Evolution: Biologie |
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Interessierte: Atavismen |
InhaltIn diesem Artikel wird erklärt, was Atavismen sind und weshalb sie als Belege für Makroevolution betrachtet werden. Weiter wird gezeigt, weshalb Atavismen nicht als Beweise für Makroevolution gelten können. |
Das Atavismus-Argument |
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Indizien für Evolution werden auch aus der Teratologie gewonnen. Dabei handelt es sich um das Studium und die Lehre von den Missbildungen. Störungen in der individuellen Entwicklung können durch Mutationen, aber auch durch Unwelteinflüsse ausgelöst werden. Missbildungen gibt es in sehr großer Zahl, sie treten jedoch bei einzelnen Individuen sehr selten auf. Manche Missbildungen weisen gewisse Ähnlichkeiten mit Strukturen mutmaßlicher Vorfahren der betreffenden Art auf. In diesen Fällen werden sie häufig als Atavismen bezeichnet. In dieser Bezeichnung steckt eine evolutionstheoretische Interpretation: „Atavismus" kommt vom lateinischen atavus = Urgroßvater, Urahn. Die betreffenden missgebildeten Strukturen sollen also an die Ausprägung bei einem stammesgeschichtlichen Vorfahren erinnern. Man spricht von „Rückschlägen" in stammesgeschichtlich früher verwirklichte Stadien. Als Atavismen werden beim Menschen Halsfisteln, ein ungewöhnlich stark ausgebildetes Haarkleid, Schwänzchen (Abb. 200) und überzählige Brustwarzen angeführt. Halsfisteln sind Kanäle im Bereich der äußeren Halshaut und dem Rachen, sie werden als offen gebliebene Kiemenspalten gedeutet (Rückschlag zum Fischstadium). Atypische Behaarung soll eine Erinnerung an felltragende Vorfahren sein, ebenso soll die Ausbildung einer schwanzartigen Bildung im Steißbereich auf geschwänzte Vorfahren hinweisen usw. Ein Beispiel für einen Atavismus bei Tieren sind zusätzlich auftretende Zehen bei Pferden (Abb. 201). In diesem Fall wird eine pro Fuß normalerweise nur einmal verwirklichte Struktur vermutlich aufgrund einer Fehlsteuerung (unnützerweise) zweimal ausgebildet. |
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Bewertung des Arguments |
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Wie die Rudimentären Organe (Rudimentäre Organe) geben auch Atavismen keine direkten Hinweise auf eine progressive Evolution. Allerdings wird indirekt auf makroevolutive Veränderungen geschlossen, etwa wenn bestimmte als Atavismen gedeutete Missbildungen als Belege dafür gewertet werden, dass der Mensch fischartige Vorfahren hatte. Hier wird jedoch im Wesentlichen nur vergleichend-biologisch argumentiert, woraus keine stichhaltigen Belege für Makroevolution gewonnen werden können (vgl. Ähnlichkeiten in der Morphologie und Anatomie). Denn die Mechanismen der indirekt erschlossenen hypothetischen Umbildungen sind nicht bekannt. |
Generell kann man zeigen, dass den Atavismen wie allen Missbildungen bestimmte Störungen der Formbildung zugrundeliegen, die auch ohne Rückgriff auf hypothetische stammesgeschichtliche Vorläufer verstanden werden können. Bei den Flügel-/Schwingkölbchen-Mutationen liegen Mutationen regulatorischer Gene zugrunde (vgl. Homeobox-Gene und Evolution). Halsfisteln (s.o.) sind u.a. die Folge einer krankhaften Zerstörung der äußeren Halshaut und keine offen gebliebenen Kiemenspalten. Der Bezug auf die Stammesgeschichte erweist sich als unnötig und und kann daher fallengelassen werden. |
Eventuell ähnlich zu beurteilen sind atavistische Hinterextremitätenstummel bei Walen (Abb. 202). Sie lassen sich ebenfalls als missgebildete „Kopie" von Teilen der Vorderextremitäten deuten. Daher ist es nicht zwingend, „eingeschlafene Gene" zu postulieren, die „versehentlich" reaktiviert werden und dadurch zum Auftreten von Atavismen führen. Davon abgesehen ist zu erwarten, dass über lange Zeiträume nicht benötigte Gene aufgrund des Wegfalls der Selektion durch Mutationen so starke Defekte erleiden, dass sie nicht mehr reaktivierbar sind. Doch liefert dieses Beispiel ein vergleichsweise gutes Argument für die evolutionstheoretische Deutung, da – im Gegensatz zum Beispiel der vierflügeligen Fruchtfliegen – die atavistische Struktur kein Ersatz für eine andere Struktur ist (bei der Fruchtfliege: Ersatz für die Schwingkölbchen), sondern zusätzlich auftritt. Das in den letzten Jahren gewonnene Verständnis über die Funktionen von Hox-Genen (Homeobox-Gene und Evolution) bei der Bildung von Körperachsen und Extremitäten bei Wirbeltieren eröffnet eine Klärung dieses und anderer Phänomens als krankhafte homeotische Fehlbildung. Bei der Interpretation von Missbildungen als Atavismen gilt wie bei Rudimenten: Alle Deutungen sind voreilig, solange die zugrundeliegende genetische und entwicklungsphysiologische Situation und die wachstumsfunktionelle Bedeutung der normalen Bildungen nicht bekannt sind. |
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