Evolution: Entstehung des Lebens (Präbiotische Chemie) |
Experten: Die fehlenden Spiegelbilder |
InhaltIn diesem Artikel wird erklärt, worum es sich bei dem Phänomen der natürlichen Homochiralität handelt, welche naturalistischen Erklärungshypothesen es gibt, und wie sich das Phänomen auf der Basis unseres Wissens verstehen lässt. Es wird gezeigt, dass die Homochiralität in einem naturalistischen Szenario nicht zu erwarten ist und dass sie – unter Zugrundelegung unseres heutigen Wissens – ein starkes Argument für „Schöpfung“ darstellt. Das Phänomen der Homochiralität in der Schöpfung (1) Paritätsverletzung auf atomarer Ebene (3) Ursprung der Homochiralität von außen (4) Begünstigung der Entstehung oder Zersetzung des einen Enantiomeren |
Das Phänomen der Homochiralität in der SchöpfungFür die Existenz von Leben, wie wir es beobachten, sind außerordentlich viele Voraussetzungen nötig. Eine davon betrifft die genaue räumliche Gestalt lebensnotwendiger Moleküle. Aminosäuren, Zucker und sehr viele andere essentielle Lebens-Bausteine kommen in der Natur nur in einer von zwei spiegelbildlichen Formen vor bzw. nur die eine Form ist in einem bestimmten Organismus oder für eine bestimmte Funktion brauchbar. Diese molekulare Asymmetrie der Natur nennt man Homochiralität. Chiralität beschreibt die Erscheinung, daß Moleküle (übrigens auch beliebige Gegenstände) in zwei zueinander spiegelbildlichen, nicht kongruenten (nicht identischen) Formen existieren können. Chiralität heißt übersetzt „Händigkeit“; denn die Hände sind ein Beispiel für chirale Objekte (vgl. Abb. 254). Den Begriff „Chiralität“ prägte Lord Kelvin in einer Fußnote seiner „Baltimore Lectures“ (Kelvin 1904). Zwei zueinander spiegelbildliche Moleküle heißen Enantiomere, ein 1:1-Gemisch zweier Enantiomere Racemat. So ähnlich sich Enantiomere sind - sie können sich gegenseitig nicht ersetzen. Eine Diät, die statt L- nur D-Aminosäuren enthielte, würde rasch zum Tode durch Mangelernährung führen. „L“ und „D“ ist eine von zwei gängigen chemischen Nomenklaturen, um sprachlich Enantiomere zu unterscheiden. |
(4) Begünstigung der Entstehung oder Zersetzung des einen EnantiomerenNach dieser Hypothese hat ein physikalischer Einfluss die Entstehung oder Zersetzung des einen Enantiomeren begünstigt. Als mögliche Einflussgröße wird seit langem immer wieder ein Magnetfeld versucht oder diskutiert. Das geht auf ein oft falsch verstandenes Experiment Faradays aus dem Jahr 1846 zurück. Er ließ ein Magnetfeld auf linear polarisiertes Licht einwirken. Die Ebene des Lichtes wurde dadurch gedreht. Da eine Lösung eines reinen Enantiomeren ebenfalls die Ebene des linear polarisierten Lichtes dreht, wurde von manchen Wissenschaftlern der physikalisch nicht haltbare Schluss gezogen, das eine Phänomen (Faradays magnetooptische Rotation) sei die Ursache des anderen (natürliche optische Rotation). Auf der Basis dieses Irrtums versuchte beispielsweise Pasteur homochirale Kristalle in einem Magnetfeld zu züchten – erfolglos. Lord Kelvin stellte schon klar, dass „der magnetischen Rotation [Faradays Experiment] die Eigenschaft der Links- oder Rechtshändigkeit fehlt, sie also nicht chiral ist“ (Kelvin 1904). Faradays und Kelvins Klarstellungen konnten nicht verhindern, dass immer wieder versucht wurde, mittels eines Magnetfeldes einen Enantiomerenüberschuss zu erzeugen. Der bekannteste Versuch dieser Art war eine Arbeit (Zadel et al. 1994), die sich als bewusste Fälschung eines wissenschaftlichen Mitarbeiters herausstellte (Gölitz 1994). Nach dem Erscheinen dieser Arbeit und noch vor dem Bekanntwerden als Fälschung hatte es einen Kommentar gegeben, der die physikalische Unmöglichkeit der Ergebnisse klarstellte (Bradley 1994). Knapp und anschaulich gesagt: Ein noch so starkes Magnetfeld ist ebensowenig in der Lage, eine chemische Reaktion in Richtung eines Enantiomeren zu drücken wie ein Blatt von einem Baum zu lösen. Aber auch tatsächlich chirale Einflussgrößen wie circular polarisiertes Licht oder der magnetochirale Dichroismus geben keine Erklärung für die natürliche Homochiralität. Entweder wurden Beispielreaktionen veröffentlicht, die nichts mit chiralen Bausteinen der Lebewesen zu tun haben oder es wurde z.B. ein Magnetfeld in einer für natürliche Bedingungen ganz unrealistischen Feldstärke eingesetzt. Vor allem jedoch musste stets postuliert werden, dass die chirale Einflussgröße nur in der einen „spiegelbildlichen" Weise aktiv war. Aber für mögliche physikalische Einflussgrößen gilt genau wie für Enantiomere, dass sie in beiden chiralen Formen gleichberechtigt auftreten. „Netto“ liegt also kein chiraler Einfluss vor; die eventuelle Anreicherung des einen Enantiomeren hier wird durch die Anreicherung seines Spiegelbildes dort aufgehoben. So bringt auch die Kombination der asymmetrischen Autokatalyse und des circular polarisierten Lichtes (Kawasaki et al. 2005a) keinen Erklärungsfortschritt, da wiederum beide Möglichkeiten bzw. Kombinationen gleichberechtigt und gleich wahrscheinlich sind. In der Arbeit von Kawasaki et al. (2005a) wurde das auch explizit im Experiment gezeigt, dass nämlich mit circular links-, dann rechtspolarisiertem Licht und jeweils nachfolgender asymmetrischer Autokatalyse einmal das eine, einmal das andere Enantiomer entstand. Beispiel. Am Beispiel einer konkreten Arbeit soll der Sachverhalt folgend im Detail diskutiert werden. Diese Arbeit begeht nicht den Fehler, einen achiralen physikalischen Einfluss für die Entstehung molekularer Chiralität benutzen zu wollen. Vielmehr nutzt sie den magnetochiralen Dichroismus (= magnetochirale Anisotropie), der 1982 vorhergesagt (Wagnière & Meier 1982) und 1997 beobachtet wurde (Rikken & Raupach 1997). Unter Dichroismus versteht man eine richtungsabhängige Absorption von Licht. Beim magnetochiralen Dichroismus wird ein Lichtstrahl parallel oder antiparallel zu einem Magnetfeld durch eine Lösung chiraler Moleküle geleitet. Das Licht wird jeweils unterschiedlich stark absorbiert. Der Effekt tritt auch mit nicht polarisiertem Licht auf. Abb. 255 zeigt die chemische Reaktion, bei der mittels des beschriebenen Effektes ein kleiner Überschuss des einen oder anderen Enantiomeren (1 und 2) erzeugt wurde. Es handelt sich um eine lichtkatalysierte Umlagerung des Chrom(III)trisoxalat-Komplexes. Der Komplex ist kinetisch instabil, d.h. er zerfällt und entsteht rasch wieder neu. Da er helikal chiral ist, d.h. wie ein Propeller oder eine Schraube gebaut, kann er in zwei enantiomeren Formen (1 und 2) vorliegen. In Abhängigkeit von der Richtung des angelegten Magnetfeldes relativ zum katalysierenden Laser-Lichtstrahl entstand das eine oder das andere Enantiomer bevorzugt. Der Enantiomerenüberschuss persistierte solange, bis das Magnetfeld oder der Laser abgeschaltet wurden; dann relaxierte das System wieder zum Racemat. Ist damit eine plausible Erklärungsmöglichkeit für die natürliche Homochiralität gefunden? Eine genaue Analyse der Vorgänge zeigt, dass das nicht der Fall ist. (a) Der beobachtete Effekt kann bei Kohlenstoff-Verbindungen (die Moleküle des Lebens!) nicht auftreten. Der Chrom-Komplex wurde gewählt, weil er paramagnetisch und chiral ist. Aufgrund seines Paramagnetismus konnte man bei ihm erwarten, einen messbaren Effekt zu erhalten. Diamagnetische (die meisten Kohlenstoff-Verbindungen!) bzw. achirale Moleküle können prinzipiell und naturgesetzlich in diesem Experiment nicht ansprechen. (b) Der Enantiomerenüberschuss war sehr klein – ähnlich klein wie bei Experimenten, wo man mit circular polarisiertem Licht Enantiomerenüberschüsse erzeugt hat (z.B. Stevenson & Verdieck 1969). Noch geringer wäre übrigens ein – bisher nur theoretisch diskutierter – Überschuss aufgrund der elektroschwachen Kraft (Bonner 2000). Wie schon zitiert (Dose 1987), gilt für alle drei physikalischen Kräfte, die zur Erklärung der Entstehung der Homochiralität herangezogen werden, dass jedes geringfügige Vorherrschen von D- oder L-Formen in einer geologischen Umgebung durch Razemisierungsreaktionen wieder aufgehoben würde. (c) Rikker und Raupach betonen, dass polarisiertes Licht für das Zustandekommen des Effektes nicht notwendig war, sondern „normales" Licht ausreichte. Zwei andere nicht-triviale Anforderungen waren aber nötig: Erstens wurde nicht wirklich „normales" Licht eingesetzt, sondern ein Laser, und zwar mit der Wellenlänge des Absorptionsmaximums des Chromkomplexes – keine selbstverständlichen Gegebenheiten einer eventuellen präbiotischen Welt. Zweitens hatte das verwendete Magnetfeld eine Feldstärke von 7.5 Tesla. Die mittlere Feldstärke des Erdmagnetfeldes, gemessen an der Erdoberfläche, beträgt am Äquator etwa 0.032 Nanotesla, d.h. das im Experiment eingesetzte Feld war etwa 234 Milliarden mal stärker als das gegenwärtige, in der Natur vorgefundene. Es ist auszuschließen, dass auf der Erde einmal ein auch nur annähernd so starkes Feld geherrscht haben könnte. Bei schwächeren Feldern wäre jedoch eine eventuelle Enantiomerenanreicherung praktisch nicht mehr gegeben. (d) Aber vielleicht hat es irgendwo ein lokal begrenztes, sehr starkes Feld gegeben, und ein einmal entstandener Enantiomerenüberschuss hat sich von dort aus durchgesetzt? Diese Hypothese führt uns zur letzten kritischen Anmerkung. Der magnetochirale Dichroismus ist in der Tat eine chirale Einflussgröße im Sinne der gegenwärtig akzeptierten Definition von Chiralität, die im Unterschied zur Definition Kelvins eine Zeitumkehr und damit auch bewegungsabhängige Prozesse (Molekül- und Reaktionsdynamik) einschließt (Avalos et al. 1998). Der magnetochirale Effekt ist aber – wie in der diskutierten Arbeit gezeigt – umkehrbar. Das bedeutet: Wenn Lichtstrahl und Magnetfeld parallel sind, entsteht bevorzugt das eine Enantiomer; wenn sie antiparallel sind, sein Spiegelbild. In einem präbiotischen Universum zufälliger chemisch-physikalischer Vorgänge wäre einmal die eine, einmal die andere relative Orientierung vorzufinden. „Netto“ liegt also auch hier kein chiraler Einfluss vor: die eventuelle Anreicherung des einen Enantiomeren hier wird durch die Anreicherung seines Spiegelbildes dort aufgehoben. Man müsste zusätzlich spekulieren, das magnetochirale Ereignis habe nur an einer Stelle einmal stattgefunden mit nur einer relativen Anordnung der Felder – eine Spekulation, die jenseits aller Erfahrung, Beobachtung und Wahrscheinlichkeit liegt. Am gerade detailliert diskutierten Beispiel des magnetochiralen Dichroismus wird das grundsätzliche Problem naturalistischer Erklärungsversuche der Homochiralität offensichtlich. Die Erklärungen fordern eine Häufung notwendiger, auf der heutigen Erde nirgendwo vorgefundener Voraussetzungen. Das ist Glaubenssache. Rikker & Raupach formulieren am Ende Ihres Artikels: „Clearly, the question of the origin of the homochirality of life is far from answered.“ („Die Frage nach dem Ursprung der Homochiralität des Lebens ist weit davon entfernt, beantwortet zu sein.“) Dieser Befund aus dem Jahr 1997 gilt nach wie vor und findet sich auch in neuesten Fachpublikationen, z.B. Meierhenrich et al. 2005: „Das Phänomen der biomolekularen Asymmetrie, wonach proteingebundene Biomoleküle wie Aminosäuren dieselbe Chiralität haben, bedarf nach wie vor der Erklärung.“ Dennoch wird in stark verkürzten und popularisierenden Veröffentlichungen manchmal etwas anderes behauptet. Diese Behauptungen enthalten in der Regel eine schlagwortartige Aufzählung von chemischen oder physikalisch-chemischen Phänomenen, die angeblich alle zur Entstehung von Enantiomerenüberschüssen führen. In Wirklichkeit handelt es sich um die hier und in „neutralen“, sehr ausführlichen Übersichtsartikeln (z.B. Bonner 1996, Bonner 2000) besprochenen Phänomene, deren keines das Rätsel der Homochiralität löst. Der Ursprung der für Leben notwendigen Homochiralität ist mit naturalistischen Prämissen nicht erklärt. |