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15.01.08 Gotteswahn oder Selektionswahn?Richard Dawkins macht mit seinem Buch „Der Gotteswahn“ (Ullstein-Verlag, 2007) viel von sich reden. Mich interessierte besonders das 4. Kapitel „Warum es mir ziemlicher Sicherheit keinen Gott gibt“, da es dort um Evolution und Schöpfung geht. Außerdem trägt Dawkins in diesem Kapitel nach eigener Aussage „die zentrale Argumentation“ seines Buches vor (222). Die Ausführungen in diesem Kapitel sind offenkundig für unkundige und / oder leichtgläubige Leser geschrieben. Selten habe ich eine dermaßen oberflächliche Abhandlung über Evolutionsmechanismen gelesen. Dawkins möchte nachweisen, dass „die Darwin’sche natürliche Selektion die einzige bekannte Antwort auf die ansonsten unlösbare Frage“ ist, „woher die Informationen stammen“ (157). Natürliche Selektion zerstöre in der Biologie die „Illusion der gezielten Gestaltung“ (163) und sei eine Erklärung „für die Gesamtheit alles Lebendigen“ (160). Hier wird also ein maximaler Erklärungsanspruch erhoben. Wie wird er begründet? Erstens: Eine „intelligente Gestaltung" würde die Frage nach der Entstehung des Gestalters aufwerfen. Das führe in einen unendlichen Regress und sei daher keine Alternative. Zweifellos stehen wir hier vor eine Grenze unseres Verstehens, aber das ist kein Argument gegen die Annahme eines Gestalters. Wir lehnen die Erklärung durch einen Gestalter ja auch nicht ab, wenn wir eine Erklärung für die Form eines schön gearbeiteten Faustkeils suchen. Die zweite Begründung für die Allmacht der Selektion lautet im Bild gesprochen: Selektion müsse nicht auf einmal einen Berg über eine Steilwand erklimmen (d. h. eine neue Struktur hervorbringen), sondern könne das in kleinen Schritten auf einem flacheren Hang tun. Hier müsste jetzt jedoch eine genauere Betrachtung dazu ansetzen, wie groß die einzelnen Schritte sind, die die Selektion immer noch bewältigen muss, wenn der Berg schrittweise erklommen werden soll. Hierzu verweist Dawkins lediglich auf Formenreihen wie die oft zitierten Augentypen. Schon Darwin habe „mühelos“ erklären können, „wie sich das Auge in der Evolution ganz allmählich entwickelt hat“ (171). Formenreihen begründen aber zum einen keine Mechanismen (um die es hier gerade geht), zum anderen liegt das Problem im Detail: was muss sich von Augentyp zu Augentyp verändern und gibt es dafür plausible Modelle? (siehe dazu http://www.wort-und-wissen.de/sij/sij131/sij131-1.html) Nichts davon diskutiert Dawkins. Stattdessen Polemik gegen Kreationisten und unzutreffende Feststellungen über sie: „Die Kreationisten dagegen sind blind für alles mit Ausnahme der steil aufragenden Felswand auf der Vorderseite“ (170); die „Leistung der Akkumulation“ begriffen sie nicht. Nein, Dawkins kennt nicht ihre Argumente, die es auch gegen den Flachaufstieg, gegen eine Akkumulation gibt, oder er übergeht sie (siehe o. g. Link). Statt sich mit diesen Argumenten auseinanderzusetzen, macht er die Kreationisten lächerlich. Dawkins Empörung über die Religion, die sich mit Nichtwissen zufrieden gebe und dies auch noch als Tugend betrachte (S. 175), fällt auf ihn selbst zurück. Dieses Nichtwissen Dawkins’ fällt besonders bei der Besprechung des Nano-Rotationsmotors von Bakterien auf, und zwar in mehrfacher Hinsicht: Er schreibt, der Biochemiker Michael Behe (bekannt durch das Buch „Darwin’s Black Box“, siehe Kurzrezension unter http://www.wort-und-wissen.de/info/rezens/b28.html) würde ohne ein Wort der Begründung behaupten, der Bakterienmotor sei nichtreduzierbar komplex (S. 183). Das ist schon eine sehr dreiste Unterstellung. Dann unterstellt er weiter, Behe halte keines der Einzelteile des Motors für sich alleine für nützlich. Das ist falsch; Behe hat im Gegenteil oft genug gesagt, dass Einzelteile eines nichtreduzierbar komplexen Systems eine andere Funktion als das System selbst ausüben können. Und schließlich verweist er auf den Typ-III-Sekretionsapparat, der eine Vorstufe des Bakterienmotors sein solle. Doch das widerlegt Behes Argumentation nicht, da er die Möglichkeit von Vorstufen mit anderer Funktion ausdrücklich berücksichtigt, und vor allem weil beim hypothetischen Übergang vom Sekretionsapparat zum Motor zahlreiche zusätzliche Proteine benötigt werden (Details s. Junker & Scherer, Evolution – ein kritisches Lehrbuch, 159ff.); ein Übergang ist völlig unverstanden. Dazu kommt, dass es – Evolution vorausgesetzt – starke Argumente dafür gibt, dass der Sekretionsapparat vom Motor abzuleiten ist und nicht umgekehrt (siehe dazu den betreffenden Abschnitt in Nichtreduzierbare Komplexität). Von allen diesen Argumenten erfährt der Leser von Dawkins nichts. Man muss es hier sagen: Das ist in hohem Maße unredlich. Selektion erweitere unser Bewusstsein, meint Dawkins (160), „wie aus einfachen Anfängen ohne absichtliche Lenkung organisierte Komplexität entsteht.“ Außer Formenreihen und Optimierungsbeispielen bietet Dawkins jedoch nur mehrfache Wiederholungen des schon Gesagten, um den Funken dieser Bewusstseinserweiterung überspringen zu lassen, und versucht darüber hinaus wieder und wieder mit Polemik und Verächtlichmachen Andersdenkender nachzuhelfen. Man gewinnt den Eindruck, Dawkins wolle dem Leser durch ständige Wiederholungen seine Weltsicht eintrichtern. Mit billiger Argumentation geht es weiter: „So unwahrscheinlich die Entstehung des Lebens gewesen sein mag, wir wissen, dass sie sich auf der Erde abgespielt hat, denn wir sind hier!“ (192f.) Dawkins schätzt die Chance, dass Leben durch natürliche Vorgänge auf unserer Erde entstehen könnte, auf 1 : 1 Milliarde. Eine seriöse Begründung für diesen sehr optimistischen Wert liefert er nicht. Gegenargumente werden nicht angesprochen, stattdessen meint er, es gebe im Universum wohl so viele erdähnliche Planeten, dass es klar sei, dass auf manchen auch Leben entstehen konnte. Dem „Intelligent Design“ sei damit der Todesstoß versetzt (195). In Wirklichkeit argumentiert Dawkins hier auf der Basis von Nichtwissen. Denn weder ist außer unserer Erde ein einziger erdähnlicher Planet bekannt, noch kann man eine begründete quantitative Abschätzung darüber machen, wie wahrscheinlich die Entstehung des Lebens ist. Dawkins macht hier aus Nichtwissen ein gesichertes Wissen. Eine Erklärung für dieses unhaltbare Vorgehen könnte sein Bekenntnis sein, dass Chemie nicht sein Gebiet sei (192). Dawkins muss wirklich auf uninformierte und leichtgläubige Leser hoffen. Wie schon angesprochen verbindet Dawkins die mangelhafte bis ungenügende Argumentation mit ätzender Polemik. Schöpfungsgläubigen unterstellt er in Unkenntnis über die Geschichte der Naturwissenschaft, sie wollten nicht forschen (176, 185), sie würden Lücken „automatisch“ durch Gott füllen (178) und stellt Schöpfungsgläubige mehr oder weniger offen, teilweise subtil als Dummköpfe dar (z. B. 179), und der Schritt zur Verspottung Gottes ist dann nicht mehr weit (164). Ob er damit „bekehren“ kann, was er ausdrücklich anstrebt (160)? A propos „bekehren“: Ein Stück weit bekehren muss er auch einige seiner Evolutionsbiologen-Kollegen, die der natürlichen Selektion nicht die Allmacht zugestehen, die „Gesamtheit alles Lebendigen“ (160) zu erklären. Man denke hier an die Evo-Devo-Forscher, deren Programm unter anderem gerade dadurch motiviert ist, dass Makroevolution durch die Selektionstheorie eben nicht erklärt ist (siehe dazu Evo-Devo und Mikroevolution, Makroevolution und „ID“; diese Forscher bezweifeln freilich nicht, dass es Makroevolution gegeben hat). Noch zwei interessante Sätze sind mir aufgefallen: „Wer ein Argument als ‘neunzehntes Jahrhundert’ bezeichnet, hat damit noch nicht erklärt, was falsch daran ist“ (220). Dawkins bezieht das auf Darwins Vorstellungen; man kann es natürlich auch auf anderes beziehen. Und der zweite: „Erst Darwin lieferte den unentbehrlichen Kran, an dem Hume natürlich seine helle Freude gehabt hätte“ (221f.). Der Kran steht für die natürliche Selektion, die nach und nach etwas hochhieven kann (s.o.). Warum hätte dieser Kran David Hume entzückt? Der Grund: Hume wird nachgesagt, er hätte das Design-Argument widerlegt1; dem widerspricht Dawkins an dieser Stelle, mit dem Hinweis, dass Hume den Kran eben noch nicht kannte. Also konnte er den „Himmelshaken“ (wie Dawkins die direkte Gestaltung durch einen Schöpfer nennt), nicht aufgeben. „Erst Darwin“ konnte das. Wenn sich das aber als voreilig erwiesen hat, dann sind alte Ideen, die noch älter als das 19. Jahrhundert sind, immer noch topaktuell! Anmerkung 1 Was Hume genau widerlegt hat und was nicht, müsste eigens genauer beleuchtet werden, was den Rahmen dieses Newsbeitrags sprengen würde. Autor dieser News: Reinhard Junker
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