08.01.13 Detaillierte Ähnlichkeiten der Gehörorgane von Heuschrecke und Mensch
Das Gehörorgan einer Laubheuschrecke weist einen ganzen Komplex von Ähnlichkeiten im Bauplan und in der Funktionsweise mit dem Gehörorgan des Menschen auf. Die Wissenschaftler, die das mit Hilfe von Mikro-Tomographen herausfanden, sprechen – evolutionstheoretisch orientiert – von einer „Serie konvergenter Lösungen“. Das heißt: Ohne Zielorientierung (die es im Rahmen evolutionstheoretischer Modellierungen nicht gibt) soll zweimal unabhängig eine bis in die Details sehr ähnliche komplexe Struktur und Funktionsweise bei stammesgeschichtlich weit voneinander entfernten Tiergruppen erreicht worden sein – eine außerordentliche Konvergenz.
Eine höchst erstaunliche Entdeckung hat ein Forscherteam um Fernando Montealegre-Zapata, Insektenforscher an der Universität von Bristol in Großbritannien gemacht. Die Wissenschaftler fanden mit Hilfe von Mikro-Tomographen heraus, dass das Gehörorgan der im Regenwald lebenden Laubheuschrecke Copiphora gorgonensis aus der Gruppe der Katydiden ganz ähnlich funktioniert wie das menschliche, und zwar sowohl in anatomischer als auch in physiologischer Hinsicht. Das an den Beinen befindliche Insektenohr ist wie beim Menschen funktionell dreigeteilt, im Vergleich dazu jedoch extrem miniaturisiert, nämlich etwa 60 mal kleiner (das Insektenohr ist insgesamt nur 0,6 mm groß). Legt man eine evolutionäre Entstehungsgeschichte des Lebens zugrunde, handelt es sich hier um ein Beispiel für eine extrem detailgetreue Konvergenz, dessen Tragweite für die Frage nach dem „Wie“ der Entstehung kaum überschätzt werden kann.
Um die weitreichenden Ähnlichkeiten der beiden Sinnesorgane zu verstehen, soll zunächst der Aufbau des menschlichen Ohres beschrieben werden. Außen-, Mittel- und Innenohr ermöglichen Schallaufnahme, Schallumwandlung und Frequenzanalyse. Die Schallwellen erreichen über den äußeren Gehörgang das Trommelfell, das in Schwingung versetzt wird. Daran schließen sich im Mittelohr die bekannten drei Gehörknöchelchen Hammer, Ambos und Steigbügel an. Diese kleinsten Knochen unseres Skeletts leiten die durch die Schallwellen ausgelösten Schwingungen des Trommelfells zum sehr viel kleineren ovalen Fenster weiter. Von dort werden die Schwingungen durch an die mit Flüssigkeit (Perilymphe) gefüllten Gänge der Schnecke übertragen. Die Gehörknöchelchen haben zusammen mit dem Trommelfell die Funktion eines Impedanzwandlers, d. h. sie ermöglichen die Umwandlung niedriger Schalldrücke und hoher Auslenkungen der Luft in hohe Drücke und geringe Auslenkungen in der Perilymphe des Innenohrs. Diese Verstärkung des Schalldrucks wäre nicht möglich, wenn die Flüssigkeit des Innenohres direkt an das Trommelfell angrenzen würde.1
In der Schnecke stecken winzige Härchen mit Sinneszellen, die durch die erzeugten Wanderwellen in der Flüssigkeit verbogen werden. Dadurch werden in den Sinneszellen des Innenohrs elektrische Signale erzeugt, was zur Erregung des Hörnervs führt. Auf diese Weise wird letztlich der ankommende Schall in Nervenimpulse umgesetzt und über den Hörnerv sowie die zentralen Hörbahnen ans Gehirn weitergeleitet. In der Schnecke sind die Sinneshaarzellen linear der Länge nach auf einer Membran angeordnet. Jede Zelle reagiert entsprechend ihrer Lage auf der Membran auf eine bestimmte Frequenz, wobei die niedrigsten Frequenzen am einen und die höchsten am anderen Ende erfasst werden – wie bei einem Klavier (tonotopische Repräsentanz).
Montealegre-Zapata et al. (2012) berichten nun, dass die anatomischen und funktionellen Aspekte des Hörvorgangs beim Menschen außerordentlich ähnlich den Verhältnissen beim Gehörorgan einer Heuschrecke des Regenwaldes sind. Sie zeigten, dass bei diesen Insekten trommelfellartige Membranen des Außenohres mit einer steifen, hebelartigen Struktur, der Tympanalplatte verbunden sind. Diese ist ihrerseits mit einer verlängerten flüssigkeitsgefüllten Kammer des Innenohrs verbunden und entspricht damit den Gehörknöchelchen der Säugetiere. Die Impedanzverstärkung ist ähnlich stark wie bei den Säugetieren. Und im Innenohr der Heuschrecke zeigt sich wie bei Säugetieren eine lineare Abfolge von Sinnesrezeptoren, die von Flüssigkeit umgeben sind, ähnlich der Situation in der Schnecke des Säugerohrs. Besonders bedeutsam ist die Entdeckung der (oben beschriebenen) Impedanzwandlung und -verstärkung durch das den Gehörknöchelchen analoge Element, welches mit den Trommelfellmembranen zusammenwirkt (vgl. Hoy 2012). „Insgesamt zeigen die Daten, dass die Impedanzwandlung, die Ausbreitung der Schallwellen und die tonotopische Repräsentanz biophysikalisch analog denselben Eigenschaften des Säugetierohrs sind“2 (Montealegre-Zapata et al. 2012, 971).
Ein Komplex von Konvergenzen. Angesichts dieser detaillierten Ähnlichkeiten sprechen Montealegre-Zapata et al. (2012) von einer „Serie konvergenter Lösungen“. (Zur „Konvergenz“-Problematik siehe auch Artikel Ähnlichkeiten in der Morphologie und Anatomie.) Es handelt sich nicht um eine einfache Konvergenz eines einzelnen Bauplanelements, sondern um einen Komplex von Konvergenzen. Evolutionstheoretisch werden Konvergenzen gewöhnlich mit gemeinsamen Selektionsdrücken erklärt, doch sind Selektionsdrücke nur notwendige, aber bei weitem keine hinreichenden Voraussetzungen für Evolution. Als alternative Erklärung werden Entwicklungszwänge genannt. Hoy (2012, 895) bemerkt in seinem Kommentar jedoch, dass damit nur im Falle des Säugerohrs argumentiert werden könne, nicht aber in Bezug auf die Konvergenz zum Insektenohr.3 Im Übrigen können aber auch Konstruktionszwänge nicht für die Entstehung von evolutionär Neuem verantwortlich gemacht werden, sondern bilden ebenfalls nur zu berücksichtigende Randbedingungen. Letztlich genügen weder externe (Selektion) noch interne (Konstruktionszwänge) Rahmenbedingungen als Triebfedern für die Entstehung der Gehörorgane. Um die Entstehung der frappierend ähnlichen Baupläne und der analogen Funktionsweise des Insekten- und Säugerohrs zu verstehen, reichen die bisher bekannten natürlichen Mechanismen offenkundig nicht aus. Darauf weist indirekt auch Hoys (2012, 895) Bemerkung am Schluss seines Kommentars hin, dass die miniaturisierten Ohren der Insekten Vorbilder sein könnten für die Entwicklung der nächsten Generation akustischer Biosensoren.4
Weshalb ist Konvergenz in diesem Fall so schwerwiegend? Es ist schon ein evolutionstheoretisches Problem ersten Ranges, wie Sinnesorgane überhaupt in einzelnen Abstammungslinien entstehen. Man muss sich die Details klarmachen, die zusammenstimmen müssen, damit ein Ohr überhaupt eine minimale Funktion aufweisen kann. Und man muss sich vor Augen halten, dass es in einer natürlich verlaufenden Evolution keine Zielorientierung gibt. Wenn nun aber ohne Zielorientierung zweimal unabhängig eine bis in die Details sehr ähnliche komplexe Struktur und Funktionsweise bei stammesgeschichtlich weit voneinander entfernten Tiergruppen erreicht wird, muss das zu denken geben.5 Bisher bekannte natürliche Evolutionsmechanismen sind für die Erklärung dieses Phänomens ungeeignet, jedoch in einem Schöpfungskontext leicht zu verstehen.
Literatur
Hoy RR (2012) Convergent evolution of hearing. Science 338, 894-895.
Montealegre-Z. F, Jonsson T, Robson-Brown KA, Postles M & Robert D (2012) Convergent Evolution Between Insect and Mammalian Audition. Science 338, 968-971.
Anmerkungen und Originalzitate
1 „Nahezu die gesamte Schallleistung, die in den Gehörgang dringt, wird an das Innenohr weitergegeben. Hierbei erhöht sich die ausgeübte Kraft vom Trommelfell bis zum ovalen Fenster etwa um den Faktor 90 und der Druck etwa um den Faktor 22. Das heißt: Wären Trommelfell und ovales Fenster starr verbunden, wäre die Schallübertragung um fast 30 Dezibel schlechter, leise Geräusche wären nicht mehr wahrnehmbar.“ (http://tinyurl.com/ada6dxv)
2 „Altogether, the data show that the impedance conversion, dispersive wave propagation, and tonotopic representation are biophysically analogous to the same qualities of the mammalian cochlea.“
3 „The three compartment hearing organ in terrestrial vertebrates, including mammals, evolved out of the developmental imperatives surrounding the evolution of the vertebrate ear on the head. However, no such constraints apply to the hearing organs of insects“ (Hoy 2012, 895).
4 „The miniature ears of insects may provide valuable insights for developing the next-generation of auditory biosensors“ (Hoy 2012, 895).
5 Man kann das Problem vielleicht andeutungsweise damit vergleichen, dass zwei Wanderer blind von ganz verschiedenen Ausgangspunkten aus ohne Wissen eines Zieles und ohne Lenkung denselben weit von ihnen entfernten Punkt erreichen sollten. Autor dieser News: Reinhard Junker Informationen über den Autor
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