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06.07.12 Eine Lücke weniger? Vierbeiner aus der Romer-LückeIm unteren Teil des Karbons waren bisher fast keine Wirbeltierfossilien bekannt. Nach dem berühmten Paläontologen Alfred S. Romer wird diese Fossillücke als Römerlücke bezeichnet. Nun wurden einige Fossilien aus dieser Lücke beschrieben. Die neuen Funde dehnen die Zeiträume, in denen einige Gattungen existierten, aus, schließen aber keine morphologischen (=die Gestalt bzw. Baupläne betreffenden) Lücken. Der Schritt vom Wasser ans Land gehört zu den populärsten Übergängen in der hypothetischen Evolution der Wirbeltiere (vgl. Die Überlieferungslücke ist so markant, dass sie eigens eine besondere Benennung erhielt: „Romer-Lücke“ – nach dem berühmten Wirbeltierpaläontologen Alfred S. Romer. Für den Großteil der Fossilgruppen beträgt die Lücke sogar 30 Millionen Jahre: „Im Gegensatz zu unseren detaillierten Kenntnissen über Acanthostega und Ichthyostega ist der Fossilbericht der ersten 30 Millionen Jahre des Karbons karg und verwirrend“ (Carroll 2009, 61). Bisher war unklar, ob es sich um eine reine Überlieferungslücke handelt – dass also in der betreffenden Zeit viele Vierbeiner lebten, jedoch nicht fossil überliefert wurden – oder ob es in der betreffenden Zeit in Wirklichkeit kaum Vierbeiner gab und aus diesem Grunde fast keine Fossilien gefunden wurden. Als Gründe für letztere Deutung des Fehlens von Fossilien gab es nur Mutmaßungen, z. B. ungünstige Atmosphärenbedingungen. Nun berichten Smithson et al. (2012) von einer größeren Anzahl von Funden von Tetrapoden und Gliederfüßern an vier Lokalitäten im Süden Schottlands. Sie werden geologisch ins Tournaisium und damit zeitlich in die Romer-Lücke gestellt. Unter den Fossilien waren sowohl wasser- als auch landlebende Formen, und unter den Tetrapoden-Fossilien kleine und große Formen. Zu den Wirbeltierfunden zählen neben den Vierbeinern auch Lungefische. Die Funde stammten aus mehreren verschiedenen Horizonten. Damit ist für die Forscher klar, dass die Romer-Lücke ein Artefakt ist und auf einen bisher mangelnden Erfolg der Fossiliensucher zurückzuführen ist. Was wurde gefunden? Smithson et al. (2012) heben unter den Funden in Burnmouth eine kleine, fünffingrige Extremität hervor, die bekannten unterkarbonischen Gattungen, aber auch einer oberkarbonischen Gattung ähnele. Ein Unterkieferbruchstück kann der Gattung Crassigyrinus zugeordnet werden, die bisher erst ab dem späten Viséum bekannt war. Die Fossilien von Burnmouth gleichen damit eher späteren karbonischen als früheren devonischen Formen, so die Autoren. Am Fundort „Willie’s Hole“ wurden zwei neue Formen gefunden, die in einigen Merkmalen Ähnlichkeiten teils mit Pederpes, teils mit Crassigyrinus aufweisen. Pederpes war bisher eine der wenigen gut erhaltenen Gattungen aus der Romer-Lücke (Clack & Finney 2005). Die Autoren fassen zusammen, dass die Existenz einiger Linien weiter in die Vergangenheit gezogen werden müsse, und zwar bis zu 20 Millionen Jahre; das gilt insbesondere für die Fünffingrigkeit. Man muss daher evolutionstheoretisch annehmen, dass viele Tetrapodenlinien sehr viel früher entstanden sind als bisher angenommen. Die Tetrapoden hätten sich nach dem Massenaussterben am Ende des Devons deutlich schneller erholt als bisher gedacht.Bewertung. Gleichgültig, ob es sich um eine Überlieferungslücke handelt oder ob tatsächlich nur wenige Vierbeiner existierten: der Ursprung der Vielfalt der ab dem Viséum (mittleres Unterkarbon) überlieferten Formen bleibt so rätselhaft wie zuvor. Die neuen Funde dehnen die Zeiträume, in denen einige Gattungen existierten, aus, schließen aber keine morphologischen (die Baupläne betreffenden) Lücken. Im zeitlichen Sinne wird die Romer-Lücke daher mit einigen Formen gefüllt. Die morphologischen Lücken zwischen den wassergebundenen, großen oberdevonischen Tetrapoden und den kleineren, vollständig landlebenden Formen des Karbons bleiben aber im Wesentlichen unverändert. Die Vielfalt der Formen als dem Viséum ist unverändert sehr viel größer als das Spektrum der älteren karbonischen Formen aus dem Tournaisium. Formulierungen der Tagespresse über „spektakuläre Entdeckungen“, die Lücken schließen, sind daher missverständlich. Literatur Benton MJ (2007) Paläontologie der Wirbeltiere. München. Carroll R (2009) The rise of amphibians. 365 million years of evolution. Baltimore. Clack JA & Finney SM (2005) Pederpes finneyae, an articulated tetrapod from the tournaisian of Western Scotland. J. Syst. Pal. 2, 311-346. Niedzwiedzki G, Szrek P, Narkiewicz K, Narkiewicz M & Ahlberg PE (2010) Tetrapod trackways from the early Middle Devonian period of Poland. Nature 463, 43-48. Smithson TR, Wood SP, Marshall JEA & Clack JA (2012) Earliest Carboniferous tetrapod and arthropod faunas from Scotland populate Romer’s Gap. Proc. Natl. Acad. Sci. 109, 4532-4537. Autor dieser News: Reinhard Junker
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