Die oben erwähnten Bergwerkshaldenpflanzen wurden genetisch untersucht. Es stellte sich heraus, dass die Pflanzen, die auf den giftbelasteten Böden wachsen, keine neuen Eigenschaften erworben haben, sondern dass die Fähigkeit der Gifttoleranz bereits in den jeweiligen Arten vorhanden war, bevor sie die Giftböden besiedelten. Nur einige solcher Arten, von denen ein Teil auch auf den normalen Standorten gifttolerant ist, konnten die Giftböden besiedeln. Die Gifttoleranz gehört bei diesen Arten zur natürlichen Variabilität. (Der Anteil der gifttoleranten Arten ist so hoch, dass er bei weitem nicht durch spontane Mutationen erklärbar ist.)
Offenbar erfolgte eine Auslese der zuvor schon gifttoleranten Formen. Die einsei-
tige Auslese hat eine Spezialisierung zur Folge (vgl. Abb. 69). Damit gekoppelt ist z. T. eine Verringerung der Kreuzbarkeit mit den Normalformen der unbelasteten Böden, womit genetische Isolation eintritt und eine Artbildung erfolgt. Die gene-
tische Isolation kann in diesem Fall z. B. durch eine Verschiebung der Blühzeiten eintreten.
Die Gifttoleranz rührt übrigens wahrscheinlich daher, dass die Aufnahme von Mine-
ralsalzen aus dem Boden eingeschränkt ist; es handelt sich also nicht um einen evolutionären Fortschritt, sondern um eine Einschränkung, die sich in der speziel-
len Umgebung, auf den Giftböden, als vorteilhaft erweist.
Die Vorgänge bei den Bergwerkshaldenpflanzen zeigen wie ähnlich gelagerte Fäl-
le, dass Artbildung nicht als beginnende Höherentwicklung anzusehen ist, sondern oft mit Spezialisierung und damit mit Verarmung des Genpools verbunden ist. Mehrfach aufeinanderfolgende Artaufspaltungen führen daher tendenziell zu einer Verarmung des Genpools und damit zu einer Verminderung der Variabilität (vgl. Abb. 70). Zwar können Mutationen der Verarmung des Genpools entgegenwirken, doch zeigen Studien, dass der Trend zur Verarmung damit nicht gebrochen wird. Wenn die aufgespaltenen Arten dann aufgrund ihrer einseitigen Spezialisierung nicht mehr flexibel auf Umweltveränderungen reagieren können, sind sie vom Aussterben bedroht. |
|