Evolution: Biologie | |
Interessierte: Gene tinkering |
InhaltIn diesem Artikel wird erklärt, was „gene tinkering" ist und weshalb dieser weitgehend hypothetische Prozess als mögliche Erklärung für makroevolutive Prozesse angesehen wird. Weiter wird erläutert, weshalb gene tinkering nach derzeitigem Kenntnisstand nichts Wesentliches zum Verständnis von Makroevolution beitragen kann. |
Einleitung |
|
Die Proteine (=Eiweiße) der Lebewesen bestehen häufig aus denselben Abfolgen von Aminosäuren. Man nennt solche Abschnitte Motive oder Domänen. Erstaunlicherweise kommen Proteindomänen (und die zugrundeliegenden Genabschnitte) im ganzen Organismenreich immer wieder in ähnlicher oder sogar gleicher Form vor, jedoch oft in ganz unterschiedlichen Funktionszusammenhängen. Ein Beispiel: Die CSP-Proteindomäne aus ca. 70 Aminosäuren wurde zuerst in Bakterien entdeckt und wirkt dort als Kälteschutzprotein („cold shock protein"), indem es an Nukleinsäuren bindet. Erstaunlicherweise findet sich das CSP-Motiv auch in (fast) allen anderen Lebewesen. Auch dort bindet die CSP-Domäne an Nukleinsäuren (DNS oder RNS). Doch sie schützt dort nicht gegen Kälte, sondern reguliert durch ihre Anlagerung andere Gene. Außerhalb von Bakterien tritt die CSP-Domäne nur mit anderen Motiven „zusammengeflickt" auf (Abb. 193). Dasselbe Motiv kommt also in sehr verschiedenen Funktionszusammenhängen in den unterschiedlichsten Organismen vor. |
Es gibt zahlreiche Beispiele dieser Art. Gleiche oder ähnliche Gene können in verschiedenen Organismen im selben oder völlig unterschiedlichen Funktionszusammenhängen zu finden sein, dabei können die Organismen relativ nah oder auch sehr entfernt verwandt sein. In anderen Fällen sind zwar die Funktionszusammenhänge prinzipiell gleich, jedoch die dabei beteiligten Proteine sind völlig verschieden (vgl. dazu auch die häufige Nicht-Entsprechung von Genen, Abläufen in der individuellen Entwicklung (Ontogenese) und Adultorganen (=ausgewachsene Organe), Artikel Ähnlichkeiten in der Morphologie und Anatomie). Insgesamt hat sich herausgestellt, dass der Unterschied zwischen zwei Organismen folglich nicht so sehr in der Anzahl verschiedener Gene, sondern im unterschiedlichen Zusammenbau gleicher oder ähnlicher Gene oder Genabschnitte besteht. „Die gesamte lebende Welt lässt sich also mit einer Art riesigem Baukasten vergleichen" (Jacob 2000). |
Zudem bleibt die Frage, woher Domänen und funktionelle minimale Anfangszustände kommen, weiterhin offen. Jeder Baustein, der bei einem evolutiven tinkering verwendet wird, muss ja irgendwann einmal entstanden sein. Die Annahme, dass die benötigten Domänen in einem anderen Zusammenhang evolviert seien, verschiebt nur das Problem: „Wie ist die entsprechende Domäne in dem anderen Zusammenhang evolviert?" Beim oben erwähnten Beispiel des Auges ist auch der einfachste anzunehmende (hypothetische!) Startpunkt für ein prototypisches Auge bereits eine komplexe Struktur. Woher diese kommt, kann durch gene tinkering nicht erklärt werden und wird laut Gehring & Ikeo (1999) dagegen auf zufällige(!) Prozesse zurückgeführt. |
Ein Beispiel: Ist im Computer das Modul „Festplatte" zu klein, so kann eine neue, größere problemlos eingebaut werden. Ein Beispiel aus der Bakterienwelt wäre die Erschließung einer neuen Nahrungsquelle durch Abwandlung vorhandener Stoffwechselwege. In beiden Fällen ermöglicht erst die Modularität den einfachen Wechsel, bzw. kann man deutlicher formulieren: Modulare Netzwerke sind notwendige Voraussetzungen für mikroevolutiven Wandel von Lebewesen. Gleichzeitig stellte man fest, dass Netzwerke, die durch eine Labor-Evolution entwickelt wurden, eben nicht modular aufgebaut sind, so dass Wissenschaftler ernüchtert feststellen: „[…] die Frage, wie Modularität in der Natur entstanden ist, hat sich zu einem kritischen Punkt entwickelt" (zitiert nach Lipson et al. 2002). In der Summe lässt sich festhalten, dass bei genauerer Betrachtung eben jenes von Jacob beobachtete Baukastensystem in Lebewesen (entspricht „modularen Netzwerken") eher für einen Designer sprechen als gegen ihn. Netzwerke, die im Computer evolviert wurden, funktionieren zwar besser (erscheinen daher dem oberflächlichen Betrachter als weniger „hingeschustert"), sie sind aber nicht modular, und damit weder fehlertolerant noch flexibel genug, um Lebewesen die notwendige Anpassung (= Mikroevolution) zu ermöglichen. Die Frage nach der Makroevolution, also der Entstehung neuer Strukturen (oder Modulen), nicht deren bloße Abwandlung, bleibt weiterhin unbeantwortet, und Alon (2003) formuliert – mit eigenen Worten: „Es erhebt sich [daraus] eine fundamentale wissenschaftliche Herausforderung: Diejenigen Naturgesetze zu verstehen, die evolvierte und kreierte Systeme miteinander verbinden." Könnte es nicht umgekehrt sein, dass sich natürliche (angeblich evolvierte) und technische (kreierte) Systeme deshalb so verblüffend ähneln, weil beide geschaffen wurden?
Literatur Alon U (2003) Biological networks: The tinkerer as an engineer. Science 301, 1866-1867. Dawkin R (1990) Der blinde Uhrmacher. München. Gehring W & Ikeo K (1999) Pax 6 masterin eye morphogenesis and eye evolution. Trends Genet. 15, 371-377. Graumann P & Marahiel M (1998) A superfamily of proteins that contain the cold-shock domain. Trends Biochem Sci. 23, 286-290. Jacob F (2000) Die Maus, die Fliege und der Mensch. München. Lipson H, Pollack JB, Suh NP (2002) On the origin of modular variation. Evol. 56, 1549-1556. Neuhaus K (2002) Gene tinkering: Kann in komplexe biologische Systeme neue Information eingeflickt werden? Stud. Int. J. 9, 59-66. |
|