19.03.12 Eine Nachlese zum OPERA-Experiment und schnellen Neutrinos
Vor einigen Monaten gingen Schlagzeilen durch die Presse, wonach das Weltbild der modernen Physik widerlegt sei. Grund dafür waren Messungen von Überlichtgeschwindigkeit von Neutrinos. Dies würde tatsächlich Modelländerungen erfordern, doch es hat sich mittlerweile herausgestellt, dass ein Messfehler vorliegt.
Gigantische Teilchenbeschleuniger im Stile des LHC (Large Hadron Collider) in der Schweiz oder dem Tevatron in den USA sind als Milliardengräber im wahrsten Sinne des Wortes nicht unumstritten. Zu wenig Nützliches kommt aus den Tunneln als Forschungsergebnisse hervor, lautet oft der Vorwurf.
Es scheint als ob die Organisationskomitees der jeweiligen Beschleuniger deshalb besonders darauf aus sind, große Schlagzeilen zu machen, um diesen Bedenken zuvorzukommen und den weiteren Betrieb des Projekts zu gewährleisten. Aus den Sensationsmeldungen der Presse kann man dann meist nicht mehr erkennen, welche Bedeutung ein Befund tatsächlich hat.
So war es auch im September 2011, als die Mitarbeiter eines Teilchendetektors namens „OPERA“, der in Mittelitalien liegt, mit der Entdeckung von „Neutrinos schneller als das Licht“ (z. B. Spiegel-online, 23. 10.) überraschte. Die Meldungen überschlugen sich – „Einstein muss zittern“ (6. 10.) schrieb die FAZ, der tagesspiegel meinte gar „Wenn die Ergebnisse[...] stimmen, würde damit das gesamte Weltbild der modernen Physik widerlegt“. Andererseits wurde wild spekuliert, was bei der Messung alles schief gelaufen sein könnte.
Bei Neutrinos handelt es sich um sehr kleine, schnelle, und fast vollkommen unsichtbare Teilchen, die nur selten mit normaler Materie zusammenstoßen. Für das Experiment wurden diese Neutrinos am CERN in der Schweiz künstlich produziert und in einem fokussierten Strahl durch das Gestein nach Italien geschickt, wo die Neutrinos dann in sehr großen Absorberplatten registriert wurden. Der große Streitpunkt des Experiments ist der geringe Geschwindigkeitsüberschuss, der festgestellt wurde: 0,06 µs waren die Neutrinos auf 700 km Flugstrecke schneller als erwartet, was nur 0,002 % mehr als Lichtgeschwindigkeit bedeutet.
Das Experiment erforderte eine zuverlässige Bestimmung der Flugstrecke und Flugzeit über mehrere Jahre hinweg. Das wurde durch ein ausgeklügeltes System von Atomuhren und GPS-Positionierung bewerkstelligt, welches mit bewährten Methoden geeicht worden war. Nach wiederholter Überprüfung waren sich die Mitarbeiter der OPERA-Teams deshalb sicher, dass der gemessene Effekt außerhalb der üblichen Fehlertoleranzen liegt, also „echt“ ist. Entgegen den Pressemeldungen wurden bei der Analyse alle Effekte der Relativitätstheorie berücksichtigt und statistische Fehlerquellen beachtet oder beseitigt. Nachdem sich die anfängliche Aufregung gelegt hatte, verhielt sich deshalb zwischenzeitlich auch die Mehrzahl der Teilchenphysiker zurückhaltend. Seit wenigen Wochen wird jedoch ein Defekt an einer Kabelverbindung als mögliche Fehlerquelle in Betracht gezogen. Zudem hat die Arbeitsgruppe des ICARUS-Detektors am 15. März eigene Messungen veröffentlicht, die eindeutig den Ergebnissen von OPERA widersprechen, so dass momentan davon auszugehen ist, dass Neutrinos sich nicht mit Überlichtgeschwindigkeit bewegen.
Mit Sicherheit wäre mit dem OPERA-Resultat nicht „das gesamte Weltbild der modernen Physik widerlegt“. Abseits aller experimentellen Herausforderungen würde auch eine eventuell benötigte neue Theorie die bestehenden Modelle erweitern.
Was bleibt, ist die neuerlich bestätigte Gewissheit, dass all unser Wissen Stückwerk ist. Gleichzeitig zeigt der Verlauf der Dinge abermals, wie vorsichtig sensationsheischende Meldungen zu behandeln sind.
(aktualisiert am 11. 4. 2012) Autor dieser News: Studiengemeinschaft Wort und Wissen Informationen über den Autor
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