14.10.11 Über den Ursprung der Schildkröten
Schildkröten haben einen unverwechselbaren Bauplan, der sich deutlich von den Bauplänen aller anderen Wirbeltiere absetzt. Ein neuer Genesisnet-Artikel (Artikel Entstehung der Schildkröten) diskutiert Hypothesen über ihre Entstehung.
Schildkröten haben den ungewöhnlichsten Bauplan unter den Wirbeltieren. Er ist so verschieden von anderen Tiergruppen, dass über die taxonomische (=die Ordnung der Lebewesen betreffend) Zuordnung keine eindeutige Aussage möglich ist. Nachdem morphologische (=gestaltliche) Merkmale eher Verwandtschaftsbeziehungen mit stammesgeschichtlich alten Gruppen unterstützten, wiesen neuere molekularbiologische Untersuchungen ab Ende der 1990er Jahre in eine neue Richtung, nämlich einer Verwandtschaft mit diapsiden Formen, die als abgeleitet und jünger gelten. Morphologische und molekulare Analysen passen nicht zusammen.
Über die Entstehung des hervorstechendsten Merkmals, den Panzer, werden unterschiedliche Hypothesen vertreten. Nach der Transformationshypothese entstand der Panzer allmählich aus Hautknochen durch Fusion mit den Rippen und Wirbelfortsätzen unter der Wirkung der natürlichen Selektion. Nach der Emergenzhypothese ist der Panzer dagegen zunächst unabhängig von Anpassungsprozessen durch Neuverschaltungen von Steuergenen und Entwicklungsmodulen, also durch Veränderungen in der ontogenetischen (=individuellen) Entwicklung entstanden. Eine besondere Rolle spielt nach dieser Hypothese eine nur in der Ontogenese (=Entwicklung vom Ei zum ausgewachsenen Organismus) der Schildkröten vorkommende Aufwölbung aus Ektoderm und Mesoderm, die sich oberhalb der Extremitätenknospe in Längsrichtung auf der Körperflanke bildet, die Carapaxfalte. Beiden Hypothesen stehen schwerwiegende Probleme entgegen. Das Für und Wider der beiden Hypothesen wird erläutert.
In der Fossilüberlieferung erscheint der Schildkrötenbauplan ziemlich abrupt. Neuere Fossilfunde könnten die Lücken zu anderen Tiergruppen verringern. Die in den Jahren 2008 und 2009 neu beschriebenen Gattungen Odontochelys und Chinlechelys werden im Rahmen der konkurrierenden Panzer-Entstehungshypothesen diskutiert. Diese beiden Gattungen besaßen Merkmale, aus denen Hinweise auf ihre hypothetische Evolution entnommen werden können. So besaß Odontochelys keinen verknöcherten Rückenpanzer, und der Panzer von Chinlechelys war sehr dünn und nur teilweise mit den Rippen verwachsen. Es ist aber in beiden Fällen nicht sicher, ob es sich dabei um phylogenetische Primitivmerkmale handelt. Odontochelys könnte auch eine spezialisierte wasserlebende Gattung gewesen sein. Und die fossilen Reste von Chinlechelys sind möglicherweise zu spärlich, um sichere Schlussfolgerungen zu erlauben.
Anschließend wird eine Reihe von Fragen zur Evolution der Schildkröten zusammenfassend diskutiert: Ontogenetische Befunde und die Bedeutung der Carapaxfalte, die uneinheitliche systematische Stellung der ältesten Fossilfunde, molekulare Daten und der Fossilbefund, einzigartige Merkmalskombinationen und Konvergenzen (=unabhängig entstandene Ähnlichkeiten), Probleme des Umbaus zum Panzer und die Ontogenese als fragwürdiges Modell für die Stammesgeschichte.
Abschließend werden kurz einige spekulative Ideen für die Möglichkeit einer nicht-evolutionären Deutung der Fossilüberlieferung der ältesten Schildkröten diskutiert.
Der Artikel liegt in zwei unterschiedlichen Versionen vor und erschien in ähnlicher Form in zwei Folgen in der Zeitschrift Studium Integrale Journal (http://www.wort-und-wissen.de/sij).
„Experten“-Version: Entstehung der Schildkröten
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