Ein Artikel von www.genesisnet.info

News auf genesisnet

06.11.06  Aufklärung, Evolution und Gewissensfreiheit

Einige zusammenfassende Gedanken

Verleumderische Medienkampagne. Die Studiengemeinschaft Wort und Wissen erlebt zur Zeit erheblichen Gegenwind aus den Medien. Es wird uns unterstellt, die Errungenschaften der Aufklärung rückgängig machen zu wollen mit dem Ziel, die Gesellschaft in die Unfreiheit des Mittelalters zurückzuführen.1  Einer christlichen Privatschule in Gießen wurde in dieser Medienkampagne u.a. vorgeworfen, das von der Studiengemeinschaft herausgegebene Werk Evolution – ein kritisches Lehrbuch2 zu verwenden. Die Gießener Jungsozialisten (Jusos) meinten hier aufklärend wirken zu müssen und verteilten am Eingang zum Pausenhof der Schule das Reclam-Bändchen mit Beiträgen zum Thema „Was ist Aufklärung?"3 (so geschehen am 30.10.4). Es enthält u.a. Texte von Kant, Hamann,5  Herder, Lessing, Mendelssohn und Schiller. Damit sollte wohl suggeriert werden, Aufklärung führe direkt zur Evolutionslehre.

Aufklärung, Vernunft und Evolution. Aber so einfach liegen die Dinge nicht. Der berühmte, in der obigen Aufsatzsammlung zu Wort kommende Philosoph Immanuel Kant fragte 1785 im Anschluss an einige Vorgänger6, ob die Lebensformen einst „alle aus einer einzigen Originalgattung … entsprungen wären". Doch bereitete Kant das Schwierigkeiten: „Ihm stand dabei nicht mehr die Bibel im Weg, sondern die Vernunft." Deshalb „erklärt er diesen Gedanken damals für so ‚ungeheuer’, dass ‚die Vernunft [davor] zurückbebt’".7 Vernunft war bekanntlich ein Hauptbegriff der Aufklärung. Hier zeigt sich exemplarisch: Was man als vernünftig ansieht, ist kultur- und zeitabhängig. Etwas, das zu einer bestimmten Zeit der Vernunft entspricht, gilt einer anderen Epoche (oder einem anderen Zeitgeist) als unvernünftig.

Wie arbeiten wir bei Wort und Wissen? Der Beitrag von Kant in der genannten Reclam-Sammlung beginnt mit dem viel zitierten Satz: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit".8 Versuchen wir das für die hier diskutierte Situation zu aktualisieren. Die Überzeugung einer kosmischen und biologischen Evolution ist (nicht nur) in der akademischen Welt tief verankert. Ob das fachlich berechtigt ist, wird bezüglich der Evolution des Lebens z.B. in dem o.g. Lehrbuch (1) kritisch auf wissenschaftlicher Ebene diskutiert. Dort wie in anderen Veröffentlichungen sagen wir aber auch offen und deutlich vom ersten Punkt unterschieden, (2) wo wir weltanschauliche Aussagen machen, und (3) wo sich unseren Positionen auf der Wissenschaftsebene (bisher) ungelösteProbleme in den Weg stellen.9 

Schuld an eigener Unmündigkeit. Trotzdem erleben wir – von erfreulichen Ausnahmen abgesehen10 – ganz überwiegend weder eine sachliche noch eine fachliche Auseinandersetzung mit unseren Auffassungen, sondern oft billige Polemik. Wer das genannte Lehrbuch auch nur flüchtig gelesen hat und es z.B. mit den Diffamierungen vergleicht, die in mehreren Fernsehsendungen gegen uns und das Buch erhoben wurden11, kann sich eigentlich nur verwundert die Augen reiben und fragen: Meinen die wirklich uns? Man gewinnt den Eindruck: Hier greift eine bestimmte Art der von Kant beklagten selbstverschuldeten Unmündigkeit um sich, die sich strikt weigert, eine von der eigenen abweichende Position auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Stattdessen sind viele von Vorurteilen und zum Teil von Ängsten gelenkt (s.u.). Also ist hier unbedingt Aufklärung nötig – und die ist leicht zu haben: Indem zahlreiche Medienvertreter und leider auch ein Teil der Wissenschaftler sich nicht länger unaufgeklärt verhalten, sondern unsere Veröffentlichungen lesen – selbstverständlich kritisch, aber vorurteilsfrei (!) – sine ira et studio (ohne Hass und Eifer).

Sind wir eine Gefahr für die demokratische Gesellschaft? Auch bei einer solchen Unterstellung kann man sich angesichts der Unkenntnis vieler Medienvertreter und selbst von Wissenschaftlern nur wundern. Weiß man heute wirklich kaum (noch) etwas über unsere kirchengeschichtliche Herkunft (und damit über einen Teil der abendländischen Kultur)? Welchen Hintergrund haben Christen, die auch heute der ganzen Bibel vertrauen wollen? Wir sind doch nicht vor kurzer Zeit plötzlich vom Himmel gefallen. – Die meisten Freunde von Wort und Wissen kommen aus Kirchen, Freikirchen, freien Gemeinden und Gemeinschaften, die direkt oder indirekt auf die Reformation zurückgeführt werden können. Für sie ist das Bekenntnis grundlegend, mit dem sich Martin Luther 1521 vor dem Reichstag zu Worms verteidigte: „…so bin ich durch die Stellen der Heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Wort Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider [gegen] das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist."12 Lange vor der Aufklärung wird hier die Glaubens- und Gewissensfreiheit eingefordert. Als weiteres Beispiel sei der Aufruf zur Toleranz an den Straßburger Rat des täuferischen Christen Leupolt Scharnschlager aus dem Jahr 1534 angeführt. Er schrieb an die Ratsherren der freien Reichsstadt, wenn sie für sich auf Religions- und Gewissensfreiheit pochen, müssen sie auch ihm Glaubens- und Gewissensfreiheit gewähren.13 

Gewaltfreie Nachfolge Jesu. Die Forderung nach Glaubens- und Gewissensfreiheit gibt es also nicht erst seit der Aufklärung, und die Studiengemeinschaft Wort und Wissen vertritt sie ebenso. Unser Vertrauen in die Wahrheit der ganzen Heiligen Schrift ist ein freiwilliger Glaubensschritt im Rahmen der Nachfolge Jesu. Gemäß seinem Gebot laden wir alle Menschen zum Glauben an Jesus Christus ein, wozu das Vertrauen in die Wahrheit der Bibel gehört. Dabei lehnen wir jeden Zwang entschieden ab, auch und gerade im gesellschaftlich-politischen Umfeld. Denn wir sind keine zu Unfreiheit tendierenden Fundamentalisten14, sondern als Christen der Bergpredigt verpflichtete Nachfolger Jesu.

 

Anmerkungen

1 Belege für solche Unterstellungen findet man leicht in unseren Beiträgen unter der Rubrik PRESSE auf der Homepage der Studiengemeinschaft: http://www.wort-und-wissen.de/presse

2 R. Junker & S. Scherer: Evolution – Ein kritisches Lehrbuch. 6. Aufl., Gießen 2006 (siehe http://www.wort-und-wissen.de/lehrbuch/main.html).

3 Was ist Aufklärung? Thesen und Definitionen, Hg. E. Bahr, Universal-Bibliothek Nr. 9714, Stuttgart 1974 (später Nachdrucke), 85 Seiten.

4 Gießener Anzeiger vom 30. 10. 2006.

5 J.G. Hamann (1730-1788) war Freund und Gegner Kants, bibelgläubiger Christ und umfassend gebildet, schrieb aber nicht leicht verständlich. In seinem Beitrag nimmt er als „einer der beredtesten Wortführer gegen die Aufklärung" Stellung (Anm. 3, S. 17). Ob die genannten Verteiler des Bändchens dieses „Trojanische Pferd" bemerkt haben?

6 Beispiele solcher Vorläufer z.B. bei Junker & Scherer (Anm. 2), 21/22.

7 H. Hölder: Kurze Geschichte der Geologie und Paläontologie, Berlin 1989, S. 170; H. Hölder: Die Entwicklung der Paläontologie im 19. Jahrhundert. In: W. Treue & K. Mauel (Hg.): Naturwissenschaft, Technik und Wirtschaft im 19. Jahrhundert, Göttingen 1976, S. 108 (hier mit Zufügung in eckiger Klammer).

8 I. Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? (1783; hier Anm. 3), S. 9.

9 Unter anderem darin und im Verzicht auf Polemik möchte sich die SG Wort und Wissen von bestimmten kreationistischen Organisationen unterscheiden.

10 Vgl. z.B. unter http://www.wort-und-wissen.de/lehrbuch/main.html. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch der am 4. 10. 2006 in der FAZ veröffentlichte Artikel „Das verschleierte Weltbild zu Kassel" von Patrick Bahners, in welchem einigen Evolutionsbiologen Dogmatismus vorgehalten wird.

11 Belege dafür und unsere Auseinandersetzung damit sowie die Darstellung unserer Position zu Schule und Gesellschaft unter den o.g. Internet-Adressen (Anm. 1 und 10).

12 Zitiert nach W. v. Loewenich: Die Geschichte der Kirche, Bd. II, Siebenstern-TB 10, 3. Aufl., München-Hamburg 1969, S. 26/29 (eckige Klammer zugefügt). – Der Einwand, dass es auch Verfolgungen Anders- und Ungläubiger durch Staatskirchen gegeben habe, trifft natürlich zu. Bedauerlicherweise wurde hier gegen die eigenen Prinzipien verstoßen. – Ähnliches gilt von der Aufklärung, die nicht nur demokratische Bewegungen stark beeinflusste (USA; Europa). Vielmehr sahen sich auch überaus gewalttätige Bewegungen (französische Revolution) und Diktaturen (russische Revolution samt politischen Nachfolgebewegungen im 20. Jahrhundert) in der Tradition der Aufklärung, u.a. über die philosophisch-politische Linie Aufklärung – Idealismus – Junghegelianer – Kommunismus. Zu dieser hier grob umrissenen Reihe z.B. W. Lütgert: Die Religion des deutschen Idealismus und ihr Ende, Bd. III, Gütersloh 1926, bes. S. 196-228. 419-450; W. Theimer: Der Marxismus, Dalp-TB 328D, 4. Aufl., Bern-München 1963, 28-42.

13 Text bei H. Fast (Hg.): Der linke Flügel der Reformation. Klassiker des Protestantismus, Bd. IV, Bremen 1962, S. 119-130. – Zur freikirchlichen Geschichte der Glaubens- und Gewissensfreiheit z.B. E. Geldbach: Freikirchen – Erbe, Gestalt und Wirkung. Göttingen 1989, S. 45-84.

14 Vgl. E.J. Schnabel: Sind Evangelikale Fundamentalisten? Wuppertal-Zürich 1995; H. Jaeger & J. Pletsch (Hg.): Fundamentalismus – sind bibeltreue Christen Fundamentalisten? Dillenburg-Wetzlar 2003.


Autor dieser News: Manfred Stephan, 06.11.06

 
© 2006


Über unseren Newsletter-Service werden Ihnen neue Nachrichten auch automatisch per E-Mail zugesandt.

News-Übersicht