Evolution: Entstehung des Lebens (Präbiotische Chemie) | |
Interessierte: Eingrenzung der Fragestellung |
InhaltIn diesem Artikel wird die Frage aufgeworfen, wie man Leben definieren und wie man die Frage nach der Entstehung des Lebens methodisch behandeln kann. Eine einfache, allgemein gültige Kennzeichnung für „Leben" erweist sich als schwierig und die Möglichkeiten, seine Entstehung aufzuklären, sind begrenzt. |
Einführung |
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Unsere Wahrnehmung von Lebewesen verursacht oft unmittelbar die Frage nach deren Ursprung, ihrem erstmaligen Auftreten. Für die Evolutionslehre ist diese Frage von grundlegender Bedeutung. Denn es geht - im Bild gesprochen - um den Wurzelbereich des postulierten Stammbaums der Lebewesen. Ohne diesen Bereich würde der Stammbaum in der Luft hängen. Die Artikel zum Thema „präbiotische Chemie" behandeln diese Fragestellung. Sie gehen der Frage nach: Inwieweit stehen die aktuellen Vorstellungen von der Entstehung des Lebens im Einklang mit den naturwissenschaftlichen Daten und experimentellen Befunden? Um diese Frage in Angriff nehmen zu können, sind einige grundsätzliche Dinge zu klären: • Inwieweit ist die Frage nach der Entstehung des Lebens überhaupt mit den Methoden der Naturwissenschaften zu beantworten? • Inwieweit ist diese Fragestellung der experimentellen Bearbeitung zugänglich? (vgl. dazu Methodik der empirischen Forschung und Methodik der historischen Forschung • Was ist der Gegenstand, nach dessen Entstehung gefragt wird? Was ist überhaupt „Leben"? Mit diesen Grundsatzfragen befasst sich dieser Artikel. Die weiteren Beiträge behandeln konkrete Hypothesen und prüfen deren Plausibilität anhand empirischer Befunde. |
Was ist Leben? |
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Für die Entwicklung von Modellen zu einzelnen Stufen zwischen unbelebter Materie und ersten Lebensformen ist eine klare Charakterisierung des Phänomens „Leben" unentbehrlich. Was ist das eigentlich - Leben -, dessen Entstehung durch empirische (=auf Erfahrung beruhend) Forschung geklärt werden soll? Häufig wird versucht, Leben durch Aufzählung verschiedener Lebensäußerungen von Organismen, wie Stoff- und Energieaufnahme aus der Umwelt, Stoffwechsel, Fortpflanzung, Wachstum, Beweglichkeit oder Reizbarkeit zu definieren. Durch diese Kennzeichen lassen sich einzelne Aspekte des Lebens beschreiben. So eröffnen Kenntnisse von molekularen Strukturen Einsichten in materielle Eigenschaften von Organismen und biochemische Prozesse. Doch damit werden nur einzelne Aspekte von Lebenserscheinungen erfasst. Typischerweise treten die oben angeführten Eigenschaften nicht isoliert in einzelnen Organismen auf, sondern viele dieser Lebensäußerungen sind in Organismen eng miteinander verflochten. Dies spiegelt sich auch im komplexen Aufbau selbst einfachster Lebewesen wieder. Viele materielle und funktionelle Gegebenheiten müssen in Kombination vorliegen, damit die Voraussetzung für „Leben" gegeben ist. So kennen wir Lebewesen nur in Verbindung mit bestimmten materiellen Komponenten wie Proteine und DNS, wissen aber auch, dass z.B. das Makromolekül DNS seine Funktion nur in der hochstrukturierten Komplexität einer Zelle entfalten kann. Es muss also eine übergeordnete Struktur - eine „Ganzheit" vorausgesetzt werden. Nur in diesem übergeordneten Ganzen entfalten die Moleküle des Lebens ihre Wirkung. Ohne eine verbindliche Definition des Phänomens „Leben", die es in seinen Ausprägungen auch zu erfassen vermag, können von einer wissenschaftliche Beschäftigung mit dessen Entstehung keine fruchtbaren Einsichten erwartet werden. Wenn das Phänomen „Leben" nicht klar definierbar ist, stehen wir in einem Dilemma: Wie sollen wir den Ursprung von etwas erklären, das wir gar nicht genau erfassen können? Gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma? |
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Weitere Reduktionsschritte führen durch Analyse zur Zerlegung einer solchen Zelle in deren materielle Bestandteile, ihre molekularen Komponenten. Durch das Sezieren der Zelle gelangen wir zu Baustoffgruppen und durch weitere Reduktion über makromolekulare Verbände zu Molekülen, deren physikalisch-chemische Eigenschaften wir sehr genau beschreiben können. Hier kann nun konkret experimentell eingesetzt werden. Dieses Vorgehen, die Vereinfachung von der Zelle zu deren molekularen Strukturen, verursacht jedoch eine gravierende qualitative Veränderung des Untersuchungsgegenstands: Das Phänomen, nach dessen Entstehung wir fragen, geht verloren. Leben, das auf der Ebene der Zellen, auch der ganz einfachen noch beobachtbar und beschreibbar ist, verschwindet bei deren Auflösung in die molekularen Bestandteile. Daraus folgt: 1. Einerseits kann die Frage nach der Entstehung der chemischen Bestandteile von Organismen konkret experimentell bearbeitet werden (Synthese von Bio-Chemikalien). 2. Selbst wenn die (ungeplante, zufällige) Entstehung der molekularen Bestandteile einer Zelle plausibel gemacht werden könnte, wäre die Frage nach der Entstehung des Lebens damit noch lange nicht beantwortet. 3. Solange die Entstehung der molekularen Bestandteile einer Zelle nicht aufgeklärt werden kann, ist die Frage nach der Entstehung des Lebens erst recht ungeklärt. Noch einmal anders formuliert: Wenn wir also auf der molekularen Ebene die Beantwortung der Frage nach der Entstehung des Lebens ansetzen, dann fragen wir nicht mehr nach der Entstehung des Lebens, sondern nur noch nach minimalen materiellen Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit Leben, so wie es uns vertraut ist, überhaupt möglich ist. Gleichzeitig ist aber auch klar, dass wir damit noch sehr weit vom Kern der eigentlichen Frage entfernt sind. Leben kann seinem Wesen nach nicht auf der materiellen Ebene beschrieben werden. Das gilt unbeschadet der naturwissenschaftlichen Erfahrung, dass die materiellen Gegebenheiten notwendige Voraussetzungen für Leben sind. Daher kann der Naturwissenschaftler mit seinen methodischen Möglichkeiten nicht nach der Entstehung des Lebens an sich, sondern nur nach dessen materiellen Minimalvoraussetzungen fragen, die gegeben sein müssen, damit Leben in der uns bekannten Erscheinungsform überhaupt denkbar wird. |
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Die Frage nach der Entstehung des Lebens führt zurück in eine Zeit, in der es Leben noch nicht gab. Wann war das? Wie war die Umgebung beschaffen, in der erstmals Leben aufgetreten ist? In unserer Phantasie können wir uns verschiedene Szenarien ausmalen, aber wirklich wissen können wir das nicht. Es handelt sich um einen Fragetyp, wie er in den Geschichtswissenschaften bearbeitet wird (vgl. Methodik der historischen Forschung). Man kann nach Indizien suchen, damit Argumentationslinien konzipieren und diese auf Plausibilität prüfen. Experimentellen Untersuchungen ist die Frage nach der erstmaligen Entstehung des Lebens grundsätzlich nicht direkt zugänglich. Welchen Zugang können dann die Naturwissenschaften mit ihrem experimentellen Methodenarsenal zu dieser Fragestellung gewinnen? Es kann nur ein indirekter Weg beschritten werden, da die Vergangenheit dem reproduzierbaren Experiment nicht zugänglich ist. Man formuliert Ideen, entwirft Modelle und prüft diese hinsichtlich ihrer Verträglichkeit mit dem, was wir aufgrund unserer bisherigen Erfahrung wissen. Dabei ist zu fordern, dass das Modell möglichst so konkret formuliert wird, dass es experimentellen Prüfungen zugänglich wird. Die Resultate der Experimente können dann allerdings nur eine Verträglichkeit des Modells mit bisher Erkanntem bestätigen oder widerlegen, die Übereinstimmung mit dem vergangenen Ereignis ist auf diesem Wege prinzipiell nicht möglich. Das bedeutet, dass die vergangenen Prozesse, die zur Entstehung des Lebens geführt haben, auf naturwissenschaftlichem Wege nie erkannt werden können, bestenfalls können wir Ideen formulieren, wie das Leben entstanden sein könnte, die wir mit naturwissenschaftlichen Methoden (noch) nicht widerlegen können. Literatur R. Junker & S. Scherer (2001) Evolution - ein kritisches Lehrbuch. Gießen, Kapitel IV.8 |
Weitere Fragen zu diesem Thema |
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