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21.02.07  Eine unendliche Geschichte: Haeckels Embryonendarstellungen und ihre Bedeutung für die Evolutionstheorie

Fälschung, erlaubte Schematisierung, bewusste Täuschung: Ja oder Nein? Für jeden wissenschaftshistorisch Interessierten bietet die vor 140 Jahren durch Ernst Haeckel ins Rollen gebrachte Diskussion über seine berühmten und andere nicht so bekannten Darstellungen sich entwickelnder Organismen eine nicht versiegende Quelle für spannende Fragen. Welchen Einfluss haben persönliche Standpunkte auf das, was man von der zugänglichen Datenvielfalt in der Natur sieht oder ausblendet? Welcher Stellenwert kommt der Motivation des Forschers bei der Darstellung der gewonnenen und gefilterten Erkenntnisse zu?

In der FAZ erschien am 3. Januar dazu ein interessanter Beitrag von Julia Voss („Biologie in schneidigem Kreuzritterton“), in welchem sie eine wissenschaftshistorische Analyse von Nick Hopwood vorstellt (veröffentlicht in Isis Bd. 97). Hopwood vertritt darin die These, Haeckel habe mit den schematischen Darstellungen seiner Embryonenbilder keine Täuschungsabsicht verfolgt. Der zu seinen Lebzeiten vorgebrachte Vorwurf einer Fälschung sei nicht gerechtfertigt.

Auch wenn die Autorin des FAZ-Beitrages glaubt, Hopwood hätte mit seiner Analyse die offene „Akte Haeckel“ erst einmal geschlossen, wird die Diskussion immer wieder neue Wellen schlagen. Den Grund dieser unendlichen Geschichte liefert Frau Voss mit brillanter Feder am Ende ihres Artikels selbst: So lange man den tatsächlichen Wert der Darstellungen und Aussagen Haeckels zur Embryologie mit dem Wahrheitsgehalt der Evolutionslehre und daraus entwickelter Weltanschauungen verknüpft – so wie es Haeckel beständig tat – werden Tolerante (Hopwood 2006) und Verteidiger (Kutschera 2006) Argumente für die Rechtfertigung des methodischen Vorgehens Haeckels finden. Kritiker wie His (1875), Richardson (1997) oder Gould (1977, 2002) hatten und haben es schwerer Gehör zu finden, weil ihr Negativurteil heute den ungeliebten Beigeschmack von Evolutionskritik bzw. kreationistischer Unterwanderung aufkommen lässt. Die genannten Autoren hatten aber gerade das nie in ihrer Perspektive! Sie zeigten vielmehr, dass die Evolutionstheorie wesentlich besser ohne das „Biogenetische Grundgesetz“ und die „Embryonentafeln“ Haeckels zurechtkommt.

Löst man nämlich Haeckels Darstellungen aus seinem schützenden evolutionstheoretischen und monistischen Elfenbeinturm und betrachtet sie unter streng wissenschaftlichen Normen, wie sie zum Beispiel für eine Publikation bei Nature und Science gefordert werden, dann bleibt nur ein Urteil. Stephen J. Gould hat es m. E. am besten auf den Punkt gebracht, als er 2002 („Der Anfang vom Ende der Naturgeschichte“) Haeckels Zeichnungen als „erfundene Strukturen von vollkommener geometrischer Regelmäßigkeit", als „Idealisierungen“, „Auslassungen“ mit „Ungenauigkeiten und regelrechten Fälschungen“ kennzeichnete.

Die Auseinandersetzung mit Ernst Haeckels Darstellungen fordert heraus, beständig zu prüfen, welche Inhalte in den favorisierten wissenschaftlichen Erklärungen wie der Evolutionstheorie tatsächlich durch Fakten und Experimente bestätigt werden und welche bislang rein spekulativ aus weltanschaulich-babylonischen Türmen entsprungen sind. Dies ist ja an sich nichts Verwerfliches, wurde doch so manche Forschung erst über diesen Weg angeregt und hat erstaunliche Erkenntnisse geliefert. Aber weltanschaulich bedingte Spekulationen als bewiesene wissenschaftliche Tatsachen und gut begründete Theorien zu etikettieren, ist verwerflich.

Letzteres sollte auch in Lehrbüchern klarer herausgearbeitet werden, um solchen Fehlentwicklungen, wie Hopwood und Gould sie bei Haeckel sahen, zeitiger auf die Schliche zu kommen. „Wenn falsche Informationen erst einmal Eingang in die Lehrbücher gefunden haben, sind sie gewissermaßen eingemottet und nicht mehr auszurotten ... Allerdings können wir meines Erachtens zurecht erstaunt und beschämt darüber sein, dass sie ein ganzes Jahrhundert lang geistlos wieder verwertet wurden ...“ (Gould 2002, S. 390).

Literatur

His W (1875) Unsere Körperform. Leipzig.

Hopwood N (2006) Pictures of Evolution and Charges of Fraud. Ernst Haeckel’s Embryological Illustrations. Isis 97, 260-301.

Gould SJ (1977) Ontogeny and phylogeny. Cambridge.

Gould SJ (2002) Der Anfang vom Ende der Naturgeschichte.

Kutschera U (2006) Evolutionsbiologie. Stuttgart. 2. Auflage.

Richardson MK, Hanken J, Gonneratne ML, Pieau C, Raynaud A, Selwood L & Wright GM (1997) There is no highly conserved embryonic stage in the vertebrates. Anat. Embryol. 196, 91-106.


Autor dieser News: Henrik Ullrich, 21.02.07

 
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