News auf genesisnet

 

27.03.10  Muskelmasse: 2785 Gene für ihre Funktion

Wer kennt sie nicht, die Drosophila melanogaster, als Taufliege, Obstfliege oder Essigfliege bekannt. Man trifft sie nicht nur in jedem Haushalt, sondern das wenige Millimeter große Tier ist auch seit etwa hundert Jahren in den Labors der Biologen zuhause; mit ihm wurden unzählige Experimente durchgeführt. Eine interessante Studie zu den genetischen Grundlagen der Muskeln und ihrer Funktion veröffentlichte kürzlich eine Arbeitsgruppe um Frank Schnorrer vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried.

Mit Hilfe einer speziellen Methode, der sogenannten RNAi-Technik (RNA-Interferenz; vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/RNAi), hatten die Forscher systematisch alle 12.000 Gene der Taufliege analysiert. Die Gene wurden mit dieser Technik nach und nach einzeln ausgeschaltet und die Folgen für das Flugverhalten untersucht (Schnorrer et al. 2010). Es zeigte sich, dass 2785 Gene für die Muskelentwicklung und Muskelfunktion benötigt werden. Viele Gene konnten bestimmten Funktionen im Aufbau der Muskeln, der Muskelfibrillen oder der Sarkomere (=kleinste funktionelle Einheit der Muskelfibrille) zugeordnet werden. Die Forscher untersuchten zusätzlich zur RNAi-Technik auch Genmutationen, die zu Muskeldefekten führen. Da viele der bei Drosophila nachgewiesenen Gene auch beim Menschen vorkommen und dort wahrscheinlich ebenfalls für eine normale Muskelfunktion benötigt werden, könnte die Studie auch Bedeutung für das Verständnis der Genfunktionen der Muskulatur von Wirbeltieren haben und Einsichten für die Behandlung von Muskelerkrankungen ermöglichen.

„Ein Teil der entdeckten Gene wird in allen Muskeln gebraucht, ein anderer Teil nur in den sehr schnellen, sehr kraftvollen Flugmuskeln“, wird Schnorrer bei Spiegel online zitiert. Die Flugmuskeln der Insekten gehören zu den kräftigsten Muskeln im Tierreich: „Sie können bis zu 100 Watt pro Kilogramm Muskelmasse erzeugen und das über einen langen Zeitraum. Davon können Bodybuilder oder Tour-de-France-Fahrer nur träumen.“ Diese schaffen dauerhaft etwa 30 Watt pro Kilogramm Muskelmasse (http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,682813,00.html).

Die Untersuchungen über die Muskelgene bei der Taufliege sind aber auch von grundsätzlicher Bedeutung, wenn es darum geht, evolutionäre Hypothesen zu entwickeln. Angesichts des auch hier wieder bestätigten Befundes, dass dieselben Gene bei sehr verschiedenen Tiergruppen Verwendung finden (hier bei Gliederfüßern und Wirbeltieren), wurde auch hier vorgeschlagen, dass vorhandene Gene in neue Zusammenhänge eingeflickt worden sind und dass auf diese Weise durch „Neuprogrammierung“ auch neue Konstruktionen entstehen könnten.1 Angesichts der großen Anzahl der für die (Flug-)Muskulatur benötigten Gene erweisen sich solche einfachen Vorstellungen als vollkommen unrealistisch. Denn ein (hypothetisches) Neuverschalten vorhandener Gene oder Entwicklungsmodule erfordert vielseitige Abstimmungen innerhalb der jeweiligen Vorkonstruktion. Ohne deren Kenntnis können Aussagen, die über sehr allgemeine Hypothesen zur Evolution hinausgehen, gar nicht gemacht werden.

Der Befund, dass über 20 % der etwa 12.000 Drosophila-Gene alleine für die Funktionen der Muskulatur benötigt werden, kann auch als Hinweis darauf gewertet werden, dass die Gene mehrfach in verschiedenen Zusammenhängen genutzt werden (man spricht von pleiotropen Genen, vgl. Piatigorsky 2007, xiii: „My original idea was to provide an extensive list of multifunctional proteins. I soon realized the futility of that approach: I would have to include most, if not all, proteins!“). Die damit einhergehende Vernetzung muss in evolutionären Hypothesen ebenfalls berücksichtigt werden und lässt die Vorstellung, wenige Mutationen könnten weitreichende konstruktive Änderungen mit positiven Eigenschaften ermöglichen, noch unglaubwürdiger erscheinen.

Anmerkung

1 Dies geht so weit, dass behauptet wird, sehr wenige Mutationen in Regulationsgenen wären z. B. die Entstehung des Fledermausflügels verantwortlich oder die Verschaltung von Modulen würde die Entstehung des Insektenflügels ermöglichen (Niwa et al. 2010).

Literatur

Niwa N et al. (2010) Evolutionary origin of the insect wing via integration of two developmental modules. Evolution & Development 12, 168-176.

Piatigorsky J (2007) Gene sharing and evolution. The diversity of protein functions. Cambridge, Mass. and London.

Schnorrer F, Schönbauer C, Langer CCH, Dietzl G, Novatchkova M, Schernhuber K, Fellner, Anna Azaryan M, Radolf M, Stark A, Keleman K & Dickson BJ (2010) Systematic genetic analysis of muscle morphogenesis and function in Drosophila. Nature 464, 287-291. Abstract unter http://www.nature.com/nature/journal/v464/n7286/abs/nature08799.html

 

Autor dieser News: Reinhard Junker

Informationen über den Autor

E-Mail an den Autor


Druckerfreundliche Version dieser Seite anzeigen   

 
© 2010, http://www.genesisnet.info/schoepfung_evolution/n145.php


Über unseren Newsletter-Service werden Ihnen neue Nachrichten auch automatisch per E-Mail zugesandt.

 
News-Übersicht