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16.07.15  Collinsium – am Anfang war die Komplexität

Einer der ältesten fossil erhaltenen Lobopoden, Collinsium ciliosum, ist ausgesprochen komplex gebaut. Die Fossilüberlieferung zeigt bei dieser Gruppe keine Abfolge von „einfacher“ zu „komplexer“. Das stellt die evolutionstheoretisch zu erwartende Abfolge auf den Kopf.

Evolution verläuft vom Einfacheren zum Komplexeren; mindestens müssen alle Baupläne des Lebens einmal einfach begonnen haben, auch wenn im weiteren Verlauf wieder Rückbildungen erfolgen können. Es zeigt sich aber immer wieder, dass bereits sehr früh in der Fossilüberlieferung Tiergruppen mit komplexen Formen überliefert sind. Die ältesten Formen einer Gruppe sind oft komplexer als jüngere. Über ein eindrucksvolles Beispiel dieser Art berichten Yang et al. (2015). Die Forscher beschreiben Collinsium ciliosum, einen ungewöhnlich gepanzerten, ca. 8,5 cm langen Lobopoden aus der unterkambrischen Xiaoshiba-Lagerstätte in Südchina (Rekonstruktion z. B. unter http://cdn4.sci-news.com/images/enlarge/image_2962_1e-Collinsium-ciliosum.jpg). Lobopoden sind ausgestorbene wurmartige Organismen mit füßchenartigen Anhängen; sie haben im Meer (marin) gelebt und  werden gewöhnlich zu den auch heute lebenden Stummelfüßern (Onychophora, „Würmer mit Füßchen“) gerechnet und als deren mögliche Vorfahren diskutiert. Die etwa 180 heute lebenden Stummelfüßer sind recht einheitlich gebaut und bilden einen eher wenig bedeutenden Anteil am Ökosystem von Regenwäldern (Yang et al. 2015, 1). Eine stammesgeschichtliche Verbindung zu den marinen kambrischen Formen erscheint aufgrund der Ökologie der heute bekannten Formen nicht naheliegend.

Nicht nur in Bezug auf den Lebensraum fallen die Unterschiede auf, auch der Körperbau  des kambrischen Collinsium ist für einen Lobopoden ungewöhnlich komplex. Am vorderen Teil des wurmartigen Körpers befindet sich ein Paar antennenartiger Anhänge, es folgen sechs Paare verlängerter Anhänge mit feiner Fiederung, die als Filtriereinrichtung gedeutet werden, mit der Kleinlebewesen erbeutet werden. Dahinter befinden sich bis zum Körperende neun Beinchen mit Klauen, mit denen sich Collinsium vermutlich auf fester Unterlage (Felsen oder auch auf Schwämmen) festhalten konnte. Doch damit nicht genug. Auf dem Rücken und an der Seite war das Tier mit insgesamt 72 harten, spitzen Stacheln unterschiedlicher Größe ausgestattet, die dem Tier Schutz gegen Räuber boten. Im Vergleich zu anderen Gattungen der Lobopoden ist Collinsium deutlich die komplexeste und gehört zugleich zu den ältesten und wird in die Familie der Luolishaniidae gestellt. Diese Familie steht im Dendrogramm (Ähnlichkeitsbaum) an abgeleiteter („hochentwickelter“) Position, obwohl sie in der geologischen Schichtenfolge an der Basis der Überlieferung der Lobopoden auftritt. Die Luolishaniidae weisen das größte Ausmaß an Spezialisierung der Körperanhänge von Lobopoden des Paläozoikums („Erdaltertum“ von Kambrium bis Perm) auf und sind sehr viel verschiedenartiger als Vertreter der (später fossil überlieferten) Kronengruppen der Stummelfüßer  (Yang et al. 2015). Eine Abfolge von „einfach“ Richtung „komplex“, wie evolutionär ursprünglich verlaufen sein müsste, ist damit auf den Kopf gestellt. Warum diese Gruppe trotz üppiger Ausstattung ausgestorben ist, darüber kann nur spekuliert werden. Man spricht in solchen Fällen häufig (und so auch hier) von gescheiterten „evolutionären Experimenten“, womit aber nichts erklärt wird. Eine denkbare – aber spekulative – Erklärung könnte die Zerstörung des Lebensraumes der kambrischen Formen sein.

„Alle modernen Stummelfüßer sind ziemlich ähnlich in ihrem allgemeinen Körperbau und nicht so aufregend in ihrer Lebensweise. Aber im Kambrium waren ihre entfernten Verwandten erstaunlich vielfältig und traten in einer überraschenden Vielfalt bizarrer Formen und Größen auf“, wird einer der Mitautoren, Javier Ortega-Hernández von der Universität von Cambridge, UK, zitiert (http://www.sci-news.com/paleontology/science-collinsium-ciliosum-cambrian-spiky-worm-02962.html). Die Lobopoden sind nicht die einzige Gruppe, deren Fossilüberlieferung in maximaler Verschiedenartigkeit startet; Yang et al. (2015, 5) nennen als weitere Beispiele die Crinoiden (Seelilien und Haarsterne) und Brachiopoden (Armfüßer), bei denen dies auch der Fall ist. Es könnten noch mehr Gruppen genannt werden.

Literatur

Yang J, Ortega-Hernández J, Gerber S, Butterfield NJ, Hou JB, Lan T & Zhang XG (2015) A superarmored lobopodian from the Cambrian of China and early disparity in the evolution of Onychophora. Proc. Natl. Acad. Sci. 112, 8678-8683.

Autor dieser News: Reinhard Junker

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