03.06.11 Gene und soziales Verhalten
Die rasant zunehmenden Daten aus sequenzierten Genomen (#GLOSSAR gesamtes Erbgut einer Art) wurden von Beginn an mit hohen Erwartungen verknüpft. Diese konnten bisher nur in ernüchternd geringem Umfang erfüllt werden. Welche Zusammenhänge gibt es zwischen dem Erbgut und dem Verhalten von Lebewesen? Eine vergleichende Studie an Bienen, die unterschiedlich ausgeprägte Formen sozialen Verhaltens zeigen, dokumentiert Hinweise darauf, dass unterschiedliches Verhalten einhergeht mit markanten Unterschieden im Erbgut. Hier scheint sich eine Möglichkeit zu eröffnen, spannende Fragen zu erforschen.
Mit Eusozialität (gr.: eu = gut; lat.: socialis = kameradschaftlich) bezeichnet man eine Verhaltensweise, einen Lebensstil, bei dem Organismen in Gruppen unterschiedlicher Größe in mehreren Generationen unter Arbeitsteilung kooperativ zusammenleben, beispielsweise durch Staatenbildung.
Verschiedene Insekten sind als soziale, Staaten bildende Arten bekannt, besonders unter Hautflüglern (Hymenoptera): Ameisen, Termiten, Wespen, Bienen. Nacktmulle (Heterocephalus glaber) sind eusoziale Säugetiere.
Das Phänomen des sozialen Verhaltens wird bereits lange und intensiv untersucht (Wilson & Hölldobler 2005), über den Zusammenhang zwischen Molekularbiologie und Sozialverhalten ist bisher aber wenig bekannt. Woodard et al. (2011) haben dazu eine umfangreiche vergleichende Untersuchung an Bienen veröffentlicht. Verschiedene Bienenarten zeigen Sozialverhalten in stark abgestuften Variationen, vom individuellen, so genannten solitären bis zu verschieden ausgeprägten eusozialen Lebensstilen, deshalb sind sie für Forschungen dieser Art vorteilhafte Studienobjekte. Verschiedene Autoren gehen davon aus, dass Bienen mindestens sechsmal unabhängig Eusozialität entwickelt haben (bei Insekten insgesamt soll diese Verhaltensweise mindestens 11 mal unabhängig entstanden sein) – eines der vielen Beispiele für Konvergenz, d. h. Ähnlichkeit, die nicht auf Abstammungsverwandtschaft zurückgeführt wird.
Um die Unterschiede in den Genen im Vergleich mit unterschiedlich ausgeprägten Formen von sozialem Verhalten zu untersuchen, erzeugten Woodard et al. jeweils Kopien derjenigen Bereiche des Bienengenoms, der aktiv genutzt werden (Transkriptom) von 9 verschiedenen Bienenarten. Für die neun Bienenarten wurden DNA-Moleküle im Umfang von 1 Milliarde Basenpaare (~ 1 Gbp) sequenziert. Um die jeweiligen Sequenzen im Bienengenom zuordnen zu können wurden sie mit dem Genom der ausgeprägt eusozialen Honigbiene (Apis mellifera) kombiniert, so dass 10 Gen-Sätze von je 3647 Genen (ca. 33 % der Bienengene) identifiziert werden konnten. Davon wurden 3638 Gene in der vergleichenden Studie genutzt. Nun wurde danach gesucht, in welchen Bereichen der DNA Hinweise auf verstärkte Änderungen für Aminosäureeinbau der codierten Proteine vorliegen. Diese Resultate wurden dann bei Bienenarten mit unterschiedlich ausgeprägter Sozialität miteinander verglichen.
Phylogenetische Analysen der molekularbiologischen Daten ergab für die 10 untersuchten Bienenarten, dass dreimal unabhängig Eusozialität entstanden sein sollte. Für die Untersuchung wurden drei abgestufte Formen für eusoziales Verhalten definiert:
ausgeprägt eusozial (highly eusocial): große Kolonien (1 000 bis 10 000 Individuen), mehrjähriger Kolonie-Lebenszyklus, hoch spezialisierte Königin und Arbeiterinnen, hohe Lebenserwartung für die Königin (10-fache Lebenserwartung einer Arbeiterin), Einfluss der Nahrung auf die Entwicklung, ganzjährige thermoregulierte Bedingungen im Nest, verschiedene exokrine1 Drüsen.
wenig eusozial (primitively eusocial): kleine Kolonien (10 bis 100 Individuen), Jahreszyklus in der Kolonie, wenig spezialisierte Königin und Arbeiterinnen, Einfluss der Nahrung auf die Entwicklung, dominante Hierarchien, verschiedene exokrine Drüsen.
nicht eusozial (non eusocial): Einzelgänger oder Individuen teilen sich ein Nest, 1-jähriger Lebenszyklus, alle Individuen sind reproduktiv aktiv, weibliche Bienen kümmern sich nur um den eigenen Nachwuchs.
Die Untersuchungen für eine Korrelation zwischen veränderten Genen bzw. modifizierte Proteine und der Sozialität ergaben, dass sich 212 von 3638 Genen (~ 6 %) in allen eusozialen Arten deutlich von denjenigen in den nicht eusozialen unterscheiden. 173 (~ 5 %) Gene sind in ausgeprägt eusozialen Bienen und 218 (~ 6 %) in wenig eusozialen im Vergleich zu den jeweils andern Bienen deutlich verändert.
Am häufigsten waren von den Veränderungen Gene betroffen, die an der Signalübertragung beteiligt sind oder auch an der Drüsenentwicklung und dem Kohlenhydratstoffwechsel, diese zeigen in eusozialen Bienenarten die deutlichsten Unterschiede.
Die Ergebnisse zeigen, dass konvergente2 Entwicklungen zu mosaikartigen Mustern an molekularen Veränderungen führen können und zwar sowohl bei Genen, die allen untersuchten Bienenarten gemeinsam sind, als auch bei spezifischen. So zeigten beispielsweise Gene, die im Zusammenhang mit der Reproduktion stehen, in wenig sozialen Bienen (Exoneura robusta und Bombus impatiens und B. terrestris [Hummeln]) starke Veränderungen im Vergleich zu den entsprechenden Genen in Vertretern von ausgeprägt oder nicht eusozialen Bienen, wobei sich die Gene der Hummeln und der Biene stark voneinander unterscheiden. In der untersuchten Bienengruppe tritt Eusozialität also insofern konvergent auf, als die Verteilung der eusozialen Verhaltens nicht der phylogenetischen Verwandtschaft der Bienen entspricht. Bei den eusozialen Bienen sind auffällig ähnliche Gruppen von Genen – wie mosaikartige Muster – modifiziert.
Die Untersuchungen zeigen also eine Korrelation von (veränderten) Verhaltensweisen und der Nutzung von Genen bzw. deren Veränderung. Die Autoren interpretieren das als Einfluss des Verhaltens auf die genetische Evolution.
Woodard et al. stellen zum Abschluss ihrer Arbeit eine Reihe von Spekulationen im Zusammenhang mit den von ihnen gefunden Daten an. So halten sie es nicht für überraschend, dass Gene, die im Zusammenhang mit der Entwicklung von Drüsen stehen, starkem Selektionsdruck ausgesetzt sind, da die Drüsenfunktion für die chemische Kommunikation in einer Kolonie von großer Bedeutung ist. Ebenso ist die Signalübertragung ein bedeutsames Merkmal bei der Entwicklung von sozialem Verhalten (Wahrnehmung und Interpretation von Verhaltenweisen anderer Individuen die zur Kolonie gehören). Die kooperative Lebensweise in Kolonien geht auch einher mit einer größeren Abhängigkeit von hochwertigem Honig. Daher ist nachvollziehbar, dass Gene im Zusammenhang mit dem Zuckerstoffwechsel sich in diesem Zusammenhang stark ändern.
Bei wenig sozialen Bienen werden Gene, die mit dem Gehirn im Zusammenhang stehen, auffällig verstärkt exprimiert. Vielleicht, weil bei ihnen die Verhaltensmuster noch nicht so festgelegt und damit variabel sind und das Zusammenspiel zwischen Kooperation und Konkurrenz sehr flexibel ist. Damit wird nachvollziehbar, dass für die Wahrnehmung und Verarbeitung der entsprechenden Signale vergleichsweise viel investiert werden muss.
Das Untersuchungssystem, das Woodard et al. in der hier vorgestellten Arbeit etabliert haben im Zusammenhang mit der Fragestellung des Zusammenhangs zwischen Verhalten und genetischen Veränderungen, erscheint spannend und weckt Hoffnungen und Erwartungen für ein besseres Verständnis der dabei ablaufenden Prozesse. Toth & Robinson (2009) hatten vorgeschlagen, dass für die Entwicklung von Eusozialität ein Satz Werkzeuge (tool-kit) an hoch konservierten Genen verwendet wird, die je nach Bedarf benutzt werden (Evo-Devo3). Woodard et al. sehen in ihren Resultaten einen Hinweis darauf, dass die Gene für den Kohlenhydratstoffwechsel Schlüsselbausteine im vermuteten Werkzeugsatz darstellen.
Mit den von Woodard et al. genutzten Studienobjekten und dem vorgestellten Konzept lassen sich Fragestellungen über den Zusammenhang zwischen Entwicklung von Verhalten und den damit im Zusammenhang stehenden molekularbiologischen Änderungen grundlegend studieren. Die Frage, ob ein Werkzeugsatz vorliegt, auf den bei Bedarf zugegriffen werden kann, oder ob sich soziale Verhaltensweisen sich auf andere Weise entwickeln, bleibt vorerst offen.
Der Gedanke von einem Satz von Werkzeugen provoziert Fragen nach dessen Ursprung und Herkunft. Evolutionäre Modelle konnten bisher keine plausiblen Antworten dazu beisteuern. Das ist u. a. auch in den Ansätzen von „Evo-Devo“-Vertretern dokumentiert. Molekularbiologische Untersuchungen wie die hier vorgestellte Arbeit bieten noch keine Antworten, sondern machen überhaupt erst die Problemstellung deutlicher erkennbar. Unter naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten sind Mechanismen zu fordern, die die Zusammenhänge zwischen molekularbiologischen Modifikationen und Änderungen im Phänotyp bzw. Verhalten (allgemein: empirisch feststellbare Äußerungen von Lebewesen) plausibel erklärt.
Literatur
Junker R (2008) Evo-Devo Schlüssel für Makroevolution? Teil 1: Ausgangspunkt und Anerkennung eines ungelösten Evolutionsproblems.
Todt AL & Robinson GE (2009) Evo-devo and the evolution of social behavior: Brain gene expression analysis in social insects. Cold Spring Harb. Symp. Quant. Biol. 74, 419-426.
Wilson EO & Hölldobler B (2005) Eusociality: Origin and consequences. Proc. Nat. Acad. Sci. USA 102, 13367-13371.
Woodard SH, Fischman BJ, Venkat A, Hudson ME, Cameron SA, Clark AG & Robinson GE (2011) Genes involved in convergent evolution of eusociality in bees. Proc. Nat. Acad. Sci. USA doi/10.1073/pnas.1103457108
Anmerkungen
1 Bei exokrinen Drüsen wird das Sekret nicht in den Blutkreislauf (endokrin) sondern in einen Körperhohlraum oder an die Körperoberfläche abgegeben.
2 Konvergenz: ähnliche Anlagen werden bei Organismen entwickelt, die nicht näher mit einander verwandt sind.
3 Zu Evo-Devo s. Junker (2008) Autor dieser News: Harald Binder Informationen über den Autor
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