Angewendet auf das Ähnlichkeits-Argument bedeutet das: Es ist beobachtbar, dass Nachkommen ihren unmittelbaren Vorfahren gleichen. Doch dies ist nur inner-
halb von Arten oder Grundtypen beobachtbar, nicht jedoch darüber hinaus. Wenn also aufgrund der Ähnlichkeit z. B. von Mensch und Schimpanse auf Abstammung von gemeinsamen Vorfahren geschlossen wird, erfolgt dabei eine (nur noch ge-
dankliche) Ausweitung: Was innerhalb kreuzbarer Lebewesen gilt, soll auch darü-
ber hinaus zutreffen, wo „Ähnlichkeit aufgrund von Abstammung“ nicht mehr beo-
bachtbar ist. Solche Analogieschlüsse sind nicht zwingend.
Die Deutung der Ähnlichkeiten durch gemeinsame Abstammung ist also möglich, aber sie ist nicht zwingend. Denn Ähnlichkeiten sind auch zu erwarten aufgrund ähnlicher Funktionen. Die Arten leben oft in ähnlichen Umwelten, ernähren sich ähnlich, atmen dieselbe Luft, müssen denselben physikalischen Gesetzen gehor-
chen usw. Folglich muss es Ähnlichkeiten geben, wie auch immer die Arten ent-
standen sind.
Dagegen wird nun eingewendet, dass viele Ähnlichkeiten nicht durch die Funktion der verglichenen Organe erklärt werden können, beispielsweise die Ähnlichkeiten des Skelettgerüsts der Gliedmaßen der Wirbeltiere (Abb. 45). Diese Ähnlichkeit könne nur durch Abstammung erklärt werden. Jedoch: Es kann kaum sicher nach-
gewiesen werden, dass bestimmte Ähnlichkeiten oder Unterschiede nicht funk-
tionsbedingt sind. Es gibt sogar gute funktionelle Gründe dafür, weshalb sich die Knochengerüste der Gliedmaßen auffallend ähneln. Die Annahme einer gemein-
samen Abstammung ist zur Erklärung nicht erforderlich.
Außerdem: Ähnlichkeiten sind grundsätzlich auch erklärbar durch die „Handschrift“ desselben Schöpfers. So wie es im technischen oder künstlerischen Bereich „Markenzeichen“ gibt, die auf denselben Urheber hinweisen (vgl. Abb. 46), kann dies auch auf Lebewesen zutreffen ( s. Artikel „Ähnlichkeiten und Rudimentäre Organe“).
Wir können zunächst festhalten, dass Ähnlichkeiten an sich keine sichere Aus-
kunft über ihre Entstehung geben. |
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Nicht alle Ähnlichkeiten gelten im Rahmen der Evolutionslehre jedoch als Belege für gemeinsame Abstammung, sondern nur - vereinfacht gesagt - bauplangleiche Ähnlichkeiten. Die Biologen nennen solche Ähnlichkeiten Homologien und sehen diese als ?Anzeiger für gemeinsame Abstammung an. Manche Ähnlichkeiten sollen aber unabhängig auf verschiedenen Ästen des zugrundeliegenden Stammbaums entstanden sein: Konvergenz. Konvergenzen gelten daher nicht als Belege für gemeinsame Abstammung. Die Unterscheidung zwischen Homologie und Konver-
genz ist in vielen Fällen jedoch nicht objektiv möglich, was von den Systematikern auch ohne Umschweife eingeräumt wird. Ein Beispiel zeigt Abb. 47. |