Eine weitere, bisher nicht überwundene Schwierigkeit ist der Übergang von einer proteinlosen RNS-Welt zu einer Phase, in der wesentliche Bereiche von Stoffwechsel und Fortpflanzung auf Proteinen basieren. Im Labor kann man RNS Moleküle in komplexen Reaktionsfolgen synthetisieren und durch unter bestimmten Bedingungen auf für spezielle Funktionen optimieren. Durch die Entwicklung und Untersuchung solcher in vitro (=im Reagenzglas) Selektionstechniken wurde ein neuer Forschungszweig mit Aussicht auf viele vorstellbare Anwendungsmöglichkeiten zugänglich: die „evolutive Biotechnologie". Ein Zusammenhang solcher „gerichteter molekularer Evolution" mit der Frage der Lebensentstehung ist bisher allerdings nicht zu erkennen. Denn es handelt sich dabei um ausgesprochen künstliche Systeme, in welchen eine Funktion unter Anwendung spezieller Selektion durch Einstellung der Randbedingungen gezielt optimiert wird. Bezüglich der RNS-Welt als mögliche Station der Lebensentstehung macht sich zunehmend Ernüchterung breit. Orgel resümiert das schon 1989 in folgenden knappen Worten: „Zur Zeit gibt es keine überzeugende Theorie, die die Entstehung replizierender RNS erklären kann." Dies gilt bis heute.
Außerdem wäre noch zu klären: Sollte sich jemals eine proteinfreie RNS-Welt etabliert haben, warum und wie soll dann ein solches funktionsfähiges System sich in ein komplizierteres umwandeln?
Literatur
R. Junker & S. Scherer (2001) Evolution - ein kritisches Lehrbuch. Gießen, Kapitel IV.8 |