fehlenden Steuerung aber gerade nicht zu erwarten (vgl. Junker 2016).

Bildlegenden:

Abb. 435  Jungtier des Hoatzin mit Krallen. (Amazon-Images / Alamy Stock Photo)

Abb. 436  Stellung von Fujianvenator im Cladogramm nach Xu et al. (2023). (Wikimedia: CC BY-SA 4.0: Audrey.m.horn; Fred Wierum; UnexpectedDinoLesson; Luxquine; CC BY 4.0: PaleoNeolitic; CC BY-SA 3.0: Matt Martyniuk; El fosilmaníaco; Cladogramm nach: https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Fujianvenator&oldid=1176509176, CC BY-SA 4.0

Quellen

Bernard E (2023) Langbeiniger Dinosaurier als Bindeglied zu den Vögeln, vom 06.09.2023,https://www.wissenschaft.de/erde-umwelt/langbeiniger-dinosaurier-als-bindeglied-zu-den-voegeln/

Coleman L (2023) ‘Weird’ dinosaur prompts rethink of bird evolution. Nature News, doi: 10.1038/d41586-023-02757-5.

Dunham W (2023) ‘Bizarre’ long-legged bird-like dinosaur has scientists enthralled, vom 06.09.2023https://www.reuters.com/science/bizarre-long-legged-bird-like-dinosaur-has-scientists-enthralled-2023-09-06/.

Naeem S & Post K (2019) How wings lost their claws. Science 364, 746–748, doi: 10.1126/science.2019.364.6442.twis.

Junker R (2016) Evolution „erklärt“ Sachverhalte und ihr Gegenteil. Stud. Integr. J. 23, 4–12.

Xu L, Wang M et al. (2023) A new avialan theropod from an emerging Jurassic terrestrial fauna. Nature 621, 336–343, doi:10.1038/s41586-023-06513-7.


Autor dieser News: Reinhard Junker, 13.11.23

 
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