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12.12.11  Verzwickte Biogeographie des Hoatzins

Neue Fossilfunde der ungewöhnlichen Hoatzins (Schopfhühner) werfen Fragen nach ihrer Entstehung auf. Bisher hatte man angenommen, dass sie erst nach der Trennung von Afrika und Südamerika entstanden sind, doch Funde aus Namibia lassen nur zwei Schlussfolgerungen zu: Entweder die Hoatzins entstanden schon viel früher, sind dann aber über den größten Teil ihrer Geschichte fossil nicht belegt, oder sie haben den Atlantik auf Treibholz überquert, was aber fast schon einem Wunder gleich käme. Insgesamt passt die (paläo)geographische Verteilung der Hoatzins kaum zu Evolutionsszenarien.

Eine ungewöhnliche Vogelart in den tropischen Regenwäldern des nördlichen Südamerika ist der Hoatzin, auch Schopfhuhn genannt. Auffällig sind der kleine Kopf und eine mehrere Zentimeter lange Haube, dazu sind Hals und Schwanz sehr lang. Hoatzins erreichen eine Länge von bis zu 70 cm und werden bis zu knapp 1 kg schwer. Bei der Gefiederfärbung dominieren beige und braune Töne. Wegen ihrer schwachen Flugmuskulatur sind Hoatzins schlechte Flieger, aber auch die Beine werden kaum zur Fortbewegung genutzt, obwohl sie kräftig sind. Stattdessen kriechen sie und schieben sich durch das Geäst, eine für Vögel sehr eigenartige Fortbewegungsweise. Als weitere ungewöhnliche Merkmale besitzen Jungvögel Krallen an den Flügeln, die ihnen erlauben, auf allen Vieren im Geäst herumzuklettern, außerdem ein unter Vögeln einmaliges Verdauungssystem, das an Wiederkäuer erinnert. Die Verdauung der pflanzlichen Nahrung (hauptsächlich Blätter) findet im muskulösen Kropf und in der unteren Speiseröhre statt, nicht im Magen. Entsprechend ist der Kropf fünfzigmal so groß wie der Magen und macht 13 % des Gesamtgewichts des Vogels aus (Niethammer 1993). In diesen Merkmalen unterscheidet sich der Hoatzin von allen anderen Vögeln. Die schwach ausgeprägte Flugfähigkeit ist kein Ausdruck von Primitivität, sondern hängt mit dieser Ernährungsweise zusammen, da sie eine deutliche Verkleinerung des Brustbeins und damit der Flugmuskulatur erfordert. Auch die Krallen sind eher sekundäre Spezialisierungen als evolutionäre Überbleibsel (vgl. Niethammer 1993, 77).

Die Verwandtschaft des Hoatzins ist ungeklärt, auch unter Einbeziehung molekularer Merkmale (Hackett et al. 2008, Mayr et al. 2011). Daher wird er meist in eine eigene Ordnung (Opisthocomiformes) gestellt. Diverse vermutete Zugehörigkeiten (z. B. zu den Turakos, den Kuckucksvögeln, den Tauben oder den Hühnervögeln) wurden durch genetische Untersuchungen widerlegt (Hackett et al. 2008). Die evolutionäre Geschichte der Hoatzins ist unbekannt (Mayr et al. 2011).Bis vor kurzen war nicht nur das Verbreitungsgebiet der heute lebenden Opisthocomiformes auf Südamerika beschränkt, sondern auch das der fossilen Formen. Doch nun beschreiben Mayr et al. (2011) zwei neue Funde fossiler Opisthocomiformes aus Brasilien und – überraschenderweise – aus Namibia. Jeweils ein Oberarmknochen, Schulterblatt und Rabenschnabelbein aus dem Oligo-Miozän (22-24 Millionen Isotopenjahre) Brasiliens sind dem Schultergürtel des heutigen Hoatzin sehr ähnlich. Die Forscher schließen daraus, dass die spezialisierte Ernährung der Hoatzins bei dieser fossilen Form bereits verwirklicht war. Besonders bemerkenswert ist aber der Fund der Gattung Namibiavis aus dem Miozän Namibias (auf etwa 17 Millionen Isotopenjahre datiert). Fossile Knochen (drei Rabenschnabelbeine, sechs Oberarmknochen und ein Unterschenkelknochen) dieser Gattung waren schon seit einigen Jahren bekannt und bislang zu einer ausgestorbenen Familie der Kranichvögel gestellt worden. Eine genauere Untersuchung zeigte, dass diese Klassifikation fehlerhaft war, denn die Fossilien weisen charakteristische Knochenmerkmale von Hoatzins auf. Nun vermuten die Forscher, dass die Hoatzins nicht in Südamerika, sondern in Afrika entstanden sind.

Die geographische Verteilung wirft allerdings Fragen auf: Wie gelangten die Hoatzins bzw. nah verwandte Vögel über den Atlantik von einem Kontinent zum anderen? Afrika und Südamerika waren nach geologischen Befunden bereits vor 100 Millionen Isotopenjahren zur Kreidezeit weit voneinander getrennt. Dass diese Vogelgruppe damals schon existierte, wird im evolutionstheoretischen Rahmen nicht angenommen. Die Bewältigung einer so großen Flugdistanz ist für die kaum flugfähigen Vögel nicht möglich, auch wenn man annehmen würde, dass die miozänen Formen etwas besser fliegen konnten. Aufgrund des fossilen Materials schließen Mayr et al. (2011) jedoch aus, dass sie gute Flieger waren. Die Forscher nehmen daher an, dass sie den weiten Weg auf Treibholz-Inseln schafften; es handle sich um das erste Beispiel eines transatlantischen Raftings bei Vögeln. Doch diese Lösung des biogeographischen Problems ist nur aufgrund evolutionstheoretischer Voraussetzungen gefordert und kaum glaubwürdig. Die sich von Blättern ernährenden Vögel müssten einen ordentlichen Nahrungsvorrat auf ihrer Reise gehabt haben. Der Hinweis von Mayr et al., dass Rafting über eine so große Strecke schon länger auch bei Säugetieren und Reptilien angenommen werde, macht diese Annahme nicht glaubwürdiger, da die Begründung dieselbe ist: durch Ozeane getrennte geographische Verbreitung, nicht aber Kenntnisse darüber, dass und wie dies tatsächlich möglich ist. Heads (2009, 108) hält eine solche Überquerung für Primaten, bei denen ozeanweite Ausbreitung ebenfalls diskutiert wird, für ausgeschlossen.

Alternativ könnte man der Spur nachgehen, dass nicht fossil belegte Hoatzins schon viel früher als fossil belegt in geologisch nicht überlieferten Lebensräumen existierten, und zwar bereits vor der Kreidezeit, als die Kontinente noch nicht getrennt waren. Heads (2009) hält aufgrund der biogeographischen Verteilung die Annahme für geboten, dass ein Vorläufer der Primaten bereits im Jura vor 185 Millionen Isotopenjahren gelebt haben könnte. Das würde allerdings bedeuten, dass bei mehreren Formengruppen während der meisten Zeit ihrer Existenz fossile Belege fehlen. Ob solche Szenarien im Rahmen großer Zeiträume glaubhaft sind, kann man bezweifeln.

Literatur

Hackett SJ, Kimball RT, Reddy S, Bowie RCK, Braun EL, Braun MJ, Chojnowski JL, Cox WA, Han K-L, Harshman J, Huddleston CJ, Marks BD, Miglia KJ, Moore WS, Sheldon FH, Steadman DW, Witt CC & Yuri T (2008) A phylogenomic study of birds reveals their evolutionary history. Science 320, 1763-1767.

Heads M (2009) Evolution and biogeography of primates: a new model based on molecular phylogenetics, vicariance and plate tectonics. Zoologica Scripta 39, 107-127; doi: 10.1111/j.1463-6409.2009.00411.x

Mayr G, Alvarenga H & Mourer-Chauviré C (2011) Out of Africa: Fossils shed light on the origin of the hoatzin, an iconic Neotropic bird. Naturwissenschaften 98, 961-966.

Niethammer G (1993) Unterordnung Hoatzins. In: Grzimek B u. a. (Hg) Grzimeks Tierleben. Vögel 2. München, S. 76-78. 

Autor dieser News: Reinhard Junker

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