Evolution: Paläontologie | |
Interessierte: Entstehung der Vögel |
InhaltIn diesem Artikel werden der „Urvogel“ Archaeopteryx und die Theropoden (zweibeinige Raubdinosaurier) als mögliche Vorfahren der Vögel vorgestellt und kritisch diskutiert. Außerdem werden Theorien zur Entstehung der Federn und des Vogelflugs vorgestellt und das Für und Wider erläutert. Theropoden-Dinosaurier als Vogelvorfahren? Die Triebfeder für die Evolution der Feder und des Flugs Kritik an der Theropoden-Theorie Explosive Vielfalt der Kreide-Vögel |
Die heutigen Vögel sind gegenüber anderen heute lebenden Wirbeltieren deutlich abgegrenzt. Lange Zeit vermittelte fast allein der berühmte fossile „Urvogel“ Archaeopteryx (Abb. 313) aus dem Oberjura ein Bild davon, über welche Station ein evolutionärer Übergang von Reptilien zu Vögeln verlaufen sein könnte, denn er weist eine ausgeprägte Kombination von reptilienartigen und vogeltypischen Merkmalen auf (Abb. 314). Der „Urvogel“ erweist sich damit offenkundig als Mosaikform (vgl. Definition von Mosaikform und Übergangsform), die allerdings nicht sicher als evolutionäre Übergangsform gewertet werden kann (s. u.). Alle anderen bis Ende der 1980er Jahre entdeckten fossilen Vögel waren deutlich von Reptilien abgrenzbar. |
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Archaeopteryx ist nach wie vor das älteste unumstrittene Vogelfossil. Erst ab der Unterkreide sind weitere Vogelfossilien bekannt (zur Schichtenfolge siehe Abb. 31). Die meisten wurden erst seit Anfang der 1990er Jahre entdeckt, vor allem in China. Mittlerweile sind über 30 Vogelgattungen aus der Kreide bekannt. Darüber hinaus wurden mehr und mehr zweibeinig laufende kleinere Dinosaurier (Theropoden) mit vogeltypischen Merkmalen entdeckt. Dadurch ist die Kluft zwischen Reptilien und Vögeln unter den Fossilien deutlich kleiner geworden. |
Theropoden-Dinosaurier als Vogelvorfahren? |
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Vor allem durch die Arbeiten von J. Ostrom Mitte der 1970er Jahre errangen die Theropoden (s. o.) den Status als wahrscheinlichste Vorfahrengruppe der Vögel. Daher ist heute die Vorstellung, dass es sich bei den Vögeln um befiederte Dinosaurier handelt, unter Evolutionstheoretikern nur noch wenig angefochten. Allerdings passt die Fossilabfolge nicht zu dieser Sichtweise (s. u.). Das zentrale Argument für einen Übergang Dinosaurier – Vögel entstammt vielmehr Formenvergleichen verschieden alter Gattungen (zum evolutionstheoretischen Argument der Ähnlichkeit siehe Ähnlichkeiten in der Morphologie und Anatomie). Wenn die Dino-Vogel-Theorie heute für viele Biologen als unangefochten gilt, so muss dies vor dem Hintergrund gesehen werden, dass ein evolutionärer Übergang von irgendwelchen Reptilien zu den Vögeln grundsätzlich vorausgesetzt wird. Unter dieser Vorgabe passen bestimmte Dinosauriergruppen unter den Theropoden am besten. Die wichtigsten Gemeinsamkeiten vieler Theropoden mit den ältesten Vögeln sind Zweibeinigkeit, Anatomie der Hinterbeine mit nach hinten gerichteter Zehe und teilweise verwachsenen Mittelfußknochen, Anatomie der Vorderbeine mit dreifingriger Hand, lange, nach unten gerichtete Schambeine, der Besitz eines Gabelbeins (verschmolzene Schlüsselbeine) sowie ein langer Wirbelschwanz. Aufgrund von Merkmalswidersprüchen ist allerdings nicht sicher bestimmbar, welche Gattung unter den theropoden Dinosauriern am ehesten als Vorfahr von Archaeopteryx in Frage kommt. Bei jedem Kandidaten gibt es dafür unpassende Merkmale. So hat beispielsweise die oberjurassische Gattung Compsognathus (Abb. 314) mit ihrem Zeitgenossen Archaeopteryx zwar viele Merkmale gemeinsam, besitzt aber eine stark spezialisierte und reduzierte Hand mit nur zwei Fingern und kommt daher – auch abgesehen von der Gleichaltrigkeit – als Vorläufer nicht in Frage. Ähnliche Umstimmigkeiten treten auch bei anderen Gattungen auf. |
Dinosaurier mit Federn? |
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Die Dino-Vogel-Theorie erhielt Ende der 1990er Jahre enormen Auftrieb, als Theropoden gefunden wurden, die Federn oder federartige Hautanhänge besaßen. Alle diese Fossilien stammen allerdings aus der Unterkreide; sie sind damit deutlich jünger als Archaeopteryx, dessen Federn und gesamtes Federkleid heutigen Vögeln in fast jeder Hinsicht gleichen. In Bezug auf das Merkmal der Federn gilt deshalb nach wie vor, dass am Anfang der Fossilüberlieferung perfekte Federn stehen. Über die Natur der Dinosaurier-Federn aus der Unterkreide und die taxonomische Einordnung der betreffenden Gattungen lassen sich jedoch oft keine sicheren Aussagen machen. Eine Forschergruppe wies anhand von Zerfallsstadien von Geweben der Körperbedeckung verschiedener Reptilienarten nach, dass bei deren Zerfall Kollagenfasern in der Haut einen federähnlichen Eindruck hinterlassen. Diese Zerfallsstadien zeigen auffallende Ähnlichkeiten mit „Protofedern“ (=Vorfedern) fossiler Dinosaurier auf. Die Interpretation von Körperbedeckungen bei Dinosauriern als Protofedern (Vorfedern) ist daher nicht gesichert. |
Anders verhält es sich mit Protarchaopteryx und Caudipteryx (Abb. 315). Deren Körperanhänge weisen einen zentralen Schaft und eine dicht geschlossene Fahne auf. Die Federn sind allerdings symmetrisch, was gegen ihre Flugtauglichkeit spricht. Flugfähige Vögel haben nämlich immer asymmetrische Federn; symmetrische kennt man nur von flugunfähigen Vögeln. Daher vermuten viele Forscher, dass Protarchaeopteryx und Caudipteryx von flugfähigen Formen abstammen und sich daher nicht als Vogelvorläufer eignen. Ihre Federn können daher auch nicht als Federvorstufen interpretiert werden. Für diese Einschätzung spricht auch, dass die Vordergliedmaßen für eine Flugfähigkeit deutlich zu kurz sind. |
Die Triebfeder für die Evolution der Feder und des Flugs |
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Ein ungelöstes Problem ist die Frage, welche Selektionsdrücke die evolutive Bildung der Federn begünstigt haben könnten. Die Mehrheit der Forscher tendiert dazu, die anfängliche Funktion der Federn nicht in der Ermöglichung des Fliegens zu sehen, sondern in einer anderen der zahlreichen Funktionen von Federn. Insbesondere an Wärmedämmung als ursprüngliche Funktion wird gedacht; doch dafür werden bei weiten nicht so komplizierte Strukturen wie Federn benötigt. Außerdem: Selektion auf Wärmedämmung „zielt“ eher auf Daunenfedern als auf flugtaugliche Federn und führt von der Flugtauglichkeit weg. Hypothesen zu den Selektionsbedingungen zum Erwerb von Federn sind kaum testbar. Verschiedene hypothetische Szenarien schließen sich gegenseitig aus. Die Komplexheit heutiger Federn geht aus den Abbildungen 316 und 317 hervor. Ungeklärt ist auch die Frage, auf welchem Wege die Flugfähigkeit erworben wurde. Hier stehen sich die Boden-Luft-Theorie (Cursorialtheorie, vom Laufen zum Fliegen) und die Baumtheorie (Arborealtheorie; vom Herabgleiten zum aktiven Flug) einander gegenüber. Die Cursorialtheorie liegt einerseits nahe, da die meisten Theropoden, die den Vögeln nahestehen, zweibeinige Läufer waren. Dem stehen jedoch schwerwiegende aerodynamische Probleme entgegen. Fast alle Theropoden-Dinosaurier sind zudem als Ausgangsformen für einen Bodenstart zu schwer. Lediglich der Microraptor zhaoianus hat als Theropode wahrscheinlich im Geäst gelebt und war zudem nur krähengroß. Einige seiner Merkmale sind aber vogelähnlicher als die von Archaeopteryx. Damit ist er als Vorfahre zu spezialisiert. Der Start von einem erhöhten Punkt aus (Baumtheorie) wäre aerodynamisch klar vorteilhaft gewesen. In diesem Fall aber wäre zu erwarten, dass auch die Hintergliedmaßen in den Flugapparat integriert worden wären, was bei den Vögeln bekanntlich nicht der Fall ist. Es gibt allerdings fossile Vögel mit befiederten Hinterbeinen; mittlerweile wurde gezeigt, dass dies auch bei Archaeopteryx der Fall war. Spekulativ bleibt, wie die Kluft vom tödlichen Abstürzen wenigstens zu einem Heruntersegeln überbrückt werden konnte – ein Problem, das sich beim Bodenstart nicht stellt. Ein Übergang vom Gleitfliegen zum aktiven Flug ist zudem konstruktiv fragwürdig (und auch bei anderen Gleitern unter den Wirbeltieren nie erfolgt). Andererseits ist ein direkter Erwerb des aktiven Flugs von erhöhten Standorten aus so gut wie ausgeschlossen. Insgesamt ergeben sich bei jedem evolutionstheoretischen Szenario erhebliche Unstimmigkeiten; die Frage nach einem evolutiven Anfang des Vogelfluges kann nicht als geklärt gelten. |
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Kritik an der Theropoden-Theorie |
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Die Vorstellung, Vögel seien Nachkommen der theropoden Dinosaurier, wird von einer Minderheit der Forscher kritisiert. Einige Kritikpunkte werden im Folgenden kurz zusammengestellt.
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Explosive Vielfalt der Kreide-Vögel |
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In manchen Darstellungen zur Evolution der Vögel werden Abwandlungsfolgen einiger kreidezeitlicher Gattungen gezeigt, in denen reptilienartige Merkmale zurückgehen und vogelartige zunehmen, etwa von Archaeopteryx über Sinornis (Abb. 318) zu Iberomesornis (Las Hoyas-Vogel). Solche Darstellungen präsentieren aber nur einen kleinen Ausschnitt aus der Vielfalt der Kreidevögel. Bereits in der Unterkreide gibt es ein gleichzeitiges Nebeneinander sehr verschiedener Vogeltypen, so dass die Existenz von zwei oder drei getrennten Vogellinien von Beginn der Vogelfossilüberlieferung angenommen werden muss. So gibt es unter den vielen aufsehenerregenden Funden in der Unterkreide von Yixian (China) mit dem Konfuziusvogel (Confuciusornis) eine Gattung mit einem „modernen“ Hornschnabel und einer modernen Kopplung von Ellenbogen und Handgelenk (wichtig für den Flug), anderseits besaß er ein „altertümliches“ Becken – eine unerwartete Kombination. Die Temporalregion des Schädels ist diapsid konstruiert (vgl. Abb. 319) und damit in evolutionstheoretischer Lesart urtümlicher als bei Archaeopteryx. Der in den gleichen Schichten geborgene Liaoningornis weist teilweise ein gegensätzliches Merkmalsmosaik auf. Sein Kiefer war bezahnt („Primitivmerkmal“); die Einrichtungen fürs Fliegen waren dagegen noch „moderner“ als bei Confuciusiornis. Zahlreiche weitere Beispiele solcher widersprüchlicher Mekrmalskombinationen könnten angeführt werden. Bereits aus der Unterkreide sind die Zahntaucher (Hesperornithiformes) bekannt, Wasservögel, die einerseits rückgebildete Flügel besaßen und in dieser Hinsicht sehr abgeleitet sind und auch in anderen Merkmalen ausgesprochen „modern“ waren, andererseits aber Zähne hätten. Obwohl sie flugunfähig geworden sind, waren sie weltweit verbreitet. Ebenfalls bezahnt waren die sog. Kreidemöwen (Ichthyornithiformes). Diese Gruppen waren weder untereinander noch mit heutigen Vögeln oder Theropoden enger verwandt. Schon dieser kleine Einblick gibt einen Eindruck von der enormen Vielfalt der Kreidevögel, die recht plötzlich auf der Bühne der fossil überlieferten Vögel erscheinen – viele von ihnen etwa gleichzeitig oder noch früher als diejenigen theropoden Dinosaurier, die am nächsten mit den Vogelvorfahren verwandt sein sollen. Das Merkmalspektrum dieser Formenvielfalt stellt sich eher als verwirrendes Netzwerk denn als Stammbaum dar. Dies äußert sich im Auftreten zahlreicher Konvergenzen (=Entstehung ähnlicher Merkmale, ausgehend von unähnlichen Vorstadien) (vgl. Ähnlichkeiten in der Morphologie und Anatomie). |
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Diskontinuität an der Kreide-Tertiär-Grenze |
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Die Vogelgattungen der Kreide verschwinden am Ende der Kreide, um am Beginn des Tertiärs wiederum explosiv durch die uns heute vertrauten Vogelordnungen abgelöst zu werden. Deren Verwandtschaftsbeziehungen untereinander und mit den Kreidevögeln sind unklar. Sie sind von Beginn ihrer Fossilüberlieferung in der Regel deutlich voneinander abgegrenzt – ein Befund, der sich regelmäßig auch bei anderen Tiergruppen zeigt (vgl. Kambrische Explosion). |
Zusammenfassung |
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1. Unter den zweibeinigen theropoden Dinosauriern der Kreide gibt es zahlreiche Mosaikformen mit unterschiedlichen Vogel- und Reptilmerkmalen. Daher gelten sie als die besten Kandidaten für Vogelvorfahren. 2. Die zunehmende Vogelartigkeit einiger Formen unterstützt die evolutionstheoretische Deutung. Insgesamt sind die Merkmale bei den betreffenden Gattungen jedoch so mosaikartig verteilt, dass vielfach Konvergenzen und Reversionen (=Rückentwicklungen)) angenommen werden müssen, auch bei manchen Schlüsselmerkmalen. 3. Die ältesten fossilen Federn erscheinen in fertiger Form bei Archaeopteryx. Andere Fossilerhaltungen feder- oder haarartiger Strukturen sind deutlich jünger und in ihrer Deutung umstritten. Bei manchen kreidezeitlichen Formen wird Flugverlust als wahrscheinlich betrachtet. 4. Umstritten ist, welche Selektionsdrücke den Erwerb von Federn und der Flugfähigkeit begünstigt haben könnten. 5. Sowohl in der Kreide als auch zu Beginn des Tertiärs treten zahlreiche Vogelgruppen plötzlich und mit markanten Diskontinuitäten auf. Der vorstehende Text ist eine gekürzte Version des Kapitels „Der Ursprung der Vögel“ von „Evolution - ein kritisches Lehrbuch“ (http://www.wort-und-wissen.de/lehrbuch.html). Literaturangaben sind unter folgendem Link zu finden: http://evolutionslehrbuch.wort-und-wissen.de/anhang/literatur.html, dort bei Abschnitt VI.14.5. |
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