Der Neandertaler zeichnet sich durch eine Reihe von Merkmalen aus, die ihn von den heutigen Menschen in der Regel unterscheiden: Er hatte ein robustes Skelett, eine gedrungene Körperstatur, ein vorspringendes Mittelgesicht, ein relativ großes Gehirn und eine relativ langgestreckte Schädelform. Die einzelnen Merkmale des Neandertalers befinden sich aber innerhalb der Variationsbreite von Homo sapiens sapiens. Erst die Summe der Merkmale ergibt die recht gut abgrenzbare, spezialisierte Form des Neandertalers. Sie könnte mit einer Kälteanpassung in Verbindung stehen. Auch das relativ und absolut größere Gehirn und die einzigartige Gesichtsmorphologie („Spitzgesicht“: hervorspringendes Mittelgesicht, vgl. Abb. 346) wurden verschiedentlich als Klimaanpassung verstanden.
Die ursprüngliche Vorstellung vom Neandertaler als einem sehr primitiven Wesen konnte sich über fast ein halbes Jahrhundert halten und lebt auch heute noch in der Vorstellung von Laien weiter, obwohl sie durch eine große Zahl von Veröffentlichungen widerlegt wurde. Heute gibt es kaum Indizien dafür, dass Körperbau und Verhaltensrepertoire des Neandertalers „primitiver“ als beim heutigen Menschen waren, auch wenn sie sich deutlich von dem des anatomisch modernen Menschen unterscheiden. Deshalb wurde bis in die frühen 1990er Jahre der Neandertaler als H. sapiens neanderthalensis, d.h. auf Unterartniveau vom heutigen Menschen (Homo sapiens sapiens) abgegrenzt, während er später, dem allgemeinen Trend der Artenaufspaltung folgend, als eine eigene Spezies betrachtet wurde. Mitochodrialen DNS-Sequenzierungen aus Neandertaler-Knochen zufolge soll es sich – entgegen früherer Annahmen – doch um eine recht alte Menschenform handeln, die sich vor ca. 600.000 Jahren von der Linie abgespalten hat, die zum anatomisch modernen Menschen führte. Gleichzeitig werden fossile Indizien für eine Hybridisierung (=Mischlingsbildung) zwischen beiden Formen diskutiert. Ob der Neandertaler aus europäischen Formen wie Homo antecessor und heidelbergensis hervorgegangen oder direkt aus dem Nahen Osten eingewandert ist, bleibt momentan offen, ebenso der Grund für sein relativ abruptes Ende vor etwas weniger als 30.000 Jahren, kurz nachdem der anatomisch moderne Mensch in Europa auftauchte.
Es bestehen kaum Zweifel, dass Neandertaler Tote bestatteten, über Sozialstrukturen verfügten und die gleichen Artikulationsmöglichkeiten wie der heutige Mensch besaßen (ein Zungenbein aus Israel gleicht dem des heutigen Menschen). Auch kultische und musische Leistungen gehörten zu seinem Alltag. Sie stellten Schmuck und Musikinstrumente her. |
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