Die wichtigsten deskriptiven (=beschreibenden) Aussagen können wie folgt zusammengefasst werden:
1. Die Ontogenese des Individuums repräsentiert verkürzt die wichtigsten Formveränderungen der stammesgeschichtlichen Vorfahren (Adultformen) der eigenen Art. Danach repräsentieren einzelne embryonale Stadien jeweils ausgewachsene (adulte) Formen entsprechender Vorfahren.
2. Es existiert kein vollständig identisches Abbild der Phylogenese durch die Ontogenese. Haeckel schränkte von Anfang an sein Gesetz ein. Es müsse unterschieden werden zwischen Palingenesen, die frühere stammesgeschichtliche Stadien während der Individualentwicklung wiederholen (Rekapitulation), und den Caenogenesen, ontogenetisch notwendige, aber stammesgeschichtlich nicht verwertbare Neubildungen. Zu den Palingenesen zählte Haeckel z.B. beim Menschen die sogenannten Kiemenbögen und die Schwanzanlage. Das heißt: Diese Strukturen im menschlichen Embryo sollen auf evoluitve Vorfahren hinweisen (Fische bzw. später schwanztragende Säugetiere; vgl. aber Biogenetisches Grundgesetz - Beispiele).
Dagegen sind z. B. die Entstehung des Dottersackes, der Allantois, der Plazenta, der Eihüllen (z.B. Amnion) und der Nabelschnur caenogenetisch zu bewertende Strukturen. Diese besagen nichts über das Aussehen der Vorfahren. Auch räumliche (Heterotopien) und zeitliche Verschiebungen (Heterochronien) im ontogenetischen Auftreten von Organen im Vergleich mit der zugrundegelegten Phylogenese berücksichtigte Haeckel.
3. Die Ontogenie repräsentiert erst allgemeine und später spezielle Merkmale der Art. In Anlehnung an die typologischen Vorstellungen von v. Baer (1828) im Gesetz der Embryonenähnlichkeit formulierte Haeckel: „Der Mensch ist demnach in den frühen Entwicklungsstufen nicht von den Embryonen der Vögel und Reptilien zu unterscheiden. Wenn auf noch frühere Stadien der Entwicklung zurückgegangen wird, wären keine Unterscheidungen zwischen den Embryonen dieser höheren Wirbelthiere und denjenigen der niederen, der Amphibien und Fische, aufzufinden“ (Anthropogenie 1877, S. 295).
Schlussfolgerungen. Ausgehend vom Paradigma „Evolution“ suchte Haeckel mit dem Biogenetischen Grundgesetz „den engen, ursächlichen Zusammenhang ...“ (Welträthsel 1903, S. 36) zwischen Phylogenese und Ontogenese darzustellen und gleichzeitig einen methodischen Leitfaden für die Stammbaumrekonstruktion festzuschreiben. In den Grundgedanken des Biogenetischen Grundgesetzes finden sich frühere naturphilosophische Anschauungen (Stufenleiter, Typologie) in einer phylogenetischen Interpretation wieder (vgl. dazu den Expertentext Biogenetische Grundregel - Geschichte). Aufgrund von Zirkularitäten, falschen Grundannahmen, überzogenen Schlussfolgerungen (s.u.) und zweckorientierter Darstellungsformen musste er sich lebenslang mit wissenschaftlicher und persönlicher Kritik auseinandersetzen. Durch das Biogenetische Grundgesetz verlieh er der vergleichenden Embryologie jedoch einen enormen Forschungsstimulus. |