16.05.13 „Vormensch“ verliert seinen Status
Australopithecus erweist sich als guter Kletterer
Die Australopithecinen werden trotz ihrer unbestritten recht großaffenähnlichen Schädel- und Zahnstruktur als „Vormenschen" gedeutet, denn Körperstamm- und Extremitätenskelett seien schon deutlich zum Menschen hin evolviert. Diese behauptete Menschenähnlichkeit wird durch neue Untersuchungen in Frage gestellt. Sie unterstützen frühere Forschungsergebnisse, nach denen diese fossilen Tiere keine Ahnen des Menschen sind.
Die nur fossil bekannte Menschenaffengattung Australopithecus („Südaffe“) gilt weithin als relativ gut passende Übergangsform zwischen Menschenaffen und Menschen und wird daher auch als „Vormensch“ und in populären Darstellungen sogar (irreführenderweise) als „Urmensch“ bezeichnet. Dass eine Reihe von Merkmalen diesem Status widersprechen, wird im Artikel Australopithecinen („Südaffen“) und andere Menschenaffenartigen-Fossilien behandelt. Diese in der Fachwelt teilweise auch kritisierte Position von Australopithecus wird durch neue Befunde weiter in Frage gestellt.
Die beiden Forscher David J. Green und Zeresenay Alemseged haben 2012 in der Wissenschaftszeitschrift Science eine bemerkenswerte Untersuchung zum Schulterblatt von Australopithecus afarensis publiziert. Mit dieser Analyse wurde eine seit Jahrzehnten kontrovers diskutierte Frage zur Fortbewegung der Australopithecinen vermutlich entschieden. Es spricht vieles dafür, dass diese Tiere einen wesentlichen Teil ihres Lebens in Bäumen verbracht haben. Damit muss eines der tragenden Indizien für eine Übergangsstellung von Australopithecus fallengelassen werden.
Es war schon zuvor unbestritten, dass Australopithecus afarensis im Schulterbereich großaffenähnliche Merkmale besitzt. Manche Forscher aber interpretierten die Klettermerkmale einfach als funktionslose Überbleibsel von Vorläuferformen – eine recht willkürliche und kaum prüfbare Interpretation. Andere sahen in den großaffenähnlichen Merkmalen der oberen Extremitäten von Australopithecus eine Anpassung an eine Fortbewegung in Bäumen.
Das Schulterblatt (Scapula) ist ein Schlüsselknochen in der Beurteilung der Fortbewegungsweise von Primaten. Aber dieses Knochenelement ist fossil sehr selten und wenn nur bruchstückhaft erhalten. Mit der Entdeckung des Australopithecus afarensis-Teilskelettes von Dikika (DIK-1-1), Äthiopien, veränderte sich die Datenlage grundlegend. Man besitzt nun ein nahezu vollständig erhaltenes rechtes Schulterblatt eines juvenilen (kindlichen) Individuums von Australopithecus.
Die Untersuchung von Green & Alemseged (2012) zeigt, dass das Schulterblatt von Australopithecus eine vom Menschen Homo deutlich verschiedene großaffenähnliche Struktur besitzt (Verlauf des Knochenkamms auf der Rückseite des Schulterblattes und die Ausrichtung der Schultergelenkspfanne). Die Forscher konnten nachweisen, dass die Ausrichtung der Schultergelenkspfanne von „Lucy" nicht wie behauptet durch die geringe Körpergröße bedingt ist.
Arias-Martorell et al. (2012) haben in einer jüngsten Analyse das proximale (körpernahe) Ende des Oberarmknochens (Humerus) der lebenden Großaffen und Menschen sowie von Australopithecus afarensis untersucht. Es wurden signifikante Unterschiede zwischen diesen Lebewesen, die bisher nicht bekannt waren, festgestellt. Die proximale Humerusmorphologie des Menschen unterscheidet sich deutlich von der der Großaffen und von Australopithecus afarensis, wobei letztere dem Orang-Utan am ähnlichsten sind!
Interessant ist, dass bereits vor vier Jahrzehnten Forscher um Charles Oxnard anhand eines bruchstückhaft erhaltenen Schulterblatt von Australopithecus africanus und eines Teils eines Schlüsselbeines von „Homo" (Australopithecus) habilis zu ähnlichen Ergebnissen wie Green & Alemseged (2012) und Arias-Martorell et al. (2012) gekommen sind.
Bewertung
Die großaffenähnliche Schulter von Australopithecus ist durch eine große morphologische Kluft von der menschenähnlichen Schulter des fossil frühesten nachgewiesenen echten Menschen Homo ergaster getrennt (vgl. Stufen des Menschen?). Die Schultermorphologie von Australopithecus bestätigt die Hypothese (Brandt 1995), dass diese fossilen Wesen sich nicht auf einem evolutionären Entwicklungsweg hin zum Menschen befanden, sondern ausgestorbene Großaffen repräsentieren, die in keinem historisch-verwandtschaftlichen Verhältnis zum echten Menschen stehen.
Eine ausführliche Darstellung der hier kurz zusammengefassten Befunde wird in Studium Integrale Journal Jg. 20, Heft 1 (voraussichtlich Juni 2013) veröffentlicht.
Literatur
Arias-Martorell J, Potau JM, Bello-Hellegouarch G & Pérez-Pérez AM (2012) 3D geometric morphometric analysis of the proximal epiphysis of the humerus of hominoids: Functional interpretation, locomotor evolution and variability. Am. J. Phys. Anthropol. 47, Suppl. 54, 85.
Brandt M (1995) Der Ursprung des aufrechten Ganges. Neuhausen-Stuttgart.
Green DJ & Alemseged Z (2012) Australopithecus afarensis scapular ontogeny, function, and the role of climbing in human evolution. Science 338, 514-517. Autor dieser News: Studiengemeinschaft Wort und Wissen Informationen über den Autor
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