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14.12.15  Nichts in der Biologie macht Sinn außer im Licht der Theologie?

Kein Zitat in der Biologie ist wohl bekannter als der Satz „Nothing in biology makes sense except in the light of evolution“. Er dient als Überschrift eines 1973 veröffentlichten Artikels eines der bedeutendsten Evolutionsbiologen des 20. Jahrhunderts, Theodosius Dobzhansky. Stephen Dilley, Philosophieprofessor an der St. Edward‘s University Austin/Texas, legt eine detaillierte Analyse dieses Artikels vor und kommt zu einem überraschenden Ergebnis: Alle Argumente, die Dobzhansky als Belege für Evolution bringt, fußen unverzichtbar auch auf theologischen Aussagen. Ohne explizite Aussagen über einen Schöpfer sind Dobzhanskys Argumente ausnahmslos logisch nicht schlüssig. Und Dobzhansky ist damit nicht alleine. Auch andere bekannte Evolutionsbiologen stützen Behauptungen zu Evolutionstheorien mit Aussagen darüber, was Gott in der Geschichte des Lebens tun oder nicht tun würde – in einem überraschenden Ausmaß.

Er dürfte einer der meistzitierten Sätze in der biologischen Literatur sein: „Nothing in biology makes sense except in the light of evolution.“ Bei diesem Satz handelt es sich um die Überschrift eines Artikels, den der russisch-amerikanische Genetiker und Evolutionsbiologe Theodosius Dobzhansky in der Zeitschrift The American Biology Teacher veröffentlicht hat (Dobzhansky 1973). Dobzhansky gehört zusammen mit Ernst Mayr und anderen zu den führenden Vertretern der sogenannten Synthetischen Evolutionstheorie, die in den 1940er Jahren entwickelt wurde. Er wollte in diesem Artikel die besten Argumente für Evolution präsentieren, und man sollte meinen, dass diese Argumente sich aus den biologischen Daten ergeben. In diesem Sinne wurde dieser berühmte Satz auch gewöhnlich zitiert, auch wenn kaum jemand Dobzhanskys Artikel gelesen haben dürfte.

Die Lektüre bietet jedoch eine Überraschung: Alle Argumente, die Dobzhansky als Belege für seine These bringt, fußen unverzichtbar auch auf theologischen Aussagen. Das heißt: Sie sind nur gültig, wenn man Annahmen über Gottes Natur, seine Schöpfungsmethode oder seine Absichten und Ziele hinzunimmt. Ohne explizite Aussagen über einen Schöpfer sind Dobzhanskys Argumente ausnahmslos logisch nicht schlüssig. Diesen überraschenden Befund arbeitet Stephen Dilley, Philosophieprofessor an der St. Edward‘s University Austin/Texas, in einem philosophischen Fachartikel heraus und weist darüber hinaus darauf hin, dass auch weitere berühmte Evolutionsbiologen wie z. B. Ernst Mayr, Douglas Futuyma oder Stephen Jay Gould Argumente pro Evolution verwenden, die Bezug auf theologische Aussagen nehmen und ohne diesen Bezug logisch nicht schlüssig sind (Dilley 2013). Dilley zeigt außerdem, dass manche Argumente im berühmten Artikel Dobzhanskys in sich widersprüchlich sind. Im Folgenden werden die wichtigsten Punkte seiner Analyse zusammengefasst.

Dilleys Analyse

Dobzhansky thematisiert sieben evolutionstheoretisch relevante Themengebiete: Radiometrische Datierung, Vergleichende Biologie, Embryologie, Adaptive Radiation, biologische Vielfalt, molekulare Homologie (biochemische Universalien) und Paläontologie. Es geht ihm dabei im Wesentlichen nur um die Frage der gemeinsamen Abstammung (Deszendenz), weniger um die Frage nach den evolutionären Mechanismen (ab und zu nimmt er Bezug auf natürliche Selektion). Auf allen Gebieten führt er einen Vergleich durch: Die Daten seien besser durch eine natürliche Evolution zu erklären als durch eine direkte Schöpfung.1 Die in diesen Vergleichen zugrundeliegenden Schöpfungsvorstellungen entnimmt Dobzhansky jedoch erstaunlicherweise nicht der kreationistischen Literatur, sondern formuliert seine eigenen Vorstellungen über die Vorlieben und Handlungsweisen des Schöpfers2, um dann zu zeigen, dass nur eine evolutive Entstehung der jeweiligen Phänomene zu den betreffenden Gottesvorstellungen passt. Die Grundform seiner Argumentation, die Dilley (2013, 775) aus seinen Ausführungen herausarbeitet,  kann man wie folgt zusammenfassen:

1. Wenn Evolution wahr ist, ist das Naturphänomen X zu erwarten.

2. Wenn Kreationismus3 wahr ist, ist das Naturphänomen X nicht zu erwarten.

3. Wenn ein Befund im Rahmen der einen Hypothese zu erwarten ist, nicht aber im Rahmen der anderen Hypothese, dann „macht er Sinn“ nur im Licht der ersteren, nicht aber im Licht der letzteren.

4. Daher macht eher Evolution als Kreationismus Sinn für das Naturphänomen X.

Prämisse 2 nimmt dabei immer Bezug auf eine Annahme darüber, was ein Wunder vollbringender Gott tun würde oder was er nicht tun würde. Das ist die theologische Aussage, die Dobzhansky benötigt, um seinen Schluss auf Evolution als einzigen „Lichtträger“ ziehen zu können.

Die Argumentation Dobzhansky hat in manchen Fällen eine etwas andere Form:

1. Entweder Evolution oder Kreationismus macht Sinn für ein Naturphänomen X.

2. Die kreationistische Erklärung von X impliziert, dass Gott auf eine Art und Weise Y gehandelt hat (oder dass er die Eigenschaft Z hat).

3. Gott würde nicht in Y-Weise handeln (oder hätte nicht die Eigenschaft Z).

4. Daher macht Evolution, nicht aber Kreationismus Sinn für ein Naturphänomen X.

Auch in dieser Version hängt die Schlussfolgerung von konkreten Aussagen über die Eigenschaften oder das Wirken Gottes ab.

Ein Beispiel: Einheit des Lebens

Im Folgenden soll diese allgemeine Argumentation an einem der sieben Themenfelder erläutert werden (Dilley macht das ausführlich für alle sieben Themen), nämlich am Beispiel der „Einheit des Lebens“. Gemeint ist damit, dass es Gemeinsamkeiten gibt, die alle Lebewesen teilen, z. B. den genetischen Code, den Vorgang der Übersetzung von RNA in Proteine (Translation) oder bestimmte Vorgänge im Zellstoffwechsel (Dilley 2013, 780; Dobzhansky 1973, 127). Dilley fasst die Argumentation Dobzhanskys zu diesem Befund wie folgt zusammen:

1. Wenn die Evolutionstheorie (gemeint ist wie erwähnt die Abstammung, nicht die Frage der Evolutionsmechanismen) wahr ist, sind bestimmte biochemische Universalien (z. B. der genetische Code) sehr stark zu erwarten.

2. Wenn Kreationismus wahr ist, sind diese biochemischen Universalien nicht zu erwarten.

3. Wenn die Befunde von der einen Hypothese sehr stark, von der anderen aber gar nicht erwartet werden, machen sie nur Sinn im Licht der ersteren Hypothese.

4. Daher macht nur die Evolutionstheorie, nicht aber der Kreationismus Sinn in Bezug auf bestimmte biochemische Universalien wie dem genetischen Code.

Prämisse 2 hat offenkundig theologischen Inhalt. Seltsamerweise begründet Dobzhansky die Richtigkeit dieser Prämisse gar nicht, und sie wird auch nicht von Kreationisten vertreten. Vielmehr argumentiert Dobzhansky hier mit einer stillschweigenden Annahme, nämlich dass die Einheitlichkeit des Lebens nicht vereinbar sei mit der Freiheit eines Schöpfers, so zu handeln, wie er wolle (Dilley 2013, 780).

Dobzhansky hält die biochemische Einheitlichkeit des Lebens für den eindrucksvollsten Hinweis auf Evolution; dieser hängt offenbar unabdingbar von einer theologischen Annahme ab, denn ohne Prämisse 2 kann der von ihm durchgeführte Schluss auf Evolution nicht gezogen werden.

Willkürliche theologische Annahmen

Die hier von Dobzhansky zugrunde gelegte theologische Annahme ist aber nicht nur willkürlich, sie ist sogar widersprüchlich zu einer anderen theologischen Annahme, die er bei einem anderen Argument macht. Denn bei der Argumentation zur Vielfalt des Lebens sieht Dobzhansky keinen vernünftigen Grund, warum Gott eine immense Anzahl von Arten erschaffen sollte (Dilley 2013, 777). Hier argumentiert er also genau anders herum, nämlich gegen Vielfalt (er erwartet nicht, dass ein Schöpfer so vielfältig erschafft). Im anderen Beispiel (biochemische Einheitlichkeit) dagegen argumentiert er für Vielfalt (er erwartet, dass der Schöpfer vielseitiger erschafft als beobachtet). Dobzhansky argumentiert mit seiner Gottesvorstellung also immer so, dass daraus ein theologisches Argument gegen die Schöpfungshypothese folgt, das dann in seinen Beweisgang eingeht.

Dilley zeigt auch anhand der anderen Beispiele, wo die theologischen Annahmen  zum Tragen kommen, wobei sie auch etwas versteckt sein können, z. B.: Gott würde uns nicht über Isotopenverhältnisse täuschen (die in radiometrische Datierungen eingehen); wenn Gott durch natürliche Selektion schaffen würde, sollte kein Plan in der organischen Vielfalt erkennbar sein, und umgekehrt wenn er durch direkte Schöpfungsakte die Lebewesen hervorgebracht hätte, sollte Plan und Zweck in der organischen Vielfalt erkennbar sein; im Falle einer Schöpfung sind Homologien (Bauplanähnlichkeiten) unter den Wirbeltieren nicht zu erwarten usw.4 Dilley stellt mit Erstaunen fest, dass Dobzhansky durchweg keine Begründungen für seine speziellen Behauptungen über Gott liefert und darüber hinaus in manchen Fällen die von ihm angenommene Handlungsweise Gottes auch noch moralisch bewertet. Auch diese moralischen Bewertungen gehen in Dobzhanskys Beweisgang ein, indem er annimmt, dass Gott nicht auf eine Weise handeln würde, die er, Dobzhansky, für unmoralisch hält.

Ob Dobzhanskys moralische Urteile gerechtfertigt sind, soll hier nicht diskutiert werden; Dilley befasst sich mit dieser Frage aber auch und zeigt, dass diese Urteile vorschnell bzw. fragwürdig sind. Es soll hier nur der Aspekt herausgestellt werden, dass Dobzhansky in einem erheblichen Umfang mit eigenen spezifischen Urteilen und Kennzeichen über Gott operiert. Dilley stellt abschließend noch einmal heraus, dass auf diesem Weg theologische Aussagen getroffen werden, die zum einen dem Kreationismus „fremd“ sind, und die zum anderen auch gegen eine Reihe von traditionellen theologischen Traditionen stehen, die völlig unabhängig von den Auffassungen zeitgenössischer Kreationisten sind (S. 783). Dobzhanskys Theologie präsentiert sich selbstgemacht mit dem Ziel, für Evolution punkten zu können. Dilley (2013, 785) kommentiert: „His method typically involves discerning what evolutionary theory would predict about a certain phenomenon, then claiming that the God of creationism would do otherwise“ (S. 785) und „This ‘tactical potpourri theology,’ as I call it, deploys muddled content in order to achieve a polemical victory.“

Nicht nur Dobzhansky bringt Gott ins Spiel

Dilley weist auch auf die erstaunliche Tatsache hin, dass Evolutionsbiologen wie Gould, Dawkins, Coyne und andere zwar einen persönlichen Gott ablehnen, aber dennoch Behauptungen zur Stützung ihrer Evolutionstheorien aufstellen, die beinhalten, was Gott in der Geschichte des Lebens tun oder nicht tun würde. Qua Evolutionsbiologen sind sie dafür sicher nicht autorisiert, aber es kommt noch schlimmer: Nach Dobzhanskys Verständnis von Evolution, sind die Menschen gar nicht „geschaffen“, um etwas von Gott erkennen zu können, sondern sind nur da, weil günstige Umstände in der Umwelt und die nötige genetische Ausrüstung gegeben waren, um den Menschen möglich zu machen (Dobzhansky 1973, 1275). Schon Darwin bezweifelte aus evolutionstheoretischer Perspektive, dass Menschen vertrauenswürdige Urteile in Bezug auf Gott fällen könnten. Nach Dilley ist das ein weiterer Grund, weshalb in allen sieben Beweisen Dobzhanskys ungerechtfertigte Prämissen (über Gott) verwendet werden. Ähnliches gelte auch für andere Evolutionsbiologen, die Bezug auf die Natur Gottes nehmen. „Thus, given their understanding of evolution, some evolutionary biologists may have powerful reasons that undermine their claims about God’s nature“ (Dilley 2013, 785).

Dilley stellt gegen Ende seines Artikels klar, dass er selber nicht der Auffassung sei, dass Argumente für Evolution auf theologische Prämissen angewiesen seien; er will jedoch herausstellen, dass Argumente überraschend oft mit solchen Prämissen versehen sind, nicht nur in Dobzhansky Biology Teacher-Artikel, sondern in unzähligen Texten von Evolutionsbiologen wie z. B. Ayala, de Beer, Eldredge, Gould, Mayr, Kitcher, Coyne oder Dawkins6: „A surprising number of actual justifications for evolution hinge upon God-talk“ (S. 784); er bringt auf S. 774f. und S. 784 einen wahren Berg von Belegen und findet die Häufigkeit theologischer Argumente in naturwissenschaftlichen Abhandlungen rätselhaft.

Anmerkungen

1 Dobzhansky (1973, 127) bezeichnet direkte Schöpfung als „supernatural fiat“ bzw. als „separate fiat“.

2 „Dobzhansky does not simply borrow creationists’ own theology in order to counter creationism or to support evolution; instead, he imports partisan theology into his arguments for evolution. In particular, Dobzhansky draws on theological concepts foreign to creationism or appropriates elements of creationist theology in a manner alien to creationism. Dobzhansky, too, adds tendentious God-talk to the discussion“ (Dilley 2013, 775).

3 Gemeint ist die direkte Erschaffung von Lebewesen vor kurzer Zeit; vgl. Anm. 1. Dobzhansky verwendet außerdem sechs Mal den Begriff „antievolutionist“. Dilley stellt „Evolutionstheorie“ dem „Kreationismus“ gegenüber; gemeint ist mit „Evolutionstheorie“ aber nicht eine Kausaltheorie, sondern die Abstammung an sich (Deszendenz) und diese wird einer direkten Schöpfung gegenübergestellt. Die Gegenüberstellung Evolution – Kreationismus ist methodisch eigentlich nicht korrekt, aber sie wird hier so wiedergegeben, wie sie von Dobzhansky vorgenommen wird.

4 Dilley fasst auf S. 782f. insgesamt 17 theologische Aussagen zusammen. 5 „simply because there [was] an environmental opportunity and genetic wherewithal to make them possible.“ 6 Auch Charles Darwin hat sich in sehr ähnlicher Weise reichlich theologischer Aussagen bedient, um für Evolution zu argumentieren.

Literatur

Dilley S (2013) Nothing in biology makes sense except in light of theology? Studies in History and Philosophy of Biological and Biomedical Sciences 44, 774-786.

Dobzhansky T (1973) Nothing in biology makes sense except in the light of evolution. The American Biology Teacher (March), 125-129. (online frei verfügbar unter http://img.signaly.cz/upload/1/0/9a462eb6be1ed7828f57a184cde3c0/Dobzhansky.pdf)

Autor dieser News: Reinhard Junker

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