Nachweis von Unvollkommenheit. Das „Unvollkommenheits-Argument" ist auch biologisch problematisch, weil es nur sticht, wenn die Unvollkommenheit auch nachgewiesen wird oder wenigstens plausibel gemacht werden kann. Bei der Präsentation des Arguments anhand des Panda-Daumens stellt Gould (1989, 21) selber fest, dass er über die Geschicklichkeit der Tiere erstaunt sei. Wieso sollte der Panda-Daumen also unvollkommen sein? Das Unvollkommenheits-Argument steht und fällt mit dem Nachweis, dass die betrachtete Struktur besser konstruiert werden könnte. Dieser Nachweis aber gestaltet sich als äußerst schwierig, wenn nicht als unmöglich.
Genauere Untersuchungen der Panda-Tatze haben gezeigt, dass bei ihr viel feinere Greifmechanismen verwirklicht sind, als früher vermutet worden war. Die Pandabären setzen ihre Tatze offenbar sehr gekonnt und zweckmäßig ein. Daher bleibt wenig Raum für den Nachweis einer „Unvollkommenheit". Das „Panda-Prinzip" steht ausgerechnet im Falle seines Kronzeugen auf schwachen Füßen.
Vermutlich gibt es zahlreiche Organe, deren Funktionalität – anders als beim Panda-Daumen – nicht vollständig geklärt ist. Aber auch dann gilt, dass es sich allenfalls um mögliche Hinweise auf Unvollkommenheiten in der Natur handeln könnte; das „Unvollkommenheits-Argument" ist auch dann ein „weiches" Argument, da es jederzeit durch Erweiterung der Funktionskenntnisse des jeweils in Rede stehenden Organs widerlegt werden kann.
Als Ergebnis kann festgehalten werden: Unvollkommenheiten in der Natur können nicht objektiv festgestellt werden und damit nicht als Belege für Evolution dienen.
Der Teil und das Ganze. Die Organe der Lebewesen sind in der Regel polyfunktional (=viele Funktionen ausübend). Sie müssen gleichzeitig verschiedene Zwecke erfüllen. Das bedeutet notwendigerweise, dass nicht jede einzelne Struktur für jeden Zweck, den sie erfüllt, optimal sein kann. Kompromisse sind unvermeidlich. Ein Urteil über die Vollkommenheit eines Organs kann sinnvollerweise nur gefällt werden, wenn der Organismus als Ganzes im Blick ist. Dabei muss auch seine Ontogenese (=individuelle Entwicklung von der Befruchtung bis zum Tod) berücksichtigt werden. Die isolierte Betrachtung einzelner Organe ist verfehlt, erst recht, wenn diese im Hinblick auf nur eine von evtl. mehreren Funktionen bewertet werden.
Grundtypen und Mikroevolution. Wenn mutmaßliche Unvollkommenheiten durch mikroevolutive Prozesse im Grundtyprahmen erklärbar sind (vgl. Mikro- und Makroevolution und Heutige Grundtypen), sind sie auch im schöpfungstheoretisch interpretierten Grundtypmodell erklärbar und können in diesem Rahmen durchaus auch erwartet werden. Es kann sich um Degenerationen handeln oder auch um Kompromisse zwischen verschiedenen Funktionen (s.o.). |