Ein ungelöstes Problem ist die Frage, welche Selektionsdrücke die evolutive Bildung der Federn begünstigt haben könnten. Die Mehrheit der Forscher tendiert dazu, die anfängliche Funktion der Federn nicht in der Ermöglichung des Fliegens zu sehen, sondern in einer anderen der zahlreichen Funktionen von Federn. Insbesondere an Wärmedämmung als ursprüngliche Funktion wird gedacht; doch dafür werden bei weiten nicht so komplizierte Strukturen wie Federn benötigt. Außerdem: Selektion auf Wärmedämmung „zielt“ eher auf Daunenfedern als auf flugtaugliche Federn und führt von der Flugtauglichkeit weg. Hypothesen zu den Selektionsbedingungen zum Erwerb von Federn sind kaum testbar. Verschiedene hypothetische Szenarien schließen sich gegenseitig aus. Die Komplexheit heutiger Federn geht aus den Abbildungen 316 und 317 hervor.
Ungeklärt ist auch die Frage, auf welchem Wege die Flugfähigkeit erworben wurde. Hier stehen sich die Boden-Luft-Theorie (Cursorialtheorie, vom Laufen zum Fliegen) und die Baumtheorie (Arborealtheorie; vom Herabgleiten zum aktiven Flug) einander gegenüber. Die Cursorialtheorie liegt einerseits nahe, da die meisten Theropoden, die den Vögeln nahestehen, zweibeinige Läufer waren. Dem stehen jedoch schwerwiegende aerodynamische Probleme entgegen. Fast alle Theropoden-Dinosaurier sind zudem als Ausgangsformen für einen Bodenstart zu schwer. Lediglich der Microraptor zhaoianus hat als Theropode wahrscheinlich im Geäst gelebt und war zudem nur krähengroß. Einige seiner Merkmale sind aber vogelähnlicher als die von Archaeopteryx. Damit ist er als Vorfahre zu spezialisiert. Der Start von einem erhöhten Punkt aus (Baumtheorie) wäre aerodynamisch klar vorteilhaft gewesen. In diesem Fall aber wäre zu erwarten, dass auch die Hintergliedmaßen in den Flugapparat integriert worden wären, was bei den Vögeln bekanntlich nicht der Fall ist. Es gibt allerdings fossile Vögel mit befiederten Hinterbeinen; mittlerweile wurde gezeigt, dass dies auch bei Archaeopteryx der Fall war. Spekulativ bleibt, wie die Kluft vom tödlichen Abstürzen wenigstens zu einem Heruntersegeln überbrückt werden konnte – ein Problem, das sich beim Bodenstart nicht stellt. Ein Übergang vom Gleitfliegen zum aktiven Flug ist zudem konstruktiv fragwürdig (und auch bei anderen Gleitern unter den Wirbeltieren nie erfolgt). Andererseits ist ein direkter Erwerb des aktiven Flugs von erhöhten Standorten aus so gut wie ausgeschlossen. Insgesamt ergeben sich bei jedem evolutionstheoretischen Szenario erhebliche Unstimmigkeiten; die Frage nach einem evolutiven Anfang des Vogelfluges kann nicht als geklärt gelten. |
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Die Vorstellung, Vögel seien Nachkommen der theropoden Dinosaurier, wird von einer Minderheit der Forscher kritisiert. Einige Kritikpunkte werden im Folgenden kurz zusammengestellt.
- Die den Vögeln ähnlichsten Theropoden stammen aus der Oberkreide und sind damit sehr viel jünger als der oberjurassische Archaeopteryx. Jurassische Theropoden sind als Vogelvorläufer weniger geeignet oder zu bruchstückhaft überliefert, um phylogenetische (=die Stammesgeschichte betreffende) Schlussfolgerungen zu erlauben.
- Fast alle Theropoden sind als zweibeinige Läufer und wegen ihres zu großen Gewichts aus aerodynamischen Gründen nicht als Vogelvorläufer geeignet, da die Cursorialtheorie (Flugstart vom Boden aus) auf sie angewendet werden müsste. Lediglich Microraptor scheint hier eine Ausnahme zu bilden.
- Ein hypothetischer evolutiver Umbau von Theropoden zum Bauplan der Vögel wird von machen Forschern aus konstruktiven Gründen als teilweise unplausibel betrachtet; allerdings sind diese Einwände umstritten. So entspricht die Vogelhand den Fingern II, III und IV, während die Theropoden die Finger I, II und III besaßen. Eine homeotische Transformation als Erklärung für diese Verschiebung ist hypothetisch und wegen eines fehlenden Selektionsdrucks schwer zu begründen. Ein kontrovers diskutiertes weiteres Beispiel ist der Bau der Lunge. Fossilfunde deuten darauf hin, dass Theropoden eine Krokodillunge besaßen, die nach Auffassung einiger Forscher konstruktiv nicht in die ganz anders gebaute Vogellunge umgebaut werden könne.
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