11.12.09 Evolution bei Bakterien – neue Befunde
Neue Untersuchungen aus einem Langzeit-Evolutionsexperiment mit Escherichia coli zeigen, dass die Genome (=komplettes Erbgut) im Verlauf von 40.000 Generationen verkleinert werden, die Mutationen nicht einfach mit der Zahl der Generationen korrelieren und der Zusammenhang zwischen Änderungen im Genom und der Anpassung des Organismus komplex zu sein scheint. Die über 650 genetischen Veränderungen im Genom von E. coli in 40.000 Generationen verändern den Organismus (Phänotyp) nur wenig. Die Komplexität der Zusammenhänge erlaubt derzeit aber kein Urteil über prinzipielle Grenzen.
In der Nature-Ausgabe zum 200. Geburtstag von Charles Darwin vom 12. 2. 2009 veröffentlichten Buckling et al. (2009) eine zusammenfassende Arbeit über experimentelle Evolution mit Mikroorganismen. Mit diesen Kleinstlebewesen, die kurze Generationszeiten aufweisen (typischerweise mehrere Generationen/Tag), können spezifische Fragestellungen zu evolutionären Mechanismen im Labor unter definierten Bedingungen empirisch untersucht werden. Obwohl bereits zu Darwins Lebzeiten solche Experimente durchgeführt wurden, führten erst die Langzeit-Evolutionsexperimente (LZEE) mit Escherichia coli von Lenski und seinen Mitarbeitern zu größerer Aufmerksamkeit und Popularität solcher Untersuchungen.
Buckling et al. äußern die Zuversicht, dass Genome (=gesamtes Erbgut) von Mikroorganismen nicht nur zu Beginn und am Ende eines Selektionsprozesses analysiert werden können, sondern dass auch Genome von Individuen aus den Zwischenschritten zugänglich werden.
Nun haben Lenski und Mitarbeiter (Barricke et al. 2009) eine Arbeit vorgelegt, in der sie mit modernen Methoden der Gensequenzierung komplette Genome aus verschiedenen Proben aus ihrem LZEE mit inzwischen über 40.000 Generationen von E. coli analysieren. In einem Begleitkommentar verweist Rainey (2009) auf die Bedeutung, die der Paläontologe Simpson 1944 in seinem einflussreichen Buch „Tempo and Mode in Evolution“ der Unterscheidung von Geschwindigkeit der evolutionären Änderungen und deren Mechanismen beimisst.
Barricke et al. analysieren die Geschwindigkeit und die Art und Weise der Evolution von Genomen aus LZEE nach 2000, 5000, 10.000, 15.000, 20.000 und 40.000 Generationen von E. coli. Die bisher verfügbaren Daten zeigen eine fast lineare Verteilung der Mutationen im Verlauf der ersten 20.000 Generationen. Nach ca. 26.500 Generationen steigt die Mutationshäufigkeit bis zur 40.000sten Generation deutlich stärker an. Dagegen nimmt die Steigerung der Fitness nach einem zunächst steilen Anstieg mit zunehmender Dauer ab, ein Hinweis darauf, dass die vorteilhaften genetischen Veränderungen (Mutationen) im Lauf der Zeit weniger werden. In 20 000 Generationen haben sich im Genom von E. coli 45 Mutationen manifestiert, darunter 29 einzelne Nukleotid-Austausche (SNPs) und 16 Deletionen (=Verluste), Insertionen (=Einschübe) und andere Polymorphismen. Die Autoren diskutieren diesen überraschenden Befund der unterschiedlichen Tendenz zwischen Mutation und Fitness vor dem Hintergrund verschiedener Evolutionsmodelle.
Das Genom der 40 000sten Generation weist im Vergleich zum Ausgangsgenom 627 SNPs und 26 weitere Polymorphismen auf. Eine Analyse zusätzlicher Proben bringt die Autoren zur Vermutung, dass der Einschub eines Nukleotids (Insertion) den Leserahmen für das mutT Gen verschiebt, was für die Erhöhung der Mutationsrate ursächlich ist. Dieses Ereignis – so legen es die Analysedaten nahe – hat sich irgendwann nach 25.000 Generationen abgespielt, bei Generation 26.500 ist die Mutation etabliert. Interessanterweise ist das Genom von E. coli nach 40.000 Generation verglichen mit dem Ausgangsgenom um 1,2 % reduziert und weist nur noch 4,57 x 106 bp (Basenpaare) auf.
Abschließend verweisen die Autoren auf das Potential der Analyse kompletter Genome im Zusammenhang mit Untersuchungen zur experimentellen Evolution. Sie weisen aber auch darauf hin, dass die komplexen Zusammenhänge zwischen Mutationsraten und Anpassung selbst in diesem vergleichsweise einfachen System keine allgemeine Erklärung von Änderungen im Genom unter natürlichen Bedingungen zulässt, ohne spezifische Erkenntnisse über die molekularen und Populationsgenetischen Prozesse einzubeziehen. Die überraschenden Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen selbst in diesem vergleichsweise wenig komplexen System Kopplungen verschiedenster Einflüsse, die für eine Erklärung berücksichtigt werden müssen. Einfache Modelle haben sich hier als wenig hilfreich erwiesen und man darf auf weitere Erfahrungen aus dieser und anderen Experimentalreihen gespannt sein.
Die von Lenski und seinen Mitarbeitern hier veröffentlichen Befunde zeigen, dass der Zusammenhang zwischen Genom und Anpassung des Organismus an seine Umwelt von verschiedenen Faktoren abhängig sind, über die wir selbst in vergleichsweise einfachen Systemen bisher nur unzureichende Kenntnisse haben.
Literatur
Barrick JE, Yu DS, Yoon SH, Jeong H, Oh TK, Schneider D, Lenski RE & Kim JF (2009) Genome evolution and adaption in a long-term experiment with Escherichia coli. Nature 461, 1243-1247.
Binder H (2008) Langzeit-Evolutionsexperiment mit Escherichia coli. Empirischer Befund für neue Funktion durch Mutation? Stud. Int. J. 15, 96-98.
Buckling A, Maclean RC, Brockhurst MA & Colegrave N (2009) The Beagle in a bottle. Nature 457, 824-829.
Rainey PB (2009) Arhythmia of tempo and mode. Nature 461, 1219-1221. Autor dieser News: Harald Binder Informationen über den Autor
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