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11.10.06  Physik-Nobelpreis 2006 für Forschungen zum Urknallmodell

Der diesjährige Nobelpreis für Physik ging an die zwei amerikanischen Kosmologen John Mather und George Smoot, die leitende Wissenschaftler des Satellitenexperimentes COBE zur Untersuchung des kosmologischen Mikrowellenhintergrundes waren. In den Medien fand diese Preisvergabe ein ungewöhnlich lautes Echo. Der Grund dafür: Viele sehen im Mikrowellenhintergrund einen Beweis für den Urknall. Der Beitrag der ARD-Tagesschau vom 3. Oktober zur Nobelpreisvergabe endete gar mit den Worten: „Dass sich damals die Materie überhaupt zusammengeballt hat und dass Sterne und ganze Galaxien entstanden sind, dafür waren Temperaturunterschiede von nur wenigen Hunderttausendstel Grad verantwortlich. Ohne diese minimalen Unterschiede gäbe es keinen Sternenhimmel und auch keine Menschheit. Und dass es dafür den Nobelpreis gibt, könnte auch ein deutliches Signal sein an die Zweifler, die gerade in Amerika immer mehr Einfluss gewinnen und solche naturwissenschaftlichen Erkenntnisse bestreiten.“ Wie kommt es, dass sich das staatliche Fernsehen in einer Nachrichtensendung zu solch einer kommentierenden Aussage veranlasst fühlt und ist sie angemessen?

Was wurde eigentlich entdeckt? Nach dem Urknallmodell war am Anfang sämtliche Materie auf engstem Raum zusammengeballt. Aufgrund der hohen Dichte war das Universum zu diesem Zeitpunkt sehr heiß, quasi ein einziger großer „Quanten-Feuerball“. In diesem Zustand befand sich die Strahlung im Gleichgewicht mit der Materie und hatte darum ein thermisches Spektrum oder ein sogenanntes Planck- oder Schwarzkörper-Spektrum. Das Gleichgewicht kam dadurch zustande, dass die Lichtteilchen (Photonen) laufend mit freien Elementarteilen, vorwiegend Elektronen, kollidierten. Das Universum dehnte sich dann kontinuierlich aus und kühlte aufgrund der sinkenden Materiedichte nach und nach ab. Als etwa 380.000 Jahre nach dem Urknall das Universum eine kritische Temperatur unterschritt, konnten sich zum ersten mal neutrale Atome bilden. Das bedeutete, dass die freien Elektronen mit den positiv geladenen Protonen gebunden wurden und damit mit den Photonen praktisch nicht mehr kollidieren konnten. Damit wurde die Schwarzkörperstrahlung von der Materie entkoppelt und kühlte sich seitdem ab, ohne jedoch ihre spektrale Form zu verändern. Damit sagt das Urknallmodell die Existenz einer Schwarzkörperstrahlung voraus, die das ganze Universum gleichmäßig erfüllen sollte. Die Temperatur dieser Strahlung ist jedoch nicht vorhersagbar, sondern muss gemessen werden.

Eine solche Schwarzkörperstrahlung wurde dann auch tatsächlich entdeckt und zwar in Form des sogenannten Mikrowellenhintergrundes mit einer Temperatur von etwa 3 Grad über dem absoluten Nullpunkt. Die Entdeckung wird offiziell den beiden Radioastronomen Arno Penzias und Robert Wilson 1965 zugeschrieben, die dafür 1978 den Nobelpreis für Physik bekommen hatten. Seither wurde dieser Mikrowellenhintergrund intensiv untersucht. Obwohl die nachfolgenden Untersuchungen die Schwarzkörperform des Spektrums zu bestätigen schienen, gab es auch Berichte von signifikanten Abweichungen in gewissen Bereichen des Spektrums. Auf der anderen Seite suchte man nach Fluktuationen in der Temperatur des Mikrowellenhintergrundes. Es wurde zwar aufgrund des Urknallmodells erwartet, dass diese Strahlung sehr gleichförmig sein müsse, jedoch forderten die aktuellen Modelle zur Bildung von Strukturen im Universum wie Galaxien und Galaxienhaufen, dass zumindest Abweichungen mit einer Stärke von ungefähr 0,01% bis 1% in der Temperatur vorhanden sein müssen. Allerdings schlugen alle Versuche fehl, solche Fluktuationen ausfindig zu machen. Immer präzisere Messungen bestätigten vielmehr die überwältigende Gleichmäßigkeit der Temperatur dieser Strahlung. Als man in den 1980er Jahren begann, Modelle vom Universum zu betrachten, deren Energiehaushalte von Dunkler Materie dominiert sind, konnte die Stärke der nötigen Fluktuationen wenigstens auf 0,001% gesenkt werden, um vorerst einer Falsifikation durch Beobachtungen auszuweichen.

Am 18. November 1989 wurde der Satellit COBE (COsmic Background Explorer) ins All geschossen. Dieser Satellit trug drei Messinstrumente mit sich: DIRBE, DMR und FIRAS. Zwei von diesen Instrumenten wurden genau zu dem Zweck entwickelt, bezüglich der oben genannten Fragen Klarheit zu schaffen: FIRAS, für welches John Mather verantwortlich war, sollte das Spektrum des Mikrowellenhintergrundes im Bereich 0,1-10 mm messen und mit einer Schwarzkörperstrahlung vergleichen und DMR, für welches George Smoot verantwortlich war, suchte nach Temperaturfluktuationen mit einer räumlichen Auflösung von 7 Grad. Und COBE war auch tatsächlich ein Erfolg. FIRAS konnte nachweisen, dass der Mikrowellenhintergrund eine präzise Schwarzkörperstrahlung mit einer Temperatur von 2,723 Grad über dem absoluten Nullpunkt ist und DMR konnte zum ersten Mal die ersehnten Temperaturfluktuationen mit einer Stärke der Größenordnung 0,001% nachweisen. Die COBE-Mission war eine außerordentliche technische Leistung und es überraschte nicht, dass sie nun mit dem Nobelpreis geehrt wurde.

Die Bedeutung dieser Entdeckung. Mit den Resultaten von COBE wurde die Tür für eine neue Qualität von Kosmologie geöffnet. Während vorher nur relativ ungenaue Aussagen über das frühe Universum möglich waren, hatte man nun quasi ein „Fossil" aus der Frühzeit des Universums. Mit den Daten von COBE und nachfolgenden Missionen (z.B. WMAP) konnten dann auch kosmologische Modellvorstellungen geprüft und Modellparameter mit nie da gewesener Genauigkeit bestimmt werden. Dies führte unter Kosmologen zu einem großen Enthusiasmus. So wird berichtet, dass John Mather im Januar 1990 anlässlich einer Konferenz, in der er seine Befunde präsentierte, mit einem Beifallssturm geehrt wurde (Sanderson & Hogan 2006). Der Physiker Stephen Hawking nannte 1992 Smoots Resultate sogar „die größte Entdeckung des Jahrhunderts – wenn nicht aller Zeiten“. Man sprach auch vom „heiligen Gral“ der Kosmologie und George Smoot selbst soll sogar gesagt haben, dass, wenn man die Fluktuationen betrachte, es sei, wie wenn man in das Angesicht Gottes schaue (Sanderson & Hogan 2006).

Das Nobelpreis-Komitee meinte, dass DMR und FIRAS „signifikant dazu beigetragen hätten, Kosmologie zu einer Präzisionswissenschaft zu machen“. Das COBE-Experiment dürfte in der Tat eines der wichtigsten Beobachtungen überhaupt in der Kosmologie sein und hat sicherlich wesentlich dazu beigetragen, die Kosmologie als Zweig der Physik zu etablieren. Dass die Bezeichnung „Präzisionswissenschaft“ angemessen ist, wird jedoch von manchen Kosmologen bezweifelt.

Ist der Mikrowellenhintergrund ein Beweis für den Urknall? Der Kosmologe George Efstathiou wird in Science zitiert (Cho 2006), „das Spektrum [der Temperaturfluktuationen, der Verf.] verifiziere jenseits jeden vernünftigen Zweifels, dass der kosmische Mikrowellenhintergrund im sehr frühen Universum gebildet worden sei“. Ist diese Aussage zutreffend?

Es ist wahr, dass die Kosmologie durch die Beobachtungen von COBE gewaltige Fortschritte gemacht hat. Die Beobachtungen des Mikrowellenhintergrundes wurden 2001 mit dem Satelliten WMAP fortgeführt, was die kosmologische Datenlage wiederum erheblich bereichert hat. Seit wenigen Jahren ist das kosmologische Konkordanzmodell etabliert, was hauptsächlich den Ergebnissen von WMAP zu verdanken ist. Es ist schwer abzustreiten, dass sich der Mikrowellenhintergrund tatsächlich sehr gut in das Urknallmodell einfügen lässt, wenn gewisse Modellparameter geeignet gewählt werden. Bisher ist es keiner alternativen Theorie gelungen, den Mikrowellenhintergrund mit seinem nahezu perfekten Schwarzkörperspektrum und seinen Temperaturfluktuationen so gut zu integrieren wie das Urknallmodell. Aber das darf nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass auch das Urknallmodell nur ein Modell ist. Dieses Modell hat in den vergangen Jahren immer wieder teils größere Modifikationen erfahren und ist darum nicht über jeden Zweifel erhaben. In diesem Zusammenhang muss auch gesagt werden, dass gerade die Ergebnisse des Mikrowellenhintergrundes fordern, dass der Energiehaushalt unseres Universums zu etwa 96% aus Materie besteht, deren Natur uns völlig unbekannt ist und deren Existenz bislang auch in großen Teilchenbeschleunigern nicht nachgewiesen werden konnte. Von diesen 96% gehören etwa 74% zur sogenannten „Dunklen Energie“ und etwa 22% zur „Dunklen Materie“. Während es Hoffnung gibt, dass die Dunkle Materie in den nächsten Jahren im Teilchenbeschleuniger am CERN gefunden wird, tappen die Forscher bezüglich der Dunklen Energie völlig im Dunkeln. Mit diesen Bedenken soll weder der Verdienst der beiden amerikanischen Forscher geschmälert noch die Erfolge des Standardmodells geleugnet werden, aber sie sollen verdeutlichen, dass bislang wesentliche Fragen, die gerade durch den Mikrowellenhintergrund aufgeworfen wurden, nicht geklärt sind. Auch das Nobelpreiskomitee äußert sich zurückhaltend. Es akzeptiert zwar den Urknall, weist aber darauf hin, dass „fundamentale Fragen“ unbeantwortet blieben und dass die ersten Ereignisse nach dem Urknall immer noch „Spekulation“ seien.

Des weiteren wird in der Primärliteratur auch regelmäßig über Anomalien berichtet, die direkt mit den Temperaturfluktuationen des Mikrowellenhintergrundes zusammenhängen. (Das jüngste Beispiel dazu ist Lieu & Quenby [2006]. In der Literaturliste gibt es einen Link zu einer Pressemeldung darüber.) Es gibt sogar Versuche, den Mikrowellenhintergrund mit Schwarzkörperspektrum und Temperaturfluktuationen gänzlich ohne Urknall zu interpretieren (Narlikar et al. 2003). Das scheint auf Anhieb gar nicht schlecht zu gelingen, jedoch wurde das noch nicht mit den Daten von WMAP versucht.

Was hat das alles mit den Kreationisten zu tun? Das einleitende ARD-Zitat richtet sich zweifelsohne an die amerikanischen Kreationisten, die in der Tat das Urknallmodell zugunsten einer biblischen Schöpfung ablehnen. Es ist aber fragwürdig, ob eine solche Aussage in die Tagesschau eines staatlichen Senders gehört, insbesondere da mit dem Wort „Zweifler“ ein negativer Unterton gegenüber dieser Minderheit in den USA produziert wird. Außerdem bestreiten die amerikanischen Kreationisten die Erkenntnisse von COBE überhaupt nicht. Sie interpretieren sie nur anders (z.B. Hartnett 2001), wenn man in solchen Unterfangen auch fachliche Mängel sehen mag. Das ARD-Zitat erinnert hier an eine Reihe von früheren Fernsehsendungen, die auch tendenziöse Aussagen über den Kreationismus machten. Einige dieser Sendungen wurden kommentiert:

„Arte“ schürt Ängste durch Desinformation und Feindbilder

Frontal 21 und die „Wahrheit“

Kommentar zur ZDF-Sendung „Evolution – die große Lüge?“

Meines Erachtens ist es angebracht, Zurückhaltung zu üben bezüglich verabsolutierender Aussagen über das Urknallmodell. Einen „Beweis“ für den Urknall wird es nie geben. Und man sollte Menschen nicht gering achten, die nach anderen Ursachen für den Mikrowellenhintergrund suchen als den Urknall.

Buchempfehlung

Einen aktuellen kritischen Überblick über Kosmologie und Daten zum Urknallmodell liefert das vor wenigen Monaten erschienene Buch „Der vermessene Kosmos" der beiden Astrophysiker Norbert Pailer und Alfred Krabbe:

http://www.wort-und-wissen.de/buecher/ast/kosmos.html

Literatur

„Advanced information on the Nobel Prize in Physics 2006: Cosmology and the Cosmic Microwave Background", The Royal Swedish Academy of Sciences, 3. October 2006. http://nobelprize.org/nobel_prizes/physics/laureates/2006/phyadv06.pdf.

Cho A (2006) Astrophysicists Lauded for First Baby Picture of the Universe. Science 6. October 2006.

Hartnett J. G. (2001) Recent Cosmic Microwave Background data supports creationist cosmologies. TJ 15(1), p. 8. http://www.answersingenesis.org/docs2003/tj_151_cmb.pdf.

Narlikar JV. et al. (2003) Inhomogeneities in the Microwave Background Radiation Interpreted within the Framework of the Quasi-Steady State Cosmology, ApJ 585, 1-11.

Sanderson K & Hogan J (2006) Cosmic ripples net physics prize. Nature 5. October 2006.

Lieu R & Quenby J (2006) http://arxiv.org/abs/astro-ph/0607304. Pressemeldung dazu: Kein Schatten im Kosmos. Studie zur Hintergrundstrahlung von Galaxienhaufen wirft Zweifel auf Urknall-Theorie: http://www.wissenschaft.de/wissen/news/269621.html


Autor dieser News: Studiengemeinschaft Wort und Wissen

 
© 2006


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