Durch die historische Evolutionsforschung soll dagegen ein vergangener Vorgang – die einmalige, nicht reproduzierbare Geschichte des Lebens – rekonstruiert wer- den. Sie kann methodisch nur mit indirekten Belegen, Analogieschlüssen und weitreichenden Extrapolationen vom empirischen auf den nicht-empirischen Be- reich arbeiten (siehe Methodik der historischen Forschung). Es werden Indizien gesammelt, die im Rahmen eines Ursprungskonzepts gedeutet werden, selber aber das zugrundegelegte Ursprungskonzept nicht hinreichend begründen können.
Evolutionsbelege. Die historische Evolutionsforschung wird gewöhnlich nochmals in zwei Teilbereiche unterteilt. Zum einen geht es um Belege für den Formenwan- del und für die mutmaßliche Gesamt-Evolution des Lebens (Makroevolution) – un- abhängig von den zugrundeliegenden Mechanismen. Hierzu werden Ergebnisse aus zahlreichen Teilbereichen der Biologie und der Paläontologie (Fossilforschung) herangezogen. Da die Geschichte des Lebens nicht direkt erforschbar ist – sie liegt in der Vergangenheit und kann experimentell nicht nachgestellt werden –, kann die historische Evolutionsforschung keine naturwissenschaftlich begründeten Beweise für eine Gesamtevolution des Lebens liefern. Makroevolution stellt viel- mehr einen Deutungsrahmen für die Interpretation der Beobachtungsdaten dar, der per Konvention festgelegt wird und prinzipiell auch anders gewählt werden könnte (vgl. Artikel „Mikro- und Makroevolution").
Stammbaum-Rekonstruktion. Das zweite Teilgebiet der historischen Evolutions- forschung ist die sog. Phylogenetik („Stammbaumrekonstruktion"). Sie versucht unter der Voraussetzung einer allgemeinen Evolution einzelne evolutionäre Abfol- gen und Abstammungszusammenhänge zu rekonstruieren. Dies geschieht vor allem auf der Basis von Formenvergleichen, aber auch anhand von Fossilfunden. In den letzten Jahren und Jahrzehnten gewannen dabei molekulare Studien (Se- quenzvergleiche von Proteinen und DNA) eine rasch zunehmende Bedeutung. Da- bei wird ein unterschiedliches Ausmaß an Gemeinsamkeiten (sei es in Abfolgen der Protein- oder DNA-Bausteine oder sei es auf der Grundlage der klassischen mor- phologisch-anatomischen Merkmale) als Gradmesser für mehr oder minder enge stammesgeschichtliche Verwandtschaft interpretiert. |