Schöpfung: Theologie, Biblische Apologetik |
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Experten: Biblische Aussagen zur Existenzweise der Lebewesen |
In diesem Artikel werden einige biblische Texte ausgelegt, die den gegenwärtigen Zustand der Schöpfung thematisieren und Hinweise darauf geben, wie es zur heutigen „Knechtschaft" (Römer 8,20) der Schöpfung gekommen ist.
Was sagt die Schrift zur heutigen Schöpfung?
Weitere Texte im Neuen und Alten Testament
Schöpfung am Anfang und neue Schöpfung
Weitere Fragen zu diesem Thema
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Im Artikel Todesstrukturen in der Schöpfung wurde anhand zahlreicher Beispiele die auf Fressen und Gefressenwerden angelegte Ökologie der uns vertrauten Schöpfung demonstriert. Die Schöpfung in der uns geläufigen Erfahrung ist nicht nur durch Schönheit, Vielfalt und Zweckmäßigkeit gekennzeichnet, sondern auch durch Zerfall, Missbildung, Krankheit und Tod. In der Schöpfung sind Zerstörungs- und Todesmechanismen ständig wirksam – mehr noch: Die gegenwärtige Ökologie kann nur durch solche Vorgänge im Gleichgewicht gehalten werden. Die ökologischen Kreisläufe basieren auf gegenseitigem Verzehr der Organismen. Dazu verfügen die Lebewesen über Strukturen und Verhaltensweisen, die ihnen das Jagen, Fangen, Verzehren und Verwerten tierischer Nahrung ermöglichen.
In diesem Artikel soll aufgezeigt werden, was die Heilige Schrift zu dieser destruktiven Seite der Schöpfung sagt. Wir nennen dieses „Gesicht" der Schöpfung „fallsgestaltig", weil es (wie gezeigt wird) aus biblischer Sicht mit dem Sündenfall zu tun hat. Wir werden dazu zwei Aspekte kennenlernen: 1. Die Bibel zeichnet zwei sehr gegensätzliche „Gesichter" der Schöpfung, neben dem schönen und angenehmen auch ein häßliches fallsgestaltiges. 2. Die Bibel erklärt, dass die destruktive Seite nicht von Anfang an zur Schöpfung gehörte, sondern erst nachträglich in sie eindrang. Dies soll im folgenden anhand einiger biblischer Texte gezeigt werden. Im Artikel Modell für einen Umbruch in der Schöpfung werden Denkhilfen gegeben, wie man sich einen Umbruch von einer Welt ohne Tod in die heutige vom Tod gekennzeichneten Welt vorstellen könnte.
Was sagt die Bibel zur uns vertrauten Ökologie, die auf Fressen und Gefressenwerden basiert? Im Neuen Testament findet sich dazu im 8. Kapitel des Römerbriefs (Verse 19-22) ein aufschlussreicher Text. Er soll zunächst in der Übersetzung nach Menge wiedergegeben werden:
(19) Denn das sehnsüchtige Harren des Geschaffenen wartet auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes. (20) Denn der Nichtigkeit ist die ganze Schöpfung unterworfen worden – allerdings nicht freiwillig, sondern um dessen willen, der ihre Unterwerfung bewirkt hat –, jedoch auf Hoffnung hin, (21) dass auch sie selbst, die Schöpfung, von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit werden wird zur Freiheit, welche die Kinder Gottes im Stande der Verherrlichung besitzen werden. (22) Wir wissen ja, dass die gesamte Schöpfung bis jetzt noch überall seufzt und mit Schmerzen einer Neugeburt harrt.
Der Text steht im Zusammenhang des Leidens der Jünger und ihrer Hoffnung auf die Herrlichkeit. In ihm wird auch der Zusammenhang zwischen dem Leiden der Nachfolger Jesu und dem Leiden der Schöpfung insgesamt angesprochen. Auch die Schöpfung wartet auf Erlösung. Ihr Jetztzustand entspricht nicht dem ursprünglichen: die Schöpfung wurde der Nichtigkeit bzw. Vergänglichkeit unterworfen; sie war also früher anders. Damit wird ein früherer herrlicher Zustand der Ursprungswelt vorausgesetzt. Wir legen den Text unter drei Fragestellungen aus. Zunächst geht es um die Beschreibung der heutigen Schöpfung, sozusagen um eine Diagnose ihres Zustandes. In der folgenden Wiederholung des Textes sind dazu einige Charakterisierungen fett hervorgehoben:
(19) Denn das sehnsüchtige Harren des Geschaffenen wartet auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes. (20) Denn der Nichtigkeit ist die ganze Schöpfung unterworfen worden – allerdings nicht freiwillig, sondern um dessen willen, der ihre Unterwerfung bewirkt hat –, jedoch auf Hoffnung hin, (21) dass auch sie selbst, die Schöpfung, von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit werden wird zur Freiheit, welche die Kinder Gottes im Stande der Verherrlichung besitzen werden. (22) Wir wissen ja, dass die gesamte Schöpfung bis jetzt noch überall seufzt und mit Schmerzen einer Neugeburt harrt.
Wer ist mit „Schöpfung" gemeint? Mit „Schöpfung" (griech. ktisis) ist die gesamte außermenschliche Schöpfung gemeint. Es wird nämlich ausdrücklich gesagt, dass die gesamte Schöpfung seufzt (V. 20 und 22), was nahelegt, dass mit ktisis auf jeden Fall mehr als nur die Menschheit gemeint ist. Wenn die Menschen gemeint wären, sollte man einen anderen Begriff erwarten. Weiter wird gesagt, dass die ktisis ohne ihren Willen unterworfen wurde, also nicht schuldhaft, was sonst in der Heiligen Schrift von den Menschen ja gerade nicht gesagt wird. Das passt nur zur außermenschlichen Schöpfung.
Im Artikel Die Bindung der Erdgeschichte an den Sündenfall des Menschen wird in anderem Zusammenhang ebenfalls auf diese Stelle eingegangen. Dort wird eine detaillierte Arbeit des Neutestamentlers H.-K. Chang (2000) erwähnt, in der gezeigt wird, dass ktisis in Röm 8,19-22 weder die gläubige noch die ungläubige Menschheit noch auch Engel oder Dämonen meinen kann. Vielmehr kommt nur die außermenschliche, vernunftlose Schöpfung in Frage.
Schließlich ist auch aufgrund des ökologischen Zusammenhangs von Mensch und außermenschlicher Schöpfung anzunehmen, dass die außermenschliche Schöpfung gemeint (bzw. mindestens eingeschlossen) ist. Denn es ist kaum glaubhaft, dass zwar der Mensch der Vergänglichkeit unterworfen wurde, nicht aber die Tierwelt, oder dass zwar schon immer die Tierwelt der Vergänglichkeit unterworfen war, der Mensch ursprünglich jedoch nicht. Das passt ökologisch nicht zusammen. Da der Mensch offensichtlich Zielpunkt der Schöpfung ist, auf den alles zugeordnet wird (vgl. besonders 1. Mose 2), erscheint auch aus biblischen Gründen die Vorstellung unhaltbar, die „Knechtschaft der Vergänglichkeit" (V. 21) könnte nur den Menschen betroffen haben. Vielmehr betrifft das Verhalten des Menschen die gesamte Schöpfung, weil sie auf ihn bezogen ist (vgl. 1. Mose 3; s. u.).
Wie wird die Schöpfung beschrieben? Zum Verständnis dieser Passage ist die Bedeutung des Begriffs „Nichtigkeit" bzw. „Vergänglichkeit" in V. 20 wichtig. Der Begriff wird betont an den Anfang des Satzes gestellt. Er bezeichnet die Vergeblichkeit, die Inhaltsleere und die Nichtigkeit, vielleicht auch die Verkehrtheit und die Unordnung der Welt; die Schöpfung ist einem verderbenden Prozess ausgeliefert (so der Neutestamentler O. Michel). Auch an den Überlebenskampf kann hier gedacht werden. Weiter wird die Schöpfung als seufzend, geknechtet und mit Schmerzen gezeichnet beschrieben. Die „Knechtschaft der Vergänglichkeit" wird in einen Gegensatz zur Herrlichkeit der Söhne Gottes gestellt. Dieser krasse Gegensatz macht deutlich, dass die gegenwärtige Welt wesensverschieden von der kommenden ist – wie sie auch wesensverschieden von der ursprünglichen Welt ist. Von der Schöpfung als Ganze wird also ein ausgeprägt pessimistisches Bild gezeichnet. Von daher ist schon klar, dass diese Existenzweise der Schöpfung nicht die ursprüngliche sein kann, wie sie aus Gottes Schöpferhänden kam. Gott hat am Anfang keine seufzende, geknechtete, der Vergänglichkeit unterworfene Schöpfung ins Dasein gebracht. Damit kommen wir von der Diagnose zur „Ursachenforschung".
Wie kam es zur „Knechtschaft der Vergänglichkeit"? Auch zu dieser Frage gibt der Text aufschlussreiche Hinweise.
(19) Denn das sehnsüchtige Harren des Geschaffenen wartet auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes. (20) Denn der Nichtigkeit ist die ganze Schöpfung unterworfen worden – allerdings nicht freiwillig, sondern um dessen willen, der ihre Unterwerfung bewirkt hat ...
Der Text sagt, dass der gegenwärtige „Status" durch eine „Unterwerfung" in Kraft getreten ist. Der Unterwerfer kann nur Gott sein, denn nur er kann auf Hoffnung unterwerfen. Vor dem Hintergrund anderer biblischer Aussagen wird man freilich auch sagen müssen, dass der Widersacher Gottes, der Satan, seine Hand irgendwie im Spiel hatte, doch er hat nur den von Gott eingeräumten Spielraum. (Wir stehen hier vor der sog. Theodizee-Frage, der Frage nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts des Leides in der Welt, vgl. dazu Artikel Das Theodizee-Problem.) Der Aspekt, dass auf Hoffnung hin unterworfen wurde, zeigt, dass Gott der eigentlich Handelnde ist. Außerdem wird der sog. passivus divinus (göttlicher Passiv) verwendet: „wurde unterworfen" – ein in der ganzen Bibel übliches Stilmittel, um das Handeln Gottes auszudrücken, ohne seinen Namen ausdrücklich zu nennen.
Das Verhängnis des Unterworfenseins unter die Knechtschaft der Vergänglichkeit gilt nicht grundsätzlich, sondern es kennt einen Anfang und ein Ende. Das wird durch die Verwendung der (nur im Griechischen vorhandenen) Zeitform des Aorists ausgedrückt, der einen diesem Ereignis vorausgehenden Zustand voraussetzt, in welchem die Schöpfung nicht unter diesem Verhängnis stand.
Der oben erwähnte Neutestamentler Chang schreibt dazu: „Die ‚Knechtschaft’ unter die physische [körperliche] ‚Verderbnis/Vergänglichkeit’, in deren Zustand sich die außermenschliche Schöpfung gegenwärtig befindet (V. 21b), beruht auf dem historischen Ereignis, dass diese Schöpfung einstmals der physischen ‚Nichtigkeit unterworfen’ wurde (V. 20a)" (Chang 2000, S. 134). Oder einfacher ausgedrückt: „Die ganze Erde/Schöpfung [ist] durch die Übertretung Adams und zusammen mit Adam der Nichtigkeit und dem Niedergang verfallen" (S. 227).
Aus Römer 8,19ff. geht also hervor, dass die Schöpfung ursprünglich wesensmäßig anders beschaffen war als heute. Sie wurde der Vergänglichkeit unterworfen und besaß somit ursprünglich dieses Merkmal nicht. Folglich hatte sie andere Eigenschaften, die allerdings unserem Vorstellungsvermögen entzogen sind. Das gilt umgekehrt genauso für die verheißene zukünftige Schöpfung. Die Sehnsucht nach einer gemeinsamen Erlösung wird verstehbar vor dem Hintergrund eines gemeinsamen Falles. So wie der Mensch auch „nicht aus der Welt erlöst wird, sondern mit ihr" (Paul Althaus), wurde die gesamte Welt mit dem Menschen in die Bedingungen „dieses Äons" hineingerissen.
Die Schöpfung wurde „ohne ihren Willen" unterworfen, also nicht schuldhaft. Das weist auf den Menschen als Auslöser hin. Damit wird nahegelegt, dass das Unterworfensein Folge des Sündenfalls des Menschen ist und somit erst nachträglich die Schöpfung kennzeichnet. Nicht von ungefähr verstehen viele Ausleger diese Passage als neutestamentliche Auslegung der Sündenfallerzählung (1. Mose 3).
Martin Luther stellte fest: „Ihr werdet also dann die besten Philosophen und die besten Naturforscher sein, wenn ihr vom Apostel lernt, die Kreatur als eine harrende, seufzende, in Wehen liegende zu betrachten, d. h. als eine, die das, was ist, verabscheut, und nach dem verlangt, was zukünftig und darum noch nicht ist." Der Naturforscher deutet die Schöpfung richtig, wenn er die Kreatur nicht alleine aus innerweltlichen Entstehungsbedingungen heraus zu verstehen versucht, sondern sie als gefallene („unterworfene") und auf Erlösung wartende Schöpfung begreift.
Eine nachträglich verhängte Vergänglichkeit und ein dadurch bedingtes Seufzen der Schöpfung und sehnsüchtiges Harren auf Befreiung von diesem Zustand passt übrigens ganz und gar nicht zur Evolutionslehre. Denn danach gäbe es dieses Seufzen schon von Anfang an, und in ihrer Sichtweise gibt es keinen Einschnitt, durch den die Schöpfung der Vergänglichkeit unterworfen wurde (vgl. dazu Die biblische Urgeschichte im Neuen Testament).
Die Zukunft der Schöpfung. Glücklicherweise bleibt der Text nicht bei der Diagnose und der Ursachenforschung stehen, sondern gibt auch eine Perspektive. Der gegenwärtige Zustand der Schöpfung ist zwar durchaus bedrückend, aber nicht trostlos. Es gibt eine Hoffnung auf eine Befreiung von der Knechtschaft:
(20) ... jedoch auf Hoffnung hin, (21) dass auch sie selbst, die Schöpfung, von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit werden wird zur Freiheit, welche die Kinder Gottes im Stande der Verherrlichung besitzen werden. (22) Wir wissen ja, dass die gesamte Schöpfung bis jetzt noch überall seufzt und mit Schmerzen einer Neugeburt harrt.
Es wird eine neue Schöpfung geben, in der es keine Vergänglichkeit und das mit ihr verbundene Seufzen und Geknechtetsein mehr geben wird. (Das bezeugt die Bibel auch an anderen Stellen.) Der Weg dahin wird als Befreiung und als Neugeburt beschrieben. Es ist klar, dass dies nur durch das Eingreifen Gottes geschehen wird.
In Römer 5,12-19 stellt Paulus einen bestimmten Menschen – Adam – Jesus Christus gegenüber. Beide entsprechen einander in gewissem Sinne: Adam ist der Stammvater der Menschheit wie Jesus der „Anfänger einer neuen Menschheit" (Paul Althaus) ist:
Darum, gleichwie durch einen Menschen die Sünde in die Welt hineingekommen ist, und durch die Sünde der Tod ...
Wie es durch eine einzige Übertretung für alle Menschen zum Verdammungsurteil gekommen ist, so kommt es auch durch eine einzige Rechttat für alle Menschen zur lebenwirkenden Rechtfertigung. (Röm. 5,12+18)
In unserem Zusammenhang ist hier bedeutsam, dass die Sünde des Adam den Tod aller Menschen nach sich zog. Dass durch die Tat eines einzigen der Tod in die Welt kam, wird durch die Gegenüberstellung zu dem einen, Jesus Christus, hervorgehoben. Wie Jesus eine bestimmte Person ist, die als Jesus aus Nazareth auf dieser Erde gelebt hat, so war es auch Adam. Somit bezeugt Paulus mit diesen Sätzen in Römer 5, dass eine historische Person das Einfallstor des Todes in diese Welt war. Nach diesem Zeugnis kann also der Tod nicht als ursprünglich angesehen werden. Somit wird abermals deutlich, dass die Bibel Sünde und Tod als Kennzeichen „dieses Äons" (d. h. der Zeit nach dem Sündenfall und vor Jesu Wiederkunft) charakterisiert, nicht jedoch als zur „guten Schöpfung" wesensmäßig gehörig. So wie Christi Sterben eine Bedeutung für den ganzen Kosmos hat, so auch die Sünde des ersten Adam. (Mehr dazu im Artikel Die biblische Urgeschichte im Neuen Testament.)
Zudem wird der Tod als der „letzte Feind" Gottes bezeichnet (1. Kor. 15,26), der besiegt werden wird. Dies macht ebenfalls deutlich, dass der Tod nicht zur ursprünglichen Schöpfung gehört.
Das Wirken Satans. Die Tatsache, dass dem „Fürsten dieser Welt" eine begrenzte und kontrollierte, destruktive Tätigkeit eingeräumt wird (vgl. Hiob 1; Mt 4,1-11; 1. Joh 3,8) muss ebenfalls als Zeugnis dafür gewertet werden, dass die Welt gefallene Schöpfung und nicht das Ergebnis ausschließlich natürlicher Prozesse und nicht so aus Gottes Schöpferhand gekommen ist. In der Versuchungsgeschichte (Mt 4,1-11 par) widerspricht Jesus dem Satan nicht, als dieser ihm alle Reiche der Welt zur Herrschaft anbietet. Das bedeutet nichts weniger, als dass Satan einen erstaunlichen Wirkungsraum hat. Da von „allen Reichen dieser Welt" die Rede ist, beschränkt sich diese Wirkung nicht auf einen existentiellen Bereich, auch nicht auf den Menschen.
Jesu Taten. Die Krankenheilungen und Totenauferweckungen Jesu verdeutlichen ebenfalls, dass Krankheit, Leid und Tod Eindringlinge sind, die nicht zur guten Schöpfung Gottes gehören, sondern als Gerichtszeichen zu werten sind. Jesus drängt Krankheit und Tod durch seine Machtworte zurück.
Texte aus der Genesis. Im Neuen Testament werden die ersten elf Kapitel der Genesis (1. Buch Mose) als Schilderungen tatsächlicher Begebenheiten verstanden und aufgegriffen. Das ergibt sich aus dem Umgang Jesu Christi und der Schreiber des Neuen Testamentes mit diesen Texten. (Nähere Erläuterungen dazu in Die biblische Urgeschichte im Neuen Testament.) Die Genesistexte werden daher nicht als zeitlose Wahrheiten angesehen, die in „Geschichten" eingekleidet wurden, sondern als Zeugnisse tatsächlich abgelaufener Geschichte.
Für unsere Fragestellung von besonderer Relevanz sind somit vor allem folgende Teststellen aus 1. Mose 1 bis 11:
• Neben dem Zeugnis, dass die Lebewesen in gegliederten Einheiten („Arten") geschaffen wurden, sind zunächst die Verse 1. Mose 1,29 und 30 wichtig, denn sie geben Auskunft über die Art der Nahrung. Sowohl den Tieren als auch den Menschen wird pflanzliche Nahrung zugewiesen:
Dann fuhr Gott fort: „Hiermit übergebe ich euch alle samentragenden Pflanzen auf der ganzen Erde und alle Bäume mit samentragenden Früchten: die sollen euch zur Nahrung dienen! Aber allen Tieren der Erde und allen Vögeln des Himmels und allem, was auf der Erde kriecht, was Lebensodem in sich hat, weise ich alles grüne Kraut der Pflanzen zur Nahrung an." Und es geschah so. (1. Mose 1,29.30)
Tiere sollten also nicht durch Räuber oder Parasiten sterben. Wären sie überhaupt gestorben, wenn es nicht zum Sündenfall gekommen wäre? Dazu wird im Text nichts ausdrücklich gesagt. Dennoch wird man im Anschluss an Röm 5 und 8,19ff. (s. o.) annehmen müssen, dass auch das Sterben der Tiere Ausdruck des „Unterworfenseins" und des Seufzens der gesamten Schöpfung ist, vgl. die obigen Darlegungen.
• Ebenfalls von Bedeutung für unser Thema ist der Vers 1. Mose 1,31: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut." Die Feststellung, dass alles sehr gut war, schließt die Deutung aus, dass nur bestimmte Aspekte der Schöpfung sehr gut waren, etwa in dem Sinne, dass nur die Zweckmäßigkeit der organismischen Strukturen damit gemeint sei.
• Bedeutend ist dann 1. Mose 3,16-19, die Fluchworte Gottes als Reaktion auf den Ungehorsam und Unglauben von Adam und Eva. Hier werden einige Hinweise dafür gegeben, dass mit dem Sündenfall Umbrüche und einschneidende Veränderungen auch im physikalisch-chemischen und biologischen Bereich einhergingen.
So wird in V. 16 die Mühsal der Frau in der Schwangerschaft und bei der Geburt genannt. Aus dem Fluchwort geht hervor, dass Schwangerschaft und Geburt ursprünglich etwas ausschließlich Schönes sein sollten. Jetzt dagegen wird die Freude am neuen Leben getrübt, ja sogar mit Todesgefahr für Mutter und Kind überschattet. Es bereitet dem Anatomen keine Mühe, die Geburtsschmerzen und diese Gefahren physiologisch bzw. anatomisch zu erklären; sie resultieren z. B. aus der Enge des Geburtskanals. Unser Text hebt nun gerade hervor, dass die Schmerzen des Gebärens keine „Naturnotwendigkeit" sind.
Auch der Mann ist durch den Fluch betroffen (V. 17-19; 5,29), denn von nun an geschieht Arbeit gegen Widerstand. Der Acker wird verflucht, und das hat zur Folge, dass Dornen und Disteln die Arbeit behindern. Der Ertrag der Arbeit steht oft in keinem Verhältnis zu ihrem Aufwand. Das ist nicht aus Gottes ursprünglicher Ordnung zu erklären. Hier wurde die Außenwelt verändert. Es werde deutlich, dass die Konsequenzen des Falls nicht auf die Innenwelt des Menschen beschränkt werden können.
Diese knappen Hinweise aus diesem 3. Kapitel des Genesisbuches sind insofern bedeutungsvoll, als sie eine Ahnung davon geben, dass auch im Bereich der außermenschlichen Kreatur und des Körperlichen gravierende Veränderungen infolge des Sündenfalls eingetreten sind. Dabei beschränkt sich der Text auf Umbrüche, die den Menschen betreffen. Der Naturforscher würde gerne mehr erfahren, aber die Bibel schweigt sich aus. Doch auch wenn dieser Text nicht für den Biologen geschrieben wurde, so ist er doch für ihn von Bedeutung. Zusammen mit Röm 8,19ff. gibt er entscheidende Hinweise für die Deutung des Widerspenstigen, Widerwärtigen und Destruktiven („Fallsgestaltigen", s. o.) in der Schöpfung.
Wichtig ist auch die Wendung „um deinetwillen" (V. 17). Sie macht abermals deutlich, dass die Konstitution des Ackers nicht einfach Ausdruck naturgesetzlich wirkender Kräfte ist, sondern eine Folge der Sünde des Menschen: Der Schöpfer hat neue, die Lebensmöglichkeiten einschränkende Lebensbedingungen gesetzt bzw. zugelassen.
In V. 19 ist außerdem vom physischen Tod die Rede, vom Zurückkehren zum Staub. Die Formulierung „bis du zurückkehrst" setzt voraus, dass die in 2,17 ausgesprochene Warnung „wirst du des Todes sterben" bereits gültig geworden ist.
• 1. Mose 6,12 („alles Fleisch hatte seinen Weg verdorben auf Erden") ist insofern bedeutsam, als das frühere Urteil des Schöpfers über seine Schöpfung („alles war sehr gut"; 1. Mose 1,31) sich ins Gegenteil verkehrt hat. Mit der Wendung „alles Fleisch" ist die gesamte Menschen- und Tierwelt gemeint. Dass nicht nur die Menschen gemeint sind, geht aus den Versen 13 und 21 hervor, wo diese Wendung ebenfalls gebraucht wird und wo aufgrund des Kontextes kein Zweifel besteht, dass die Tiere eingeschlossen sind, besonders deutlich in V. 21: „Da ging alles Fleisch unter, das sich auf Erden regte, an Vögeln, an Vieh, an wildem Getier und an allem, was da wimmelte auf Erden, und alle Menschen."
Nicht nur der Blick in die Vergangenheit, auch die biblische Zukunftshoffnung lässt Licht auf unsere Fragestellung fallen. Die Bibel bezeugt auch eine künftige Veränderung der Lebensbedingungen und damit notwendigerweise des Baues und Verhaltens der Lebewesen, wenn Gott Himmel und Erde neu schafft (2. Petr. 3,13; Offb. 21). Was dabei geschieht, entzieht sich unserer Vorstellungswelt in gleichem Maße wie die Welt vor dem Sündenfall.
Besonders in Offb. 21,4.5 wird eine Parallelität zwischen Ursprungswelt und der neuen Schöpfung gezeigt: „...der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen." Diese Merkmale sind unter den heutigen ökologischen und physikalischen Rahmenbedingungen nicht möglich. Die zukünftige Welt, die Gott schaffen wird, ist wesensmäßig ebenso von der heutigen verschieden wie die ursprüngliche Welt vor dem Fall. Der Übergang zur neuen Welt erfolgt nicht evolutionär, sondern durch Gottes Eingreifen.
Diese biblischen Verheißungen eines Neuwerdens der Schöpfung durch Gottes Handeln lassen auch ein Gerichtshandeln Gottes „nachvollziehbar" erscheinen, das die physikalischen Rahmenbedingungen und die biologischen Gestalten verändert hat (dies wird im Artikel Modell für einen Umbruch in der Schöpfung erläutert). Die angesprochene Parallelität zeigt sich auch insofern, als beide Einschnitte Erkenntnisschranken darstellen, über die nicht extrapoliert werden kann.
Die Parallelität zwischen der neuen Schöpfung und der Urgeschichte wird auch im Alten Testament angesprochen. In Offb. 21 werden Verheißungen aus Jes 11,6-10; 25,8; 65,17.25 und 66,22 aufgegriffen (vgl. auch Hos 2,20). In Jes 65,17ff. geht es allerdings nicht um die Neuschöpfung nach Offb. 21, sondern um das in Offb. 20,1-6 beschriebene tausend Jahre der Bindung Satans („tausendjähriges Reich"). Dort ist nur eine Verklärung der bestehenden Welt gemeint. Das Neue betrifft nur Zustände auf der alten Erde, nicht aber diese selbst wie in Offb 21 oder 2. Petr 3. Doch weist auch Jesaja auf eine Zeit hin, in der es auch keinen Tod mehr geben wird (25,8). Beachtlich sind die Parallelen in den Beziehungen zwischen den Tieren. Raubtiere werden sich nicht mehr wie Raubtiere verhalten (11,6ff.; 65,25). Außerdem gibt es keine fruchtlose, sinnlose Arbeit mehr.
Die Bibel schildert die heutige Schöpfung mit recht pessimistischen Worten: Die Schöpfung seufzt, ist von Schmerzen gezeichnet und durch Vergänglichkeit geknechtet. Es wird ein Unterschied zwischen dem heutigen und dem Ursprungszustand gemacht: Die „Knechtschaft der Vergänglichkeit" begann demnach erst nach einer „Unterwerfung". Der Tod gehört nicht zur ursprünglichen Schöpfung. Ebenso wird es zukünftig eine ganz andere neue Schöpfung ohne Tod durch Gottes Eingreifen geben. Der Einschnitt, durch den es zur Knechtschaft der Schöpfung kam, ist aufs Engste mit dem Sündenfall des Menschen verbunden.
Eine solche Sicht von einem einschneidenden Umbruch in der Geschichte der Schöpfung passt nicht zu einer evolutionären Weltanschauung. Denn danach gab es das Seufzen des Schöpfung schon immer und insbesondere vor dem Auftreten des Menschen und unabhängig von dessen Sünde.
Chang H-K (2000) Die Knechtschaft und Befreiung der Schöpfung. Eine exegetische Untersuchung zu Römer 8,19-22. Wuppertal.
Junker R (1994) Leben durch Sterben? Schöpfung, Heilsgeschichte und Evolution. Neuhausen-Stuttgart.
Junker R (2001) Sündenfall und Biologie. Schönheit und Schrecken der Schöpfung. Neuhausen-Stuttgart.
Kann mit dem Tod, der durch die Sünde in die Welt kam, der „geistliche Tod“ gemeint sein?
Sind Krankheit, Leid und Tod notwendig, damit vor ihrem Hintergrund das Gute erkennbar ist?
Ist eine paradisische Welt ohne den Tod überhaupt ökologisch möglich?
Betraf laut der Bibel der Tod als Folge der Sünde auch die Tiere?
Autor: Reinhard Junker, 17.05.2004
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