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Evolution: Ursprungsforschung und Naturalismus

Experten: Wissenschaft und Weltanschauung

Inhalt

Es wird dargelegt, dass in der Wissenschaft, insbesondere in der Ursprungsfrage unvermeidlich weltanschauliche Vorgaben den konkreten wissenschaftlichen Arbeiten zugrundeliegen. Ohne diese Vorgaben kann die Ursprungsfrage nicht beantwortet werden. Diese Vorgaben haben weltanschaulichen Charakter, da sie nicht aus Beobachtungen hergeleitet und nicht zwingend widerlegt werden können.

Weltanschaulicher Naturalismus

Können Ursprungstheorien scheitern?

Ist der Naturalismus falsifizierbar?

Wird der Naturalismus methodologisch erzwungen?

Literatur

Weitere Fragen zu diesem Thema

Weltanschaulicher Naturalismus

Jede wissenschaftliche Tätigkeit ist in einen größeren Zusammenhang eingebettet, der über den eigentlichen wissenschaftlichen Bereich hinausgeht. Die Methode der empirischen Wissenschaften (Methodik der empirischen Forschung) ist ein wirksames Werkzeug, mit dem zahlreiche Erkenntnisse gewonnen werden können. Zweifellos hat sich diese Methode als sehr erfolgreich erwiesen, wenn es um die Beschreibung der Natur und um das Aufdecken von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen geht. Dennoch hat dieses Werkzeug seine Grenzen; es ist kein Universalwerkzeug, mit dem alle Fragen des Lebens beantwortet werden können.

In Fragen der Ursprünge und der Geschichte kann die empirische Methode nur begrenzt relevante Daten anliefern und Hypothesen sind nur sehr eingeschränkt testbar (s. Artikel Methodik der historischen Forschung). Darüber hinaus ist es aber auch nicht möglich, mittels objektiver Daten festzustellen, ob die empirisch fassbaren Mechanismen überhaupt ausreichen, um alle Fragen des Lebens und seines Ursprungs zu beantworten. Im Artikel Die heutige Stellung vieler Biologen wurde Richard Lewontin zitiert, der von einer „Festlegung“ auf empirisch fassbare Mechanismen spricht, die offenkundig weltanschaulich begründet ist. Der zugrundeliegende Naturalismus hat hier nicht nur eine methodische Seite, sondern – wie man es in der Philosophie sagt – eine ontologische, d. h. eine seinsmäßige. Oft wird hier auch der Begriff „weltanschaulich“ verwendet. Die beiden Versionen des Naturalismus kann man wie folgt kennzeichnen:

  • Naturalismus als Methode: Es werden nur Erklärungen zugelassen, die sich auf natürliche Vorgänge beziehen, die also empirisch begründbar sind. Es bleibt offen, ob überhaupt alle Vorgänge, die in der Natur geschehen oder geschehen sind, ausschließlich auf natürliche Ursachen zurückgehen. Eine transzendente Schöpfung wird nicht prinzipiell ausgeschlossen.
  • Naturalismus als Weltanschauung (Ontologie): Alle Vorgänge in der Natur, auch die Ursprünge sind durch ausschließlich natürliche Vorgänge erklärbar. Es geht und ging in der Welt ausschließlich mit natürlichen Dingen zu. Eine transzendente Schöpfung wird ausgeschlossen; die Natur ist „alles“.

Der Naturalismus soll in diesem Artikel ausschließlich ontologisch bzw. weltanschaulich (also nicht nur methodisch) verstanden werden. „Naturalismus“ steht demnach für „Positionen, in denen Geltungsansprüche allein auf natürliche (wissenschaftlich erfaßte) Tatbestände, auf natürliche Genesen oder natürliche Einsichten gestützt werden“ (Mittelstrass 2004). Der ontologische Naturalismus geht aber über die Beschränkung auf „Geltungsansprüche“ hinaus, denn die natürliche Welt (der Mensch eingeschlossen) und die sie erklärenden Wissenschaften werden „als alleinige und hinreichende Basis zur Erklärung aller Dinge" betrachtet (Mittelstrass 2004). Demgegenüber bezeichnet „Supranaturalismus“ die Auffassung, „daß die erfahrbaren ... Dinge durch ein nicht mehr erfahrbares (unendliches und ewiges), d. h. ‘übernatürliches’ Prinzip in ihrer Existenz oder ihrem Sein begründet bzw. in ihrem Sinn bestimmt werden" (Schwemmer 2004). Wie im Artikel Methodik der historischen Forschung ist nachfolgend öfter vom Schöpfungsparadigma die Rede. Darunter wird ein von Naturgesetzen nicht ableitbares ins-Dasein-Kommen (der ursprünglichen Lebewesen) durch Befehle Gottes („durch das Wort“) verstanden. Im Rahmen des Schöpfungsparadigmas können konkrete prüfbare Hypothesen und Theorien aufgestellt werden (Schöpfung und Wissenschaft. Sie werden als „Grundtypenbiologie“ zusammengefasst (Heutige Grundtypen, Genetisch polyvalente Stammformen von Grundtypen).

Was ist mit „Weltanschauung“ gemeint? „Weltanschauung“ bedeutet in unserem Zusammenhang eine von vornherein (a priori) gefasste Festlegung auf bestimmte Voraussetzungen, die vor aller Erfahrung getroffen werden und nicht durch Erfahrung (empirisch) begründet werden können. Es geht also um Grenzüberschreitungen in einen Bereich, der außerhalb des empirisch Begründbaren liegt. 

  • Der weltanschauliche bzw. ontologische Naturalismus ist darauf festgelegt, dass in der Welt nur natürliche Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge vorkommen. Offene Fragen sind in dieser Denkweise niemals ein Hinweis auf einen transzendenten Schöpfer. Eine solche Denkvoraussetzung kann nicht aus der Erforschung der Natur hergeleitet werden.
  • Das biblisch begründete Schöpfungsparadigma beinhaltet ganz allgemein, dass es eine transzendente Schöpfung gab. In der Biologie wird dies häufig konkretisiert: Die Geschichte des Lebens begann mit fertig erschaffenen Grundtypen. Das Leben begann in komplexer Gestalt. Auch diese Sicht kann nicht aus der Erforschung der Natur abgeleitet werden.

Können Ursprungstheorien scheitern?

Evolutionsforschung ist der Versuch, die Entstehung und Entfaltung des Lebens ausschließlich durch natürliche Prozesse verständlich zu machen. Diese Forschung geschieht somit im Rahmen des ontologischen Naturalismus. Was aber geschieht, wenn dieses Vorhaben scheitert? Wann könnte es als gescheitert gelten? Kann es überhaupt endgültig scheitern?

Beispielsweise liegt nach mittlerweile 50 Jahren weltweit vorangetriebener, intensiver Bemühungen keine Antwort darauf vor, wie Leben aus Nichtleben entstanden sein könnte (s. z. B. Entstehung von Proteinen und Entstehung von Nukleinsäuren und andere Artikel unter „Präbiotische Chemie“). Diese Einschätzung wird von vielen Naturwissenschaftlern geteilt, die selbst auf diesem Gebiet geforscht haben. Welche Schlussfolgerung ist daraus zu ziehen? Wird das Forschungsziel „natürliche Erklärung der Entstehung des Lebens“ aufgegeben? Viele Biologen räumen auch ein, dass durch die bekannten Evolutionsmechanismen die Entstehung komplexer biologischer Strukturen aus einfachen Vorläufern bisher nicht erklärt werden konnte. Welche Konsequenzen hat dies? Ist diese Situation ein Anlass, die naturalistische Grundvoraussetzung der Evolutionslehre in Frage zu stellen?

Die Erfahrung zeigt, dass ein Scheitern evolutionärer Erklärungsansätze in aller Regel nicht dazu führt, das Forschungsziel einer naturalistischen Erklärung der Entstehung des Lebens aufzugeben. Weshalb? Häufig wird darauf verwiesen, dass zukünftige Forschungsergebnisse die gegenwärtigen Widersprüche auflösen und Wissenslücken füllen werden. Entsprechend kann bei ungelösten Fragen oder Falsifizierungen im Rahmen von Schöpfungsanschauugen argumentiert werden.

Der Artikel Evolutionsparadigma und Naturwissenschaft befasst sich mit dem wissenschaftstheoretischen Status von Evolutionstheorien; darin wird auch die Frage nach einem möglichen Scheitern bzw. nach der Falsifizierung von Evolutionstheorien aufgeworfen und ausführlicher als hier behandelt.

Wie die empirisch und historisch arbeitende Naturwissenschaft im Rahmen von Schöpfungsmodellen methodisch vorgeht, wird im Artikel Schöpfung und Wissenschaft behandelt.

Ist der Naturalismus falsifizierbar?

Das Evolutionsparadigma fußt auf dem ontologischen Naturalismus. Deren Befürworter behaupten, die Axiome des Naturalismus seien grundsätzlich revidierbar. Das treffe auf den Supranaturalismus bzw. das Schöpfungsparadigma nicht zu, da man – egal, was man auch beobachtet – immer sagen könne, Gott habe das Beobachtete eben auf diese Weise geschaffen. So sei eine chaotische Welt im Rahmen des Schöpfungsparadigmas ebenso denkbar wie eine regelhaft geordnete. Dagegen wäre der Naturalismus keine wissenschaftlich tragfähige Weltanschauung und müsste verworfen werden, wenn die Welt nicht gesetzesmäßig beschreibbar, sondern völlig chaotisch wäre. Eine wissenschaftliche Haltung nehme alles auf den Prüfstand, auch die Grundlagen, auf denen gearbeitet werde. Eine solche Haltung nehme jedoch der Supranaturalismus und mit ihm das Schöpfungsparadigma nicht ein, da bestimmte Vorgaben dogmatisch unter allen Umständen festgehalten würden.

Am Ursprung der modernen Wissenschaft, in der Physik des 16.-18. Jahrhunderts, wurde jedoch bezüglich Chaos und Ordnung in der Welt genau umgekehrt als soeben dargelegt argumentiert: Die aus der Regelhaftigkeit der Natur gefolgerten Naturgesetze können nicht auf Zufall beruhen; vielmehr weisen sie auf einen intelligenten Schöpfer zurück (sog. „physiko-theologischer bzw. teleologischer Gottesbeweis“). Gerade von daher gesehen ist nicht einsichtig, warum eine chaotische, gesetzesmäßig nicht beschreibbare Welt nicht naturalistisch verstanden werden könnte. Naturalistisch gesehen könnte eine chaotische Welt vielmehr ohne Weiteres erwartet werden; von einer Widerlegung des Naturalismus könnte in diesem Fall keine Rede sein. Damit stellt sich die Frage, wie der Naturalismus überhaupt widerlegt werden könnte.

Ein Blick in die Wissenschaftsgeschichte zeigt also, dass aufgrund biblischer Schöpfungsaussagen gerade keine chaotische Welt erwartet wurde. Genau das war geschichtlich der Ausgangspunkt für die Naturwissenschaft, wie wir sie heute betreiben: Die Welt ist nicht chaotisch (weil sie z.B. willkürlich handelnden Geistern unterworfen wäre), sondern kennt regelhafte Abläufe, die erforschbar sind, weil die Welt von Gott geschaffen wurde und von ihm regiert wird; das garantiert Regelhaftigkeiten. Damit würde sich eine chaotische Welt eher gegen das Schöpfungsparadigma als gegen den Naturalismus sperren.

Die Regelhaftigkeiten in der Schöpfung wurden in der frühneuzeitlichen Physik vielfach gesetzmäßig interpretiert (d.h. als starre, unwandelbare Naturgesetze. Man könnte den Begriff des Naturgesetzes als eine ontologische Überhöhung natürlicher Regelhaftigkeiten mit metaphysischem Charakter bezeichnen; dieser Fragestellung wird hier aber nicht weiter nachgegangen).

Eine chaotische Welt ist also nie und nimmer ein Problem für den Naturalismus; sie wäre eher eines für die christliche Weltsicht. Denn die Annahme einer Ordnung in der Welt und regelhafter Abläufe in ihr ist gerade eine Folge der christlichen Schöpfungssicht. Die Methode der empirischen Forschung ist deshalb auch kein Fremdkörper im Rahmen eines Schöpfungsparadigmas, sondern mit ihm untrennbar verbunden.

Dazu kommt: Der Naturalismus kann bei Erklärungsproblemen oder unerwarteten Befunden immer kontern, dass zu wenig über die Natur bekannt sei, um eine rein naturalistische Erklärung definitiv ausschließen zu können. Die Aufklärung hypothetischer Mechanismen oder offener Fragen wird in die Zukunft verschoben – eine Strategie, derer man sich im Rahmen aller Ursprungsparadigmen bedient. Auch aus diesem Grund ist der Naturalismus de facto nicht falsifizierbar. Die Forderung, dass eine naturalistische Erklärung als prinzipiell unmöglich erwiesen werden müsse, damit der Naturalismus als gescheitert gelten könne, ist aus demselben Grunde unerfüllbar. Das Scheitern eines weltanschaulichen Naturalismus kann nie demonstriert werden. Waschke (2003) stellt genau dies fest, wenn er schreibt: „ID [„Intelligent Design“, Erg.]-Anhänger sehen durchaus, dass es nicht ausreicht, Lücken im derzeitigen Wissen aufzuzeigen, sondern dass sie die grundsätzliche Unfähigkeit der naturalistischen Wissenschaft aufzeigen müssen, komplexe Strukturen zu erklären. Dieser Nachweis ist aber prinzipiell gar nicht zu erbringen.“ „Prinzipiell nicht“ heißt: Der Naturalismus ist nicht widerlegbar. In diesem Sinne äußert sich auch Neukamm (2004, 1), wenn er schreibt, dass es „empirische Hinweise auf außerweltliche ,Designer‘ prinzipiell nicht geben“ könne (Hervorhebung im Original). Wenn es Hinweise auf außerweltliche Designer prinzipiell nicht geben kann, ist der Naturalismus nicht falsifizierbar. Daraus folgt umgekehrt auch, dass der Naturalismus nicht uneingeschänkt ergebnisoffen forscht bzw. forschen kann, wenn empirische Hinweise auf außerweltliche Designer prinzipiell ausgeschlossen werden.

Waschke (2003) nennt als Falsifikationsmöglichkeit: „Wenn es ID-Anhängern gelingt, die Existenz eines Designers zu zeigen, ist eine durchgehend naturalistische Erklärung nicht mehr möglich." Doch dies ist ebenfalls prinzipiell nicht möglich, da es im Wesen eines Designers liegt, dass er nicht in dem von ihm Geschaffenen festgestellt werden kann. Seine Spuren sind erkennbar, er selber nicht. Genausowenig kann eine in einem Klavier lebende Maus die Existenz eines Klavierspielers oder gar des Klavierbauers dadurch demonstrieren, dass sie Bewegungen von Hämmern und Saiten im Klavier und die damit verbundenen Töne wahrnimmt. Wohl aber hat sie nachweisbare Indizien, die durch die Tätigkeit eines Spielers und eines Erbauers erklärbar sind.

Bunge & Mahner (2004, 11) sehen eine Möglichkeit eines Scheiterns des Naturalismus darin, dass Dinge passieren würden, die man nur als Wunder betrachten könnte. Wunder sind aber vielfach historisch dokumentiert – so gut dies historisch eben möglich ist. Wunder gibt es auch in der Gegenwart, z. B. medizinische Wunder von Spontanheilungen Todkranker. Man kann jedoch immer anfechten, ob es bei solchen Geschehnissen nicht doch mit natürlichen Dingen zuging und man einfach zu wenig Kenntnisse über die natürlichen Heilungskräfte des Körpers kennt. Man kann sich das an folgendem Szenario klarmachen: Man stelle sich vor, ein überzeugter Naturalist ist Zeuge der Auferweckung des Lazarus (Johannes 11). Er hatte sich nach allen Regeln der Kunst vergewissert, dass Lazarus schon so lange tot war, dass er bereits durch die Verwesung stank. Jetzt kommt Jesus und ruft ihn aus dem Grab und er kommt lebendig heraus. Ein solcher Vorgang ist naturalistisch sozusagen streng verboten. Wird der Zeuge dieses Geschehens den Naturalismus aufgeben? Wohl kaum. Vermutlich wird er Wege finden, dieses Ereignis naturalistisch zu „erklären“. Dieses Beispiel zeigt: Es kann passieren, was will, der Naturalismus ist unwiderlegbar. Deswegen sind übrigens Behauptungen, es spreche nichts gegen den Naturalismus, ohne Inhalt, wenn man so will eine Tautologie.

Bei den historischen Wundern wie der Auferstehung Jesu, die naturalistisch sozusagen streng verboten ist, lässt sich leicht behaupten, dass in irgendeiner Form ein Irrtum vorliege, und somit den Fall erledigen. Jede Falsifikationsmöglichkeit für den Naturalismus kann man umgehen. Die Annahme einer „Übernatür“ ist für den Naturalismus per definitionem überflüssig.

Wird der Naturalismus methodologisch erzwungen?

Bunge & Mahner (2004, 9) behaupten: „Der Naturalismus ist für die Wissenschaften keine beliebige Setzung, sondern er wird gleichsam von deren methodologischen Prinzipien erzwungen.“ (Gemeint ist der ontologische Naturalismus, s. o.) Sie begründen das damit, dass wissenschaftliche Hypothesen und Theorien unter anderem überprüfbar sein müssten, was nur möglich sei, wenn in irgendeiner (ggf. indirekten) Form eine Interaktion mit dem zu Überprüfenden gegeben ist und wenn dieses sich gesetzmäßig verhält. Für übernatürliche Wesenheiten gelte dies nicht. Doch diese Begründung schließt in keiner Weise die Möglichkeit supranaturaler Wirkungen aus, auch wenn sie in der Tat wissenschaftlich nicht erfassbar sind, sondern allenfalls an ihren Ergebnissen erkannt, vermutet oder plausibel gemacht werden können. Gelegentliche oder in der Vergangenheit wirksame supranaturale Eingriffe schließen wissenschaftliche Forschungen nicht aus und schränken sie auch nicht ein. Die wissenschaftliche Methode ist völlig unabhängig vom zugrundeliegenden Weltbild anwendbar. Das Kriterium der Prüfbarkeit erfordert nur, dass der in Rede stehende Vorgang regelhaft verläuft und dies ist auch im Rahmen des Schöpfungsparadigmas (bzw. Supranaturalismus) der Normalfall.

Damit erweist sich auch das sog. „Proliferationsproblem“ des Supranaturalismus als Scheinproblem. Unter dem Proliferationsproblem verstehen Bunge & Mahner (2004, 11) die Tendenz, bei Zulassung gelegentlicher supranaturaler Eingriffe immer mehr solcher Eingriffe anzunehmen, was schließlich zu einem unaufhaltsamen Wildwuchs von Beliebigkeiten führe oder führen könne. Diesem Problem kann leicht begegnet werden, indem 1. klare Vorgaben über Annahmen supranaturaler Eingriffe gemacht werden (z. B. Vorgabe polyvalenter Grundtypen; vgl. Genetisch polyvalente Stammformen von Grundtypen), und 2. darüber hinaus nicht beliebig supranaturale Eingriffe angenommen werden, etwa wenn man bei einem Forschungsproblem nicht mehr weiterkommt. Die konkrete empirisch arbeitende wissenschaftliche Forschung arbeitet ohnehin immer mit der Annahme, dass es keine unkontrollierbaren supranaturalen Eingriffe gibt („methodischer Atheismus“); das ist ein Werkzeug, das unabhängig von der zugrundeliegenden Ontologie verwendet werden kann (s.o.). Hier wird im Grunde genommen mit einer Art Schreckgespenst namens „Proliferationsgefahr“ gearbeitet, für die es in der Wissenschaftsgeschichte kaum Beispiele geben dürfte.

Es bleibt an dieser Stelle noch das Argument, die naturalistische Ontologie folge harmonisch aus der naturwissenschaftlichen Methode bzw. sei durch diese bedingt, während im Rahmen des Schöpfungsparadigmas ein Bruch auftrete. Man kann wohl sagen, dass der Naturalismus zur naturwissenschaftlichen Methoden passt (was durch die gelegentliche Bezeichnung „methodischer Naturalismus“ wohl unterstrichen werden soll), inwiefern er aber aus dieser Methode folgen oder durch diese bedingt sein soll, ist logisch nicht ersichtlich. Einen Bruch gibt es im Weltbild des ontologischen Naturalismus, wenn supranaturale Einflüsse vorkommen; mit der Methode des Erkenntnisgewinns hat das aber nichts zu tun.

Eine weitere Begründung von Bunge & Mahner (2004, 9) für einen methodologisch begründeten Zwang zum Naturalismus ist die Forderung differenzierter Erklärungen: Wissenschaftliche Theorien dürfen nicht alles erklären, sondern nur genau das, was erklärt werden soll (Kriterium der „Erklärungskraft“). Genau dies wird in der Grundtypenbiologie (Heutige Grundtypen) und beim ID-Ansatz beachtet (Einführung in „Intelligent-Design“ und Kontroverse um „Intelligent-Design“). Es ist nicht ersichtlich, inwiefern Theorien, die im Rahmen des Schöpfungsparadigmas aufgestellt werden, gegen dieses Kriterium verstoßen. Die Behauptung von Bunge & Mahner (2004, 10f.), wonach die wissenschaftlichen Methoden vom Naturalismus abhängen, trifft daher nicht zu.

Auch im Rahmen des Schöpfungsparadigmas wird nach Gesetzmäßigkeiten gesucht und diese Suche erfolgt methodisch nicht anders als im Rahmen des Naturalismus. Diese Methode ist (wie oben bereits gesagt) auch kein Fremdkörper im Rahmen des Schöpfungsparadigmas. Dass das Schöpfungsparadigma und insbesondere die Grundtypenbiologie darüber hinaus Vorgaben über das Handeln Gottes bei der Schöpfung machen, beinhaltet keine Beschränkung dieser Methode. (In der historischen Rekonstruktion wird nicht nach dieser Methode gearbeitet; vgl. Methodik der historischen Forschung.) Selbst die Möglichkeit, dass Gott jederzeit eingreifen kann und dies gelegentlich auch tut (und nach dem Zeugnis historischer Dokumente auch getan hat), schränkt die Anwendbarkeit der wissenschaftlichen Methode nicht ein. Denn nach der biblischen Weltsicht erfolgt das Eingreifen Gottes nicht chaotisch oder beliebig, sondern ausnahmsweise. Dass die Welt in den überaus überwiegenden Fällen regelhaft „funktioniert“, hat Gott selber verheißen und garantiert (1. Mose 8,22, Jer. 31,35-36; 33,25-26; s. o.). Deshalb ist Wissenschaft überhaupt erst möglich.

Da diese Einschätzung hartnäckig bestritten wird, soll der Sachverhalt anhand zweier Beispiele erläutert werden. Das Johannesevangelium (Joh. 2,1-12) berichtet davon, dass Jesus Wasser in Wein verwandelt hat. (Naturalisten können dies nur bestreiten, sonst müssten sie ihr Weltbild aufgeben.) Schränkt dieses Wunder Jesu in irgendeiner Weise die wissenschaftliche Forschung ein? Anwesende Wissenschaftler wären hier punktuell nicht in der Lage gewesen, den Vorgang der Verwandlung zu untersuchen; sie hätten nur die Realität der Veränderung feststellen können. Ebenso hätte ein Mediziner den Heilungsvorgang nicht untersuchen können, durch den ein Leprakranker aufgrund eines bloßen Befehls Jesu augenblicklich gesund wurde (Mark 1,40-42). Er hätte nur vor der Heilung ein Krankheitsbild und danach das völlige Fehlen von Krankheitssymptomen feststellen können. Aber solche gelegentlichen Wunder verunmöglichen in keiner Weise medizinische Forschung oder machen sie überflüssig oder unberechenbar. Die Kritiker machen hier aus einer Mücke einen Elefanten, wenn sie aus dem souveränen Handeln Gottes eine Beliebigkeit oder die Verunmöglichung von Wissenschaft machen.

Aus den beiden letzten Abschnitten resultiert die Schlussfolgerung: Der Naturalismus ist eine weltanschauliche Vorgabe über die Welt, die weder empirisch noch methodisch erzwungen wird und die nicht falsifiziert werden kann.

Literatur

Bunge M & Mahner M (2004) Über die Natur der Dinge. Stuttgart, Leipzig.

Mittelstrass J (2004) Naturalismus. In: Mittelstrass J (Hg) Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Band 2. Stuttgart, Weimar (Sonderausgabe), S. 964.

Neukamm M (2004) Kreationismus und Intelligent Design: Über die wissenschaftsphilosophischen Probleme von Schöpfungstheorien. http://www.martin-neukamm.de/kreation.pdf (Version vom 12. 10. 2004; Zugriff am 8. 12. 2004)

Schwemmer O (2004) Supranaturalismus. In: Mittelstrass J (Hg) Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Band 4. Stuttgart, Weimar (Sonderausgabe), S. 150.

Waschke T (2003) Intelligent Design. Alter Wein in neuen Schläuchen. Skeptiker 4/2003, 128-136. http://www.gwup.org/skeptiker/archiv/2003/4/intellegentdesigngwup.html. – Siehe auch: http://www.waschke.de/twaschke/gedank/diskuss/id/

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Autor: Reinhard Junker, 31.05.2005

 
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