09.05.14 Eiserner Zugang zu ersten Stoffwechselreaktionen?
In Modellen zur Entstehung des Lebens wird nach Hinweisen gesucht, ob die genetische Information oder Stoffwechselreaktionen für eine erste Phase von größerer Bedeutung sind. Die uns bekannten Zellen als kleinste Einheiten von Lebewesen benötigen immer beides und noch viel mehr. Liefern die hier vorgestellten chemischen Reaktionen wirklich neue Einblicke in Prozesse, die zu ersten Zellen führen?
Lebende Systeme – von einfachen Zellen bis zu komplexen vielzelligen Organismen – sind u.a. dadurch charakterisiert, dass sie Biomakromoleküle enthalten, mit deren Hilfe sie Information speichern, replizieren und nutzen können, und Stoffwechsel betreiben. Durch vernetzte chemische Reaktionsabläufe werden in Zellen Nährstoffe umgewandelt, zum Teil in Komponenten, die am Aufbau der Zelle beteiligt sind. Dabei werden auch nutzbare Energie und Reduktionsäquivalente gewonnen.
In Diskussionen über den Ursprung des Lebens werden häufig Positionen einander gegenübergestellt, in denen entweder die zeitliche Priorität der informationsspeichernden Nukleinsäuren oder die des Stoffwechsels behauptet wird. Alle bekannten Lebewesen – ohne Ausnahme – weisen aber gleichzeitig beides auf und wir haben Leben bisher nie anders kennengelernt!
Die Glykolyse und der Pentosephosphat-Zyklus sind zwei im Stoffwechsel bedeutsame Reaktionsabfolgen. Die beiden Reaktionsabfolgen ermöglichen es den allermeisten Lebewesen, Kohlenhydrate abzubauen bzw. sie zu verwerten. Keller et al. (2014) haben mit einer von ihnen etablierten Analysenmethode (Flüssigkeitschromatographie mit einem Massenspektrometer gekoppelt; LC-MS) 12 phosphathaltige Zuckerkomponenten in wässrigen Lösungen bei erhöhter Temperatur untersucht. Zunächst untersuchten die Autoren jede der 12 Verbindungen in reinem Wasser bei 70°C nach 5 Stunden. Unter diesen Bedingungen wandeln sich manche der untersuchten Chemikalien in andere um – sie zerfallen. Die gebildeten Zersetzungsprodukte lassen den Rückschluss zu, dass 17 Reaktionsschritte abgelaufen sind, die auch an der Glykolyse und am Pentosephosphat-Zyklus beteiligt sind. Wenn Keller und Mitarbeiter das reine Wasser durch simuliertes Ozeanwasser ersetzten, fanden sie 28 Reaktionen, die in den beiden genannten biochemischen Reaktionszyklen auch stattfinden. Um Ozeanwasser zu simulieren, wurden reinem Wasser verschiedene Metallsalze zugefügt. Wenn Eisen (Fe) als zweiwertiges Eisen (Fe2+) zugefügt und der Sauerstoffgehalt (O2) stark verringert wurde, konnten sogar 29 verschiedene Reaktionen nachgewiesen werden. Unter diesen Bedingungen liefen alle nachgewiesenen Reaktionen im Vergleich zu höherem O2- Gehalt und Fe3+ sehr viel schneller ab, es ergaben sich also höhere Reaktionsgeschwindigkeiten. Die phosphathaltigen Zuckerverbindungen wurden in den Versuchen in Konzentrationen eingesetzt (100 µM), die typischerweise etwas geringer sind als die Konzentrationen der Verbindungen in Zellen.
Unter Bedingungen mit simuliertem Ozeanwasser wurden insgesamt 12,3 % des gesamten Kohlenstoffs (C) aus den Ausgangsstoffen in Stoffwechselprodukte der Glykolyse und des Pentosephosphat-Zyklus umgewandelt; 37,6 % waren in Form der eingesetzten Ausgansstoffe erhalten geblieben und 51,1 % lagen nach der 5-stündigen Reaktionszeit in nicht identifizierter Form vor, also als Verbindungen, die im betrachteten Zusammenhang keine Rolle spielen sollten. Wurde das Eisen im simulierten Ozeanwasser als Fe2+ eingesetzt und O2 stark verringert, dann fanden sich 11,9 % des C in neu gebildeten phosphathaltigen Zuckerverbindungen, 49,9 % der Ausgangsverbindungen lagen nach 5 Stunden bei 70°C noch vor und 38,2 % in Form von nicht identifizierten Stoffen. Die Autoren bezeichnen die Bedingungen mit Fe2+ und nur Spuren von O2 als urzeitlich („Archean ocean“).
Nun mag diese Studie unter bestimmten Gesichtspunkten interessant sein, aber wenn z.B. Luisi (2014) in einem begleitenden Kommentar zu der Arbeit von Keller et al. von „einem enzymfreien, stoffwechselähnlichen Reaktionsnetzwerk“1 schreibt, dann handelt es sich dabei vornehmlich um suggestive Formulierungen. Etwa 12 % des eingesetzten C lässt sich in phosphathaltigen Verbindungen nachweisen, die durch thermodynamisch begünstigte Zerfallsreaktionen aus den Ausgangsverbindungen entstanden sind. Bis zur Hälfte des C wird dagegen in nicht relevante Verbindungen umgewandelt. Der von Keller et al. verwendete Begriff der Spezifität ist durch nichts in dieser Untersuchung gerechtfertigt (vielleicht am ehesten noch im Blick auf die Wirkung von Fe2+ mit wenig O2 im Vergleich zu Fe3+ bei normalem O2-Gehalt). Da von möglichst reinen Substanzen ausgegangen wird, sind viele Nebenreaktionen überhaupt nicht im Blickfeld; über Spezifität kann also gar keine Aussage gemacht werden. Ob die gebildeten phosphathaltigen Verbindungen in Gegenwart von vielen anderen Verbindungen überhaupt entstehen und unter den gewählten Bedingungen stabil sind, ist zu bezweifeln. Die elementare Frage nach der Synthese (und Aufreinigung zu den erforderlichen Konzentrationen) der in dieser Studie eingesetzten Ausgangsstoffe ist darüber hinaus völlig offen. Wir haben derzeit keine plausible Erklärung, woher diese kommen könnten.
Überhaupt scheint die Diskussion, ob Nukleinsäuren oder Stoffwechsel zuerst entstanden sind, das eigentliche Problem gar nicht im Fokus zu haben. Wir benötigen für die einfachsten bekannten lebenden Zellen beides und noch viel mehr! Und wir kennen derzeit weder für eine ungesteuerte Synthese von Nukleinsäuren noch für die Entstehung einfacher, vernetzter stoffwechselähnlicher Reaktionssysteme eine Erklärung, in der nur die bekannten Naturgesetze, ohne weitere – notwendige – Randbedingungen eine Rolle spielen. Eine Besprechung der Arbeit von Keller et al. auf der Internetseite eines populärwissenschaftlichen Journals (Osterkamp 2014) wird mit folgenden Worten eröffnet: „So viel ist klar: Leben ist nichts als eine kurze, regelmäßig aus sich selbst heraus wiederholte Phase geordneter chemischer Reaktionen auf engem Raum; diesen nennt man dann gewöhnlich ‚Lebewesen‘; im einfachsten Fall auch schlicht ‚Zelle‘.“ Mit derart stark reduktionistischen Konzepten werden „geordnete chemische Reaktionen“ als „Leben“ definiert. Das Explanandum2 wird auf diese Weise kurzerhand wegdefiniert – eine Vorgehensweise, mit der in den Naturwissenschaften kein Erkenntnisgewinn zu erwarten ist.
Anmerkungen
1 „In their recent work Keller et al. (2014) observe an enzyme-free, metabolism-like reaction network under conditions reproducing a possible prebiotic environment.“
2 Das zu Erklärende
Literatur
Keller MA, Turchin AV & Ralser M (2014) Non-enzymatic glycolysis and pentose phosphate pathwy-like reactions in a plausible Archean ocean. Mol. Syst. Biol. 10, 725; DOI: 10.1002/msb.20145228.
Luisi PL (2014) Prebiotic metabolic networks? Mol. Syst. Biol. 10, 729; DOI 10.1002/msb.20145351
Osterkamp J (2014) Das Henne-Ei-Problem von der Entstehung des Lebens. http://www.spektrum.de/alias/chemische-evolution/das-henne-ei-problem-von-der-entstehung-des-lebens/1283602 Autor dieser News: Harald Binder Informationen über den Autor
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