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10.10.16 Von Fischen zu Vierbeinern? Neues von AcanthostegaEin Fisch mit Fingern – Acanthostega, mutmaßliches Bindeglied zwischen Fischen und Vierbeinern – wurde neu untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass fast alle Funde von noch nicht ausgewachsenen Tieren stammen. Es bliebt dabei: Acanthostega war allem Anschein nach ausschließlich wasserlebend und passt nicht gut als Übergangsform. Der sogenannte „Spitzpanzer“ – Acanthostega – aus dem Oberdevon spielt eine prominente Rolle in evolutionären Hypothesen zur Entstehung der Tetrapoden (Vierbeiner) ausgehend von Fischen. Denn er lebte zwar wie Fische ausschließlich im Wasser, besaß aber Finger und damit ein typisches Vierbeiner-Merkmal. Eine detaillierte Neu-Untersuchung von 200 fossilen Acanthostega-Knochen und 14 Schädel-Fossilien dieser Gattung zeigte nun, dass es sich dabei fast ausnahmslos um Jungtiere handelt (Sanchez et al. 2016; vgl. Fröbisch 2016). Das macht die Beurteilung der Lebensweise der ausgewachsenen Formen schwieriger als sie ohnehin schon war. Die neuen Befunde sprechen dafür, dass die Tiere im Jugendstadium nicht in der Lage waren, an Land zu kriechen. Die Funde stammen von mindestens 20 Individuen und befinden sich alle von einem kleinen Areal der Britta-Dal-Formation des Oberdevons Ostgrönlands; Sanchez et al. (2916) vermuten, dass sie gemeinsam bei einer Dürre nach einer Schichtflut verendet sind. Anders als in populärwissenschaftlichen Darstellungen behauptet, ist das aber keine neue Erkenntnis. Denn schon bisher deuteten viele anatomische Merkmale darauf hin, dass Acanthostega ausschließlich wasserlebend war – trotz des Besitzes von acht Fingern, eine ungewöhnliche Merkmalskombination (vgl. zusammenfassende Darstellung bei Junker 2004). Gründe dafür waren u. a.: Die Bezahnung gleicht insgesamt zeitgenössischen Fleischflosser-Fischen und keinem Tetrapoden, der Schädel ist mit dem Schultergürtel relativ fest verbunden, Acanthostega ähnelt im Kiemenskelett kiemenatmenden Lungenfischen, die Wirbelsäule ist von vorne bis hinten auffallend gleichförmig, ähnlich wie bei Fischen wie dem Quastenflosser Eusthenopteron, eine Verbindung Becken-Wirbelsäule bestand vermutlich nur durch Bänder; die Hüfte konnte dadurch kaum das Körpergewicht tragen; insgesamt wirken die Extremitäten eher als Paddel denn als Füße (Clack 2002, 122-127; vgl. Zusammenfassung bei Junker 2004). Clack (2002, 124) stellt als Gesamteindruck fest: Fast alle Merkmale von Acanthostega legen ein ausschließliches Wasserleben nahe. Die relativ starren Extremitäten waren vermutlich gut geeignet, um mit kräftigen Paddelstößen plötzlich aus der Ufervegetation Beute zu erhaschen. Vermutlich lebte Acanthostega in vegetationsreichen Uferzonen, in denen eine tetrapodenartige Extremität passend war. Wie alle anderen oberdevonischen Tetrapoden ist auch Acanthostega ausschließlich zusammen mit Fischen fossil überliefert (Clack 2002, 110). Dass es sich um Jungtiere handelt, schließen die Forscher daraus, dass das Oberarmskelett der Tiere noch nicht verknöchert war. Außerdem zeigte eine Untersuchung der inneren Feinstruktur der Knochen mit einem Röntgensynchrotron, dass die Tiere zwar schon sechs Jahre und älter waren, ihre Beinknochen aber noch keine Anzeichen für eine Verlangsamung des Wachstums zeigten – ebenfalls ein Hinweis darauf, dass die Tiere noch nicht ausgewachsen waren. Ein knorpeliger Oberarmknochen wäre für die Bewegung an Land ungeeignet gewesen. Sanchez et al. (2016) stellten weiter fest, dass es zwei Größenklassen gab, möglicherweise bedingt durch Entwicklungs-Plastizität (d. h. unterschiedliche Ausprägungen werden durch verschiedene Umweltreize ausgelöst). Dass Acanthostega wasserlebend war, ist also nicht das Überraschende, wohl aber, dass es sich bei den (nur) in Grönland gefundenen Fossilien um Jungtiere handelt. Damit ist unklar, wie die erwachsenen Tiere ausgesehen haben, welche Rolle sie bei der Entstehung der Vierbeiner gespielt haben könnten und ob sie vielleicht doch auch an Land leben konnten. Die neuen Befunde stellen bisherige Hypothesen in Frage, wonach vermutet worden war, dass die Larven der ersten Tetrapoden die ersten Landgänger waren. Dazu waren die Acanthostega-Jungtiere jedenfalls kaum in der Lage. Zur Frage nach der Evolution der Vierbeiner steuern die neuen Befunde nichts Wesentliches bei, das nicht schon bekannt war. Es bleibt dabei, dass einzelne Merkmale markant verändert im Vergleich zu potentiellen Vorläufern auftauchen (z. B. im Bereich des Hirnschädels oder der Besitz von Fingern). Das Handgelenk von Acanthostega war späteren Tetrapoden sehr unähnlich (Clack 2002, 137). Neben Merkmalen, in denen Acanthostega abgeleiteter ist als das berühmte Ichthyostega (Carroll 1992, 60), gibt es auch Eigenschaften, bei denen das Umgekehrte zutrifft. Die Wangen und das Schädeldach sind bei Acanthostega und Ichthyostega fest verbunden, im Gegensatz sowohl zu den möglichen Fisch-Vorfahren als auch zu anderen frühen Tetrapoden (Carroll 1992, 60). Das heißt, evolutionär gesehen wäre hier ein Zickzackkurs gefahren worden. Carroll (1992, 60) bemerkt: Verschiedene Spezialisierungen schließen die Möglichkeit einer direkten Vorfahrenschaft für spätere Tetrapoden aus. Literatur Carroll RL (1992) The primary radiation of terrestrial vertebrates. Annu. Rev. Earth Planet. Sci. 20, 45-84. Clack JA (2002) Gaining ground. The origin and evolution of Tetrapods. Bloomington and Indianapolis: Indiana University Press. Fröbisch NB (2016) Evolution: Teenage tetrapods. Nature 537, 311-312. Junker R (2004) Vom Fisch zum Vierbeiner – eine neue Sicht zu einem berühmten Übergang. Teil 2: Ichthyostega, Acanthostega und andere Tetrapoden des höheren Oberdevons. Stud. Integr J. 11, 59-66. Sanchez S, Tafforeau P, Clack JA & Ahlberg PE (2016) Life history of the stem tetrapod Acanthostega revealed by synchrotron microtomography. Nature 537, 408-411. Autor dieser News: Reinhard Junker
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