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09.05.16 Chemie der Lebensentstehung: Tiefseeschlote im BrennpunktHydrothermalen Tiefseequellen nahe der Mittelozeanischen Rücken wird in vielen Szenarien zur Lebensentstehung eine bedeutende Rolle zugeschrieben. Nachdem die besonderen Bedingungen in den porösen Schloten bereits für die Synthese von RNA-Molekülen modelliert worden sind, wurde das Modell jetzt für kleinere Moleküle durchgerechnet. Offene Fragen und Hindernisse für eine plausible Wirksamkeit der Systeme bleiben aber unberücksichtigt. Hydrothermale Tiefseequellen, die schwarzen oder auch weißen Raucher im Bereich der Mittelozeanischen Rücken, tauchen seit ihrer erstmaligen Beschreibung Mitte der 1970-er Jahre regelmäßig in Szenarien zur Entstehung des Lebens auf. Die in dem bis zu über 400° C heißen Wasser gelösten Mineralien werden ausgefällt, wenn die heiße Lösung durch Kontakt mit dem kalten Ozeanwasser (ca. 3° C) rasch abkühlt und sich so der namengebende „Rauch“ bildet. Aus diesen ausgefällten Mineralien bauen sich dann mit der Zeit die Schlote auf, aus denen das stark aufgeheizte, mit Mineralien übersättigte Wasser aus der Tiefe an die Oberfläche des Ozeanbodens aufsteigt. Der poröse Aufbau dieser Schlote inspirierte Dieter Braun und seine Kollegen dazu, die Porenräume genauer zu studieren und die Auswirkungen von Temperaturgradienten in Röhren mit kleinen Querschnitten zu modellieren. Sie konnten zeigen, dass durch Thermophorese, also einem durch die Temperaturunterschiede verursachten Transport, kurze Nukleinsäuremoleküle in kapillaren Röhren angereichert werden können (Baaske et al. 2007). Diese Erkenntnisse wurden ebenso zur Entwicklung technischer Geräte genutzt wie auch zum Etablieren von Mechanismen zur Anreicherung von Biomolekülen im Zusammenhang mit der Chemie zur Lebensentstehung (Binder 2011, Imming 2015). Nun hat eine Gruppe von Wissenschaftlern ein solches thermophoretisches System in einer Modellrechnung genutzt, um die Anreicherung von Formamid (NH2CHO) zu modellieren (Niether et al. 2016). Formamid hat in den Spekulationen zu präbiotischen Synthesen von Biomolekülen eine lange Tradition. Es lässt sich zwar analytisch fast überall nachweisen, jedoch in so geringen Konzentrationen, dass nicht nachvollziehbar ist, wie es bei der Synthese von Biomolekülen von Bedeutung sein kann. Die numerischen Modellierungen ergeben wie für die Nukleinsäuremoleküle unter entsprechenden Randbedingungen eine Anreicherung aus sehr verdünnten Formamidlösungen (10-3 Gewichts-%) auf 85 Gewichtsprozent. Bei Konzentrationen dieser Größenordnung scheint die Synthese z.B. von Stickstoffheterozyklen wie den Basen der Nukleinsäuren vorstellbar, wie die Autoren das im Titel ihrer Arbeit zum Ausdruck bringen. Damit kann man die Veröffentlichung als ein weiteres Beispiel dafür betrachten, dass nur in begrenztem Umfang neue Erkenntnisse dokumentiert werden, diese aber durch die Verknüpfung mit dem die Fantasie anregenden Themenfeld der präbiotischen Lebensentstehung an prominenter Stelle erscheinen und damit die Chance haben, große Öffentlichkeitswirkung zu erzielen. Bei einer kritischen Reflexion der Bedeutung der Thermophorese in porösen Schloten von heißen Tiefseequellen für die präbiotische Synthese von Biomolekülen bleibt eine Reihe von Fragen bisher unbeantwortet. Inwieweit spiegeln die modellierten Prozesse reale Abläufe in den Tiefseeschloten wieder? Ist thermophoretische Anreicherung von Stoffen im Allgemeinen und organischer Verbindungen im Besonderen dort nachweisbar? Sollte das der Fall sein, dann erhebt sich weiter die Frage, ob dieser Anreicherungsprozess irgendwelche Selektivität zeigt. Sollten sich die bisherigen Modellrechnungen bestätigen, dann scheint die Anreicherung eher allgemeinen Charakter zu haben. Das aber würde zu einer Lösung führen, die eine höhere Konzentration an vielen vorhandenen Chemikalien enthält und damit wenig zu einer spezifischen Synthese von erforderlichen Biomolekülen beitragen kann. Insofern bleibt festzuhalten, dass thermophoretische Anreicherung in kapillaren Systemen ein sehr interessantes Phänomen ist, das technisch manche interessante Anwendung zu ermöglicht. Ob dieser Prozess tatsächlich in der Natur abläuft, bleibt ebenso zu zeigen wie auch, ob er das Potential hat, präbiotische Synthesen in irgendeiner Weise nachhaltig und spezifisch zu beeinflussen. Literatur Baaske P, Weinert FM, Duhr S, Lemke KH, Russell MJ & Braun D (2007) Extreme accumulation of nucleotides in simulated hydrothermal pore systems. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 104, 9346-9351. Binder H (2012) Wurde die RNA-Welt am Grunde des Ozeans etabliert? Stud. Int. J. 19, 61-62. Imming P (2015) Schritte ungeplanter, ungelenkter Entstehung von DNA und RNA? Stud. Int. J. 22, 42-45. Niether D, Afanasenkau D, Dhont JKG & Wiegand S (2016) Accumulation of formamide in hydrothermal pores form prebiotic nucleobases. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 113, 4272-4277. Autor dieser News: Harald Binder
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