Schöpfung: Design-Theorie |
Experten: Argumente gegen Design |
InhaltIn diesem Artikel wird das sog. „Argument der Unvollkommenheit“ vorgestellt, wonach es in der Schöpfung „Design-Fehler" gebe, die mit der Vorstellung von einer Schöpfung unvereinbar seien. Dieses Argument wird aus theologischer, wissenschaftstheoretischer und biologischer Sicht kritisch hinterfragt. Wissenschaftstheoretische Aspekte |
Biologen vertreten häufig die Auffassung, aus zahlreichen heutigen Konstruktionen der Lebewesen könne auf einen evolutiven Ursprung geschlossen werden. Neben dem Ähnlichkeits-Argument (vgl. Morphologie und Anatomie) werden für diese Auffassung vor allem Beispiele von Unvollkommenheiten der Natur angeführt. Zum einen wird auf Rudimentäre Organe (Rudimentäre Organe) oder auf scheinbar unverständliche ontogenetische Entwicklungsabläufe (Biogenetische Grundregel) verwiesen, zum anderen aber auch auf funktionell scheinbar nicht erklärbare Ähnlichkeiten bei Lebewesen und auf regelrechte Konstruktionsfehler. Letzteres ist Thema dieses Artikels. Aus dem (vermeintlichen) Vorkommen von Konstruktionsfehlern wird häufig ein „Argument aufgrund von Unvollkommenheit“ gemacht. Die Struktur dieses in verschiedenen Spielarten und Zusammenhängen vorkommenden Arguments wird im folgenden dargestellt und kritisiert. |
Darstellung des ArgumentsDas Unvollkommenheits-Argument findet sich bereits ausdrücklich bei Charles Darwin (1859). In den 1980er Jahren wurde es besonders durch Stephen J. Goulds „Der Daumen des Panda“ in die Diskussion gebracht und stark popularisiert. Da der seltsame Panda-Daumen sozusagen als Kronzeuge für die Existenz von Unvollkommenheiten in der Schöpfung herangezogen wird, wird in diesem Zusammenhang auch vom „Panda-Prinzip“ gesprochen. Der Daumen des Pandabären ist deshalb sonderbar, weil er anatomisch gar kein Daumen ist, sondern aus dem radialen Sesambein der Hand gebildet wird (Abb. 107). Dieser zusätzliche Daumen bildet einen sechsten Finger, mit dessen Hilfe die Pandas sehr geschickt Blätter abstreifen können. Warum aber ist der Daumen nicht so konstruiert wie beim Menschen, weshalb ist diese seltsame Konstruktion eines sechsten Fingers verwirklicht? „Die beste Lösung eines Ingenieurs wird von der Geschichte verhindert. ... Der Sesambein-Daumen gewinnt keinen Preis in einem Ingenieurswettbewerb“, schreibt Gould (1989, S. 24). Der ursprüngliche Daumen sei durch die vorlaufende Evolution auf eine andere Rolle verpflichtet, aus der er nicht entlassen werden konnte, so dass ein vergrößerter Handwurzelknochen als Ersatz verwendet werden musste. Solche scheinbar nur zweitbesten Lösungen und seltsamen Konstruktionen versteht Gould als untrüglichen Hinweis auf eine evolutive Entstehung. Die (mutmaßlich) defekten Konstruktionen sind es, die auf Evolution hinweisen, nicht die perfekten, denn Perfektion lasse sich ebensogut mit einem Schöpfungsglauben vereinbaren (Gould 1989, 39). Unvollkommenes dagegen sei mit einem Schöpfungsglauben unvereinbar. „Eine ideale Formgebung und Gestaltung ist ein schlechtes Argument für die Evolution; denn es äfft nur die vorausgesetzten Handlungen eines allmächtigen Schöpfers nach. Sonderbare Anordnungen und komische Lösungen sind der Beweis für die Evolution – also Wege, welche ein vernünftiger Schöpfer niemals eingeschlagen hätte, denen aber natürliche Prozesse unter dem Zwang der Entwicklungsgeschichte notgedrungen folgen“ (Gould 1989, 20f.). Diese Argumentation findet sich auch bei zahlreichen anderen Biologen. Beispielsweise meint Kull (1994): „Der Mensch beispielsweise ist keine mechanisch optimale Konstruktion; sein mechanisches System in Bindegewebe und Knorpel hat die Aufrichtung noch nicht bewältigt – die Folgen sind Plattfüße, Hängebauch, Bandscheibenschäden. ... Die vorausgegangene Evolution macht es in manchen Fällen unmöglich, das eigentliche Optimum zu erreichen.“ (Diese Beispiele sind freilich fragwürdig, denn die genannten Mängel haben eher mit ungesunder Lebensweise als mit schlechter Konstruktion zu tun.) „Darwins Rätsel“. Nicht nur bei unvollkommen erscheinenden Strukturen wird auf diese Weise argumentiert. So schreibt Penzlin (1994): „Eine Funktion ist erst dann richtig verstanden, wenn sie auch als ein im historischen Prozess der Evolution Gewordenes begriffen wird. Wie wäre es sonst verständlich, dass die Wale ihren Sauerstoff aus der Luft beziehen und nicht, wie die meisten Bewohner des Meeres, mit Hilfe von Kiemen atmen?" Dieses Argument findet sich bereits ausführlich bei Darwin; es wird häufig am Beispiel des Extremitätengerüsts der Landwirbeltiere festgemacht (Abb. 45). Darwin (1859, 415) schreibt: „What can be more curious than that the hand of a man, formed for grasping, that of a mole for digging, the leg of a horse, the paddle of the porpoise, and the wing of the bat, should all be constructed on the same pattern, and should include the same bones, in the same relative positions?“ Es erscheint nicht einsichtig, weshalb trotz verschiedener Funktionen der Extremitäten bei den Wirbeltieren derselbe Bauplan verwirklicht ist. ReMine (1993, 15) nennt dieses Argument „Darwins Rätsel": Weshalb sollte ein Schöpfer ähnliche Designs für verschiedene Zwecke (z. B. Vorderextremitäten der Wirbeltiere) und in anderen Fällen verschiedene Designs für denselben Zweck verwenden (Analogie (=Ähnlichkeiten aufgrund ähnlicher Funktion trotz verschiedenem Bauplan), z. B. Vogelflügel, Fledermausflügel, Insektenflügel)? Die Verwendung gleicher Baupläne für verschiedene Zwecke widerspreche der Freiheit eines Schöpfers. Ridley argumentiert am Beispiel der Bauchknochen der Walartigen (Abb. 77), dass die Tatsache, dass sie nicht funktionslos seien, nicht gegen ihre Homologie spreche; und in der Homologie mit Becken- und Extremitätenknochen der Landsäugetiere liege ein Beleg für Makroevolution. Denn: „Why, if whales originated independently of other tetrapods, should they use bones that are adapted for limb articulation to support their reproductive organs? If they were truely independent, some other support would be used“ (Ridley 1996, 57). |
Theologische ArgumentationDie ersten beiden Voraussetzungen sind offenkundig theologischer Natur, da sie nur im Zusammenhang mit Mutmaßungen über die Handlungsweisen eines Schöpfers formuliert werden können: Ein Schöpfer würde keine Unvollkommenheiten erschaffen oder er würde nicht dieselben Baupläne für verschiedene Funktionen verwenden (vgl. Extremitätenknochen der Landwirbeltiere). Gleichwohl ist diese Art der theologischen Argumentation sehr problematisch, denn woher sollte einem der Empirie (=Erfahrung, Beobachtung) verpflichteten Naturwissenschaftler bekannt sein, wie ein Schöpfer bei der Erschaffung vorgeht? Aussagen über die Handlungsweisen eines Schöpfers könnten nur durch Offenbarung gewonnen werden. Wenn also Aussagen über Gottes Handeln zugrundegelegt werden, wird eine Grenzüberschreitung begangen. Dabei müsste angegeben werden, was für ein Schöpfungsverständnis und welches Gottesbild zugrundegelegt werden. Im Rahmen einer an der Bibel orientierten Schöpfungslehre ist zu bedenken, dass nach biblischen Aussagen die heutige Schöpfung von einer ursprünglichen unterschieden wird. Während die Schöpfung heute als „unter der Knechtschaft der Vergänglichkeit seufzend“ geschildert wird (Römer 8,19ff.), gab es in der ursprünglichen Schöpfung keinen Tod (vgl. Die biblische Urgeschichte im Neuen Testament). In biblischer Perspektive kann aus der Struktur der heutigen Schöpfung gar nicht unmittelbar auf Gottes ursprüngliches Schöpfungshandeln geschlossen werden. Damit ist dem Argument der Unvollkommenheit sozusagen der theologische Boden entzogen, jedenfalls im Rahmen einer biblischen Theologie. Damit gelangen wir zu einem weiteren Aspekt. Das Unvollkommenheits-Argument setzt eine statische Schöpfung voraus, indem es davon ausgeht, an der heutigen Schöpfung unmittelbar Gottes Schöpfungshandeln ablesen zu können. Doch wie gerade erläutert, ist dies keine notwendige Voraussetzung für ein Schöpfungskonzept; vielmehr beinhaltet die biblische Schöpfungslehre sogar ausdrücklich eine dynamische Schöpfungsvorstellung. Dazu gehört zum einen der erwähnte theologisch begründete Unterschied zwischen der heutigen und ursprünglichen Schöpfung. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass das Grundtypmodell (Heutige Grundtypen) mikroevolutive Prozesse einschließt. In deren Rahmen kann es auch zu Rückbildungen und auf diese Weise zu „Unvollkommenheiten“ kommen. Wird also theologisch argumentiert, so muss erklärt werden, welches Schöpfungsverständnis zugrundegelegt wird. Darüber hinaus muss aber auch dargelegt werden, wie die Lebensstrukturen aussehen müssten, die von einem „intelligenten Schöpfer" erschaffen wurden. Darüber wird gewöhnlich nicht explizit Rechenschaft abgegeben. Die eingangs dieses Abschnitts präsentierte Argumentationskette ist also dann anfechtbar, wenn keine klaren Vorstellungen darüber entwickelt und begründet werden, was im Rahmen eines Schöpfungsverständnisses der Natur in Bezug auf den Bau und die Merkmalsverteilungen der Lebewesen zu erwarten wäre. |
Wissenschaftstheoretische AspekteContra Schöpfung = Pro Evolution? Die Argumentation mit „Unvollkommenheit“ beruht des weiteren stillschweigend auf einem „Entweder – Oder": Entweder Schöpfungsglaube oder Evolutionslehre – wobei ein ganz bestimmter Schöpfungsglaube im Hintergrund steht, nämlich der Glaube von einer heute perfekten Schöpfung (siehe oben). Es wurde bereits vermerkt, dass diese undifferenzierte Form der Schöpfungsvorstellung nicht allein maßgeblich ist und insbesondere nicht der biblischen entspricht. Aber auch wissenschaftstheoretisch ist die Argumentation nicht haltbar. Denn Kritik an einer bestimmten Ursprungsvorstellung begründet nicht eine andere. Was gegen Schöpfung spricht oder sprechen soll, passt nicht automatisch zur Evolutionstheorie. Dies gilt natürlich auch anders herum. Gould und andere argumentieren, man könne an den vollkommenen Strukturen keine Geschichte ablesen, wohl aber an den unvollkommenen. Doch das stimmt nicht, denn weshalb müssen Unvollkommenheiten eine Geschichte haben? Dafür gibt es keine Notwendigkeit. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass „Unvollkommenheit“ relativ ist und aus einem Design-Kompromiss herrühren kann, der im Rahmen einer Schöpfungsvorstellung genauso zu fordern ist wie im Rahmen von Makroevolution (vgl. dazu w. u.). „Unvollkommenheiten“ können also durchaus in der verwirklichten Form als geschaffen interpretiert werden. Insgesamt fehlt dem „Unvollkommenheits-Argument“ damit auch eine solide wissenschaftstheoretische Basis. Ist eine Design-Theorie testbar? Häufig werden schöpfungstheoretische Überlegungen als unwissenschaftlich oder pseudowissenschaftlich bezeichnet, da sie keine Testmöglichkeiten böten. Andererseits wird im Zusammenhang mit dem Unvollkommenheits-Argument behauptet, Erwartungen der Schöpfungslehre seien widerlegt worden. Hier liegt eine offenkundige Inkonsistenz der Kritik vor, denn eine nicht-prüfbare Theorie könnte auch nicht widerlegt werden. Die Frage nach der Testbarkeit einer Design-Theorie wird im Artikel Kontroverse um „Intelligent-Design“ behandelt, aber auch weiter unten im Abschnitt „Design-Fehler, Forschungsanreize und Testbarkeit“ angesprochen. |
Biologische KritikNachweis von Unvollkommenheit. Das „Unvollkommenheits-Argument“ ist auch biologisch problematisch, weil es nur sticht, wenn die Unvollkommenheit auch nachgewiesen wird oder wenigstens plausibel gemacht werden kann. Bei der Präsentation des Arguments anhand des Panda-Daumens stellt Gould (1989, 21) selber fest, dass er über die Geschicklichkeit der Tiere erstaunt sei. Wieso sollte der Panda-Daumen also unvollkommen sein? Das Unvollkommenheits-Argument steht und fällt mit dem Nachweis, dass die betrachtete Struktur besser konstruiert werden könnte. Dieser Nachweis aber gestaltet sich als äußerst schwierig, wenn nicht als unmöglich. Ein japanisches Forscherteam (Endo et al. 1999) hat vor einigen Jahren mit modernsten Forschungsmethoden wie Computertomographie und Magnetresonanzverfahren die Panda-Tatze erneut untersucht. Die Forscher zeigten, dass die Funktionsweise des Pseudodaumens im Zusammenspiel mit einer weiteren anatomischen Besonderheit verstanden werden muss. Der Panda kann einen effektiven Zangengriff ausüben und dadurch mit großer Geschicklichkeit und Genauigkeit zu seiner Lieblingsnahrung greifen (vgl. Abb. 108). Endo et al. (1999) haben damit gezeigt, dass bei der Panda-Tatze viel feinere Greifmechanismen verwirklicht sind, als in früheren morphologischen Modellen vermutet worden war. Angesichts dieser Ergebnisse und der Tatsache, dass die Pandabären ihre Tatze offenbar sehr gekonnt und zweckmäßig einsetzen, bleibt wenig Raum für den Nachweis einer „Unvollkommenheit". Das „Panda-Prinzip" steht ausgerechnet im Falle seines Kronzeugen auf schwachen empirischen Füßen. Das Beispiel des Panda-Daumens zeigt, dass Behauptungen über Unvollkommenheiten mit Vorsicht zu betrachten sind. Ohne Rückgriff auf stammesgeschichtliche Hypothesen kann zunächst allenfalls nur festgestellt werden, dass der Bau eines Organs unverstanden ist. Die Behauptung einer Unvollkommenheit nimmt Bezug zu einer mutmaßlichen evolutionären Vorgeschichte. Wenn beim Panda-Bären eine phylogenetische Beziehung zu anderen Bären hergestellt wird, dann kann natürlich im Nachhinein dessen Tatze im Sinne eines Anbaus gedeutet werden; die Argumentation hängt damit aber von der Vorgabe evolutionärer Vorstellungen ab. Entsprechendes gilt für die Behauptung von Funktionslosigkeit (Rudimentäre Organe). Vermutlich gibt es zahlreiche Organe, deren Funktionalität – anders als beim Panda-Daumen – nicht hinreichend geklärt ist. Aber auch dann gilt, dass es sich allenfalls um mögliche Hinweise auf Suboptimalität in der Natur handelt; das „Unvollkommenheits-Argument“ ist auch dann ein „weiches“ Argument, da es jederzeit durch Erweiterung der Funktionskenntnisse des jeweils in Rede stehenden Organs widerlegt werden kann. Als Ergebnis kann festgehalten werden: Unvollkommenheiten in der Natur können nicht objektiv festgestellt werden und damit nicht als Belege für Evolution dienen, sondern lediglich im Nachhinein unter Vorgabe der Evolutionstheorie gedeutet werden (im Sinne eines evolutiven Umbaus oder einer Verkümmerung). Der Teil und das Ganze. Die Organe der Lebewesen sind in der Regel polyfunktional (=viele Funktionen ausübend). Sie müssen gleichzeitig verschiedene Zwecke erfüllen. Das bedeutet notwendigerweise, dass nicht jede einzelne Struktur für jeden Zweck, den sie erfüllt, optimal sein kann. Kompromisse sind unvermeidlich. Ein Urteil über die Vollkommenheit eines Organs kann sinnvollerweise nur gefällt werden, wenn der Organismus als Ganzes, einschließlich seiner Ontogenese (=individuelle Entwicklung von der Befruchtung bis zum Tod), im Blick ist. Die isolierte Betrachtung einzelner Organe ist verfehlt, erst recht, wenn diese im Hinblick auf nur eine von evtl. mehreren Funktionen bewertet werden. Nelson (1996, 505f.) präsentiert dazu folgendes Beispiel: Die Schwimmflossen von Meeresschildkröten scheinen schlecht gebaut zu sein, um mit ihnen für die Eiablage Löcher im Sand von Stränden zu graben. Dieselben Flossen sind jedoch für die Fortbewegung im Wasser, wo sich die Meeresschildkröten meistens aufhalten, sehr effektiv gestaltet. Das Vorliegen oder das Fehlen von Optimalität kann nur festgestellt werden, wenn alle Funktionen bekannt sind und berücksichtigt werden. Nicht-Vorhersagbarkeit und Plastizität von Evolutionstheorien. Die Anatomie des Panda-Daumens wurde nicht aufgrund von evolutionstheoretischen Überlegungen heraus vorhergesagt. Das gilt auch für andere „Unvollkommenheiten“, folglich können sie auch nicht als Belege für Evolution gelten. Man könnte im evolutionstheoretischen Rahmen nämlich durchaus auch die Erwartung formulieren, dass der erste Finger der Panda-Tatze wieder in eine opponierbare (=hier: den übrigen Fingern entgegengestellte) Stellung hätte gebracht werden können. Wer evolutionstheoretisch orientiert ist, muss evolutionären Prozessen noch viel gewaltigere Umbauvorgänge zutrauen. Warum also hätte der Panda-Daumen nicht aus seiner mit den anderen Fingern fixierten Position wieder herausgelöst werden können? Offenbar laufen also evolutionstheoretische Deutungen hier nicht nach dem Muster „Vorhersage – Prüfung – Bestätigung/Widerlegung“ ab, vielmehr liegt eine Art Wechselwirkung zwischen den Daten und der jeweiligen Formulierung evolutionstheoretischer Hypothesen vor. Die Evolutionstheorie wird den Daten immer wieder neu angepasst. Auch überraschende Daten führen nicht zur Hinterfragung der Evolutionstheorie, sondern nur zu ihrer Modifikation. Die Option einer Widerlegung scheint dabei ausgeschlossen zu sein. ReMine (1993) spricht in diesem Zusammenhang von der Plastizität der Evolutionstheorie (vgl. dazu auch Evolutionsparadigma und Naturwissenschaft). Man hätte beispielsweise erwarten können, dass es keine nennenswerten Widersprüche zwischen morphologisch begründeten und molekularen Stammbäumen geben sollte (vgl. Hillis 1987; Patterson 1993). Ebenso könnte man aus der Evolutionstheorie die Erwartung folgern, dass aufgrund der zugrundeliegenden Zufallsprozesse keine oder allenfalls nur sehr ausnahmsweise Konvergenzen auftreten (vgl. Morphologie und Anatomie). Beides ist bekanntlich nicht der Fall, ohne dass Makro-Evolution damit in Frage gestellt wird. Vielmehr führen diese Befunde dazu, neue evolutionstheoretische Vorstellungen zu entwickeln. Genau darin zeigt sich die Plastizität der Evolutionstheorie. Es soll damit nicht behauptet werden, dass Schöpfungsvorstellungen weniger plastisch wären, sondern es geht um die Einsicht, dass erst die Vorgabe einer Ursprungsvorstellung Deutungen erlaubt und dass die Daten nicht bestimmte Deutungen erzwingen. Während Schöpfungsvorstellungen häufig mit dem Einwand konfrontiert werden, dass in deren Deutungsrahmen alles vorhergesagt werden könne, so dass keine Prüfungs- und Widerlegungsmöglichkeit gegeben sei, seien evolutionäre Deutungen prüfbar und widerlegbar. Es hat sich aber gezeigt, dass diese Behauptung in dieser einfachen Form nicht stimmt. (Weiteres dazu in Evolutionsparadigma und Naturwissenschaft.) Grundtypen und Mikroevolution. Wenn mutmaßliche Unvollkommenheiten durch mikroevolutive Prozesse im Grundtyprahmen erklärbar sind (vgl. Mikro- und Makroevolution und Heutige Grundtypen), sind sie auch im schöpfungstheoretisch interpretierten Grundtypmodell erklärbar und können in diesem Rahmen durchaus auch erwartet werden. Entsprechendes gilt für Homologiefeststellungen innerhalb von Grundtypen. Bauplangemeinsamkeiten innerhalb von Grundtypen werden auch in schöpfungstheoretischer Perspektive durch Abstammung von einem gemeinsamen Vorläufer interpretiert (Grundtypdiversifikation, die meist durch Spezialisierungen erfolgt). Als möglicherweise suboptimal im Rahmen einer Mikroevolution angepasst kann beispielsweise die Hawaiigans (Abb. 109) betrachtet werden. Im Gegensatz zu den anderen Gänsen ist sie weder ein Schwimmvogel noch ein Zugvogel. Von Menschen auf Hawaii verschleppt, hat sie sich als Landgans spezialisiert und lebt auf Lavaflächen (Bardell 1997). Gelegenheit zum Schwimmen gibt es kaum. Passend für diesen Lebensraum hat die Hawaiigans längere Beine und kräftigere Zehen entwickelt. Die Schwimmhäute sind reduziert, jedoch nicht ganz verschwunden. Ideal wäre es auf dem oft rauhen Untergrund vermutlich, wenn sie gar keine Schwimmhautreste mehr hätte. Alle Gänse gehören zusammen mit den Enten und Schwänen zu einem Grundtyp (siehe Artbegriffe und Heutige Grundtypen). Nach dem Grundtypmodell handelt es sich bei der Hawaiigans demnach um eine Spezialisierung innerhalb eines Grundtyps. Das heißt, sie wurde nicht in der jetzt vorliegenden spezialisierten Ausprägung erschaffen, und ihre mutmaßliche „Unvollkommenheit" kann im Rahmen der Grundtypenbiologie nicht auf das Konto der Schöpfung geschlagen werden. Optimalität als Indiz gegen Evolution? In evolutionstheoretischer Perspektive sind optimale Strukturen nicht unbedingt zu erwarten. Zoglauer (1991) weist darauf hin, „dass der Vorstellung einer Optimierung durch Evolution eine falsche Projektion der Struktur technischen Handelns auf die Natur zugrundeliegt“ (S. 194). Technische Werte würden vom Menschen definiert, weil mit der Konstruktion eines Objekts ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll. Dieses Ziel bestimme den Wert der zu optimierenden Größe. Da bei der biologischen Evolution dieses Ziel von vornherein fehle, könne man den Naturprodukten auch keine Werte oder Qualitäten zusprechen (S. 209). Andernfalls müsse man eine teleologische Biologie voraussetzen. „Jede Ware hat einen Wert für den Verbraucher, während die Fitness eines Organismus keinen Wert für irgendjemanden darstellt“ (S. 210). Aufgrund dieser Überlegungen bezweifelt Zoglauer, „daß es in der Evolution Größen gibt, die optimiert werden“ (S. 211). „Optimierung ist an Ziele oder Zwecke gebunden, die es in der Natur nicht gibt. ... Optimalität ist daher kein Wesensmerkmal der Natur, das ihr unabhängig von unserem Erkennen und unserem Dasein zukommen würde“ (S. 212). An diese Argumentation kann sich eine interessante Fragestellung anschließen: Können optimal konstruierte Strukturen nachgewiesen werden, deren Optimalität unter evolutionstheoretischen Prämissen gar nicht zu erwarten wäre? Genau das behauptet Weindel (2000) für ein biochemisches Beispiel: die Bindestärke der Basenpaarung der DNA. Weindel zeigt, dass unter Ursuppenbedingungen auf der alleinigen Basis physico-chemischer Vorgänge eine maximale, nicht aber eine für die biologische Funktion optimale Bindestärke der Nucleobasen zu erwarten gewesen wäre. Da jedoch die biochemisch optimale Bindestärke verwirklicht ist, komme man nicht umhin, eine Zielvorgabe zu postulieren. Doch genau dies kann evolutionstheoretisch nicht vorausgesetzt werden. Es könnte eine reizvolle Aufgabe sein, weitere Beispiele dieser Art aufzuspüren. Die Aufgabe kann noch etwas weiter gefasst werden: Leisten manche Strukturen des Lebens mehr, als vom Standpunkt des Überlebensvorteils und der Nachkommenproduktion zu erwarten wäre? Das wäre sozusagen das umgekehrte Argument zum Unvollkommenheitsargument. Dieses Argument wird im Artikel Spielerische Komplexität behandelt. |
Design-Fehler, Forschungsanreize und TestbarkeitWeiter oben wurde gezeigt, dass das Unvollkommenheits-Argument auf konkreten theologischen Vorstellungen über den Schöpfer aufbaut. Denn ein unbekannter Schöpfer könnte schließlich ebensogut sehr gute als auch fehlerhafte Konstruktionen erschaffen, wenn es ihm beliebt. Ohne konkrete Vorstellungen über die Attribute des Urhebers können also keine Erwartungen an die Qualität der lebendigen Konstruktionen abgeleitet werden. Daraus folgt aber auch, dass ohne Konkretisierungen des Gottesbildes auch nichts darüber gesagt werden kann, ob Design-Fehler erwartet werden können. Einem Schöpfer steht es ja frei, Unvollkommenes, Fehlerhaftes zu erschaffen. Wenn aber Design-Fehler die Existenz eines intelligenten Urhebers nicht in Frage stellen könnten, wäre das Intelligent-Design-Konzept auf diesem Wege auch nicht prüfbar. Sowohl das Fehlen als als auch das Vorkommen von Design-Fehlern wäre mit der Existenz eines Urhebers bzw. mit dem Intelligent Design-Konzept kompatibel. Wird jedoch konkret vom christlichen Gottesbild ausgegangen, das sich auf die biblische Überlieferung stützt, können daraus allgemeine Attribute des Schöpfers abgeleitet werden. Wenn etwa der Prophet Jeremia auf die „Kraft“, „Weisheit“ und „Einsicht“ der Schöpfers hinweist (Jeremia 10,12; vgl. Kapitel 1), so folgen kaum beliebige Erwartungen an die geschaffenen Konstruktionen der Lebewesen. Vielmehr kann man folgende Erwartung formulieren: Eine primäre (schöpfungsbedingte) Funktionslosigkeit, die weder als Rückbildung (vgl. Rudimentäre Organe) noch als Luxusstruktur (vgl. Spielerische Komplexität) plausibel gemacht werden kann, ist im Rahmen des Schöpfungsparadigmas nicht zu erwarten. Mutmaßliche Design-Fehler als Forschungsanreiz. In Schöpfung und Wissenschaft wird im Anhang 1 („Evolutionsparadigma als Forschungshindernis?“) darauf hingewiesen, dass im Rahmen des Evolutionsparadigmas der Verweis auf Konstruktionsmängel eher dazu angetan ist, Forschung zu verhindern als zu fördern. Denn wenn bestimmte Organe als evolutionsbedingt funktionslos oder funktionsschwach beurteilt werden, kann diese Deutung kaum die Erforschung funktioneller Zusammenhänge anregen. Wenn die Suche nach Funktionen trotzdem vorangetrieben wird, dann ist dies kaum durch das Evolutionsparadigma motiviert, sondern eher durch die Vorstellung von der Zweckhaftigkeit der Organe. Die oben formulierte biblisch motivierte Voraussetzung, ein Schöpfer werde nichts Fehlerhaftes erschaffen, bietet jedenfalls einen starken Forschungsanreiz, vermeintlichen Fehlern auf den Grund zu gehen und auf diesem Wege neue Erkenntnisse zu gewinnen. Evolutionstheoretisch könnte man allenfalls annehmen, dass Diskrepanzen zwischen Struktur und Funktion im Laufe der Zeit selektiv eliminiert werden. Das heißt: Funktionslos gewordene Strukturen werden solange abgebaut (durch Verlustmutationen), bis eine vorübergehende Diskrepanz zwischen Struktur und Funktion wieder ausgeglichen ist. Solche Diskrepanzen wären evolutionstheoretisch daher nur in einer vorübergehenden Phase als Ausnahmen zu erwarten. Aufgrund der Selektionsdrücke sollten Diskrepanzen zwischen Struktur und Funktion nach einiger Zeit verschwinden. Findet man dennoch Beispiele vermeintlicher Diskrepanzen, könnte man daher auch unter evolutionstheoretischen Prämissen motiviert sein, die Kenntnisse über Struktur-Funktions-Beziehungen zu erweitern, um die nicht erwartete Diskrepanz als nur scheinbar zu entlarven. Als in den letzten Jahren häufig diskutiertes Beispiel kann hier die Deutung scheinbar funktionsloser DNA als „Junk-DNA“ bzw. als evolutionärer Müll erwähnt werden. Die Suche nach Funktionen der nicht protein-codierenden DNA ist sicher nicht durch die Vorstellung motiviert, dass es sich dabei um evolutiven Müll handelt. Auch hier können spezielle Evolutionstheorien die Suche nach Funktionen motivieren; diese Suche ist aber von vornherein im Rahmen des Schöpfungsparadigmas motiviert, wenn eine intelligente Schöpfung vorausgesetzt wird. Wichtig für die Frage nach der heuristischen Fruchtbarkeit des Schöpfungsparadigmas ist die Feststellung, dass in dessen Denkrahmen Forschung stark motiviert ist, wenn Konstruktionen mangelhaft erscheinen. Zunächst vermutete Diskrepanzen zwischen Struktur und Funktion können nur durch weitere Forschungen aufgelöst werden. Forschung könnte aber auch dazu führen, dass diese Diskrepanzen umso deutlich hervortreten und zunehmend plausibler werden. Damit aber würde die biblische Sicht vom Intelligenten Design an Plausibilität verlieren. Wie immer in naturhistorischen Fragen kann es auch hier nur um Plausibilitäten gehen (vgl. Methodik der historischen Forschung), doch ist klar, dass bei weitem nicht jeder Befund gleichermaßen zum Ansatz der biblischen Schöpfungslehre passt. Nachträgliche Veränderungen der ursprünglichen Designs. Weiter oben wurde erwähnt, dass ursprüngliche Designs nach ihrer Erschaffung durch mikroevolutive Prozesse im Grundtyprahmen verändert worden sein könnten. Dies gilt insbesondere, wenn die biblische Schöpfungslehre vorausgesetzt wird, denn nach biblischem Verständnis ist die heutige Schöpfung nicht mit der Ursprungsschöpfung identisch. Während die Schöpfung heute als „unter der Knechtschaft der Vergänglichkeit seufzend“ geschildert wird (Römer 8,19ff.), gab es in der ursprünglichen Schöpfung keinen Tod (vgl. Die biblische Urgeschichte im Neuen Testament und Biblische Aussagen zur Existenzweise der Lebewesen). In biblischer Perspektive kann aus der Struktur der heutigen Schöpfung daher nicht unmittelbar auf Gottes ursprüngliches Schöpfungshandeln geschlossen werden. Daraus folgt, dass Degenerationen und damit einhergehende Konstruktionsmängel als nachträgliche Veränderungen ursprünglicher Designs möglich und sogar zu erwarten sind. Denn auch im Rahmen des Schöpfungsparadigmas gibt es eine Geschichte der Lebewesen; die Schöpfung ist nicht statisch. Die geschaffenen Lebewesen befinden sich nicht mehr im Originalzustand. Nun könnte man an dieser Stelle einwenden: Perfektes Design ist das, was geschaffen ist, Konstruktionsmängel dagegen Produkt natürlicher Vorgänge nach der Erschaffung. Daraus könnte eine Immunisierung gegen Kritik resultieren, denn was immer man auch beobachtet – perfektes oder „minderwertiges“ Design –, es würde immer passen; Testbarkeit und Falsifikation wären ausgeschlossen. Doch so einfach ist die Sachlage nicht. Denn im Rahmen des hier vorausgesetzten Grundtypmodells können nur mikroevolutive Prozesse herangezogen werden, um sekundäre Konstruktionsmängel zu erklären (zum Beispiel bei blinden Höhlenfischen). Eine genauere Analyse muss also im Einzelfall zeigen, ob ein „Design-Fehler" überhaupt als nachträglich eingestuft werden kann. Dass es sich also nicht um eine primäre (schöpfungsbedingte) Funktionslosigkeit handelt, muss im Einzelfall plausibel gemacht werden und darf selbstverständlich willkürlich behauptet werden. Auch hier gilt: 1. Diese Klärungen sind nur durch Forschung möglich und diese Forschung ist ergebnisoffen. 2. Es können wie immer in historischen Fragen nur Plausibilitäten abgewogen werden. |