13.04.11 Erhebliche Unterschiede in der Hirnphysiologie
Biochemische Charakterisierung des menschlichen Gehirns und Vergleich zu anderen Primaten
Die komplexen Leistungen des Gehirns spiegeln sich nicht nur in seiner Struktur sondern auch im Stoffwechsel des neuronalen Netzwerkes wieder. Die bisher umfangreichste vergleichende Studie von Metaboliten (=Stoffwechselprodukte) in verschiedenen Gehirnbereichen von Primaten zeigt interessante Besonderheiten des menschlichen Gehirnstoffwechsels. Dies wirft Fragen nach ihrer Entstehung auf.
Mit immer leistungsfähigeren Methoden werden ungeheure Mengen an molekularbiologischen Daten produziert. Diese Datenfülle kann trotz riesiger Rechnerkapazitäten und unterschiedlichster Programme bisher nur eingeschränkt genutzt werden. Gegenwärtig haben sich die Hoffnungen, den Menschen auf der Basis seiner stofflichen Beschaffenheit zu charakterisieren und letztlich zu verstehen (noch?) nicht erfüllt. Die wachsenden Fossilbefunde und vergleichende Genomuntersuchungen haben Einblicke in verschiedenste hoch interessante Aspekte des Menschen eröffnet, ohne jedoch die erhoffte Lösung um die Rätsel seines Wesens liefern. Es ist derzeit nicht absehbar wie und ob mit naturwissenschaftlichen Methoden die Frage: „Was macht den Mensch zum Menschen?“ beantwortet werden kann.
Fu et al. (2011) haben nun eine Untersuchung vorgestellt, bei der ein internationales Team unter Leitung von Willmitzer und Khaitovich vom Max Planck Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig mehr als 100 Stoffwechselprodukte (Metabolite) im vorderen Bereich der Großhirnrinde (Gehirnlappen, Cortex), dem Präfrontalen Cortex (genauer: Gyrus frontalis superior) und aus dem Kleinhirn des Menschen, Schimpansen und Rhesusaffen analysiert wurden.1 Aus Gewebeproben von je 100 mg wurden die Metabolite extrahiert, chemisch modifiziert und dann gaschromatographisch und massenspektrometrisch untersucht. Für die Untersuchung standen Proben von 49 Menschen (0-98 Jahre), 11 Schimpansen (0-40 Jahre) und 45 Rhesusaffen (Macaca mulatta) (0-28 Jahre) zur Verfügung. Fu et al konzentrierten sich auf 118 Stoffwechselprodukte, wovon 61 chemisch identifiziert wurden und 57 unbekannt sind, d.h. letztere konnten nicht eindeutig Standartsubstanzen zugeordnet werden.
Die möglichen Veränderungen der Konzentrationen der Substanzen nach Eintritt des Todes diskutieren die Autoren detailliert, beziehen das in ihre Überlegungen mit ein und argumentieren entsprechend vorsichtig. Sie versuchen den Einfluss dieser empirischen Unsicherheiten durch Anwendung statistischer Methoden zu verringern.
Nach Angaben von Fu et al. sind 49 % der Unterschiede im Vorkommen der Metabolite auf Unterschiede zwischen den Arten zurückzuführen, 17 % auf das Alter und 9 % auf die Entnahme aus den zwei unterschiedlichen Gehirnregionen. Es ist also möglich, den Unterschied im Metabolismus verschiedener Arten von Lebewesen wie auch verschiedener Alter anhand von Analysen von Stoffwechselprodukten aus beiden Gehirnbereichen darzustellen.
Fu et al. untersuchten dann artspezifische Unterschiede, indem sie auf der Basis der Daten für Schimpansen die Unterschiede der Stoffwechselprodukte zwischen Menschen und Rhesusaffen in spezifisch menschlich, spezifisch für Makaken und unspezifisch zu kategorisieren versuchen. Im Kleinhirn konnten sie 6 für Menschen und 33 für Rhesusaffen spezifische Unterschiede im Stoffwechsel ermitteln. Im präfrontalen Cortex dagegen fanden sie 24 für Menschen spezifische und 20 für Rhesusaffen spezifische Unterschiede im Metabolismus. Das bedeutet, dass im vorderen Bereich der Großhirnrinde – die nach Standard-Lehrbuch-Aussagen evolutionär jünger und beim Menschen im Vergleich zu anderen Primaten besonders ausgeprägt ist – die 4-fache Anzahl an Stoffwechseländerungen im Vergleich zum – evolutionär „älteren“ – seitlichen Teil der Großhirnrinde vorliegt. Weder bei Schimpansen noch bei Rhesusaffen konnten ähnliche Unterschiede zwischen den beiden Gehirnbereichen festgestellt werden.
Legt man eine gemeinsame Abstammung der Primaten zugrunde, dann sprechen diese Befunde für eine erstaunlich intensive und vergleichsweise schnelle Veränderung im Gehirn des Menschen im Vergleich zu den andern Primaten. Die biochemischen Veränderungen sind besonders im evolutionär jung gedachten und beim Menschen besonders ausgeprägten präfrontalen Cortex. Die Daten an sich belegen zunächst aber einfach einmal bemerkenswerte Unterschiede in der Gehirnphysiologie zwischen Menschen Schimpansen und Rhesusaffen. Sie werfen im evolutionstheoretischen Rahmen aber auch neue Fragen nach den zugrundeliegenden Mechanismen für die schnellen Veränderungen auf.
In einer weiteren Versuchsreihe wurden die biosynthetisch erzeugten (exprimierten) Proteine, die als Enzyme am Stoffwechsel beteiligt sind, in Proben aus dem Präfrontalen Cortex untersucht. Fu und Mitarbeiter bestimmten 2747 Proteine bei Menschen, 2343 bei Schimpansen und 2842 bei Rhesusaffen, wobei 1951 in allen Arten vorkommen.
Die Autoren fanden eine signifikante Übereinstimmung zwischen den spezifisch menschlichen Stoffwechselprofilen in der vorderen Großhirnrinde und den entsprechenden exprimierten Enzymen.
Für alle drei untersuchten Primatenarten stellen die Autoren fest, dass sich der Gehirnstoffwechsel im Verlauf der Individualentwicklung mit dem Alter signifikant verändert, für 88 % der Metabolite ändert sich die Konzentration während der Lebensdauer in mindestens einer der untersuchten Arten oder in einer Gehirnregion.
Fu et al. betont besonders die 4-fache Änderung des Stoffwechsels im Frontalbereich der Großhirnrinde im Vergleich zum Kleinhirn.
In der Diskussion ihrer Ergebnisse fokussieren Fu und Mitarbeiter auf Glutaminsäure (Glutamat) als einem für den Menschen spezifischen Metaboliten von besonderer Bedeutung sowohl im Energiestoffwechsel als auch Weiterleitung von Nervenimpulsen. In der menschlichen Großhirnrinde stellt der Stoffwechsel von Glutamat, d.h. dessen Synthese, Freisetzung und das Recycling den bedeutendsten Anteil dar, für ihn werden 60-80 % der Energie, die durch Oxidation von Glucose gewonnen wird, aufgewendet. Glutamat-Dehydrogenase ist ein wichtiges Enzym im Glutamat- und Energiestoffwechsel der Zelle. Fu et al. interpretieren Befunde aus anderen Arbeiten über dieses Enzym als Hinweis auf Genduplikation und Veränderung in der Funktionalität in einem postulierten gemeinsamen Vorfahren von Menschen und Affen, die zu einem für Affen und Menschen spezifischen Gen (GLUD2) geführt haben. Die Untersuchungen der hier vorgestellten Arbeit zeigen, dass weitere Veränderungen des Glutamatstoffwechsels bei Menschen in dessen Präfrontalen Cortex, nicht aber im Kleinhirn stattgefunden haben.
Die Autoren erhoffen sich von weiteren und umfangreicheren Studien dieser Art Einblicke in die gesamten Änderungen des Stoffwechsels, die sich im Verlauf der Evolution des Menschen ereignet haben. Man darf auf weitere Untersuchungen und die daraus resultierenden Erkenntnisse über molekulare Charakterisierungen des Menschen in unterschiedlichen Lebensaltern und im Vergleich zu anderen Lebewesen gespannt sein.
Festzuhalten aber bleibt, dass derzeit nicht zu erkennen ist, wie durch diese Art von Einsichten wesentliche Antworten auf die Frage: „Was macht den Menschen zum Menschen?“ erzielt werden können. Mit den hier vorgestellten Befunden und Erkenntnissen werden deutliche Unterschiede zwischen Mensch und anderen Primaten dokumentiert, die eine Herausforderung für evolutionäre Erklärungen darstellen und mit einer Begriffswahl, wie „Turboevolution“2 verschleiert werden.
Literatur
Fu X, Giavalisco P, Liu X, Catchpole G, Fu N, Ning Z-B, Gou S, Yan Z, Somel M, Pääbo S, Zeng R, Willmitzer L & Khaitovich P (2011) Rapid metabolic evolution in human prefrontal cortex. Proc Nat. Acad. Sci. 108, 6181-6186; doi/10.1073/pnas.1019164108, mit umfangreichem zusätzlichen Datenmaterial unter: www.pnas.org/lookup/suppl/doi:10.1073/pnas.1019164108/-/DCSupplemental.
Anmerkungen
1 Das Autorenteam benutzte Gewebeproben von toten Organismen, die keine relevanten pathologischen Erscheinungen aufwiesen von verschiedenen Gewebebanken auf der ganzen Welt. Für alle Proben von Menschen lagen schriftliche Einverständniserklärungen von deren nächsten Angehörigen vor.
2 Dieser Begriff wurde in populärwissenschaftlichen Darstellungen dieser Untersuchung und in Meldungen der Tagespresse verwendet. Autor dieser News: Harald Binder Informationen über den Autor
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