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24.11.18 Ursuppe richtig gemischt? Große Sicherheit bei unklarer FaktenlageFür eine glaubwürdige Hypothese zum Ursprung des Lebens bedarf es eines realistischen Modells für die geochemischen Randbedingungen. Vor kurzem wurde in einer Publikation der Zeitschrift Astrobiology von Computersimulationen zu einem Szenario berichtet, in welchem Schwefeldioxid eine wichtige Rolle spielt. Die Untersuchungen wurden durchgeführt, um die Plausibilität eines früher beschriebenen Modells des Lebensursprungs (Patel et al. 2015) zu verbessern. Die Ergebnisse wurden kurz darauf auf der Internetseite wissenschaft.de kommentiert. Es zeigt sich einmal mehr, dass zwischen den tatsächlichen Inhalten wissenschaftlicher Artikel und der populärwissenschaftlichen Berichterstattung eine erhebliche Diskrepanz vorliegt: Den Lesern werden die Schwierigkeiten und spekulativen Annahmen von Modellen zum Ursprung des Lebens regelmäßig verschwiegen. Die Bezugnahme auf übernatürliche Kräfte in wissenschaftlichen Artikeln ist eher unüblich. In populärwissenschaftlichen Berichten verhält es sich jedoch manchmal anders, insbesondere dann, wenn es um die Frage nach dem Ursprung des Lebens geht. Vor einigen Monaten wurde auf der Internetseite wissenschaft.de in dem Text „Brodelnde Ursuppe“ (Burczyk 2018) kurz darüber berichtet, dass wichtige Hinweise auf die Chemie des Lebensursprungs erhalten wurden. Dabei war die Rede von „höllischen Verhältnissen“, die den Eindruck erwecken, dass „hier der Teufel kocht“. So dramatisch wie der Einstieg in den kurzen Text war allerdings der wissenschaftliche Befund, von dem berichtet wurde, bei weitem nicht. Es handelte sich lediglich um Resultate relativ trockener Computersimulationen zu möglichen geochemischen Bedingungen, die zur Zeit der ersten Lebensformen auf der Erde geherrscht haben sollen (Ranjan et al. 2018). In dem Fachartikel wurde anhand von rein theoretischen Berechnungen die Hypothese aufgestellt, dass dem Gas Schwefeldioxid eine wichtige Rolle bei der Entstehung der chemischen Systeme des Lebens zukomme. Das Ziel der Arbeit war eine Verbesserung der Plausibilität des Lebensursprungs-Modells von Patel et al. (2015). Dass dieses Modell auf falschen Voraussetzungen gegründet ist und folglich irreführende Schlussfolgerungen gezogen wurden, hat Herkert (2015) treffend analysiert. Unter anderem wurde von Patel ohne stichhaltige Begründung angenommen, dass das Hydrogensulfidion (HS-) eine wesentliche Rolle in den ersten chemischen Netzwerken, aus denen drei der wichtigsten Bausteine des Lebens (Nukleotide, Lipide und Aminosäuren) hervorgegangen sein sollen, gespielt habe. Nun ging auch aus den Berechnungen von Ranjan et al. hervor, dass die Anreicherung urzeitlicher Gewässer mit Hydrogensulfid-Salzen nicht ausreichend gewesen sein dürfte, weswegen SO2 als alternative Schwefel-Quelle angenommen wurde. Die Berechnungen von Ranjan et al. sind dabei alles andere als trivial und betreffen chemische Gleichgewichte und Zusammensetzungen der Atmosphäre und der Gewässer. Dabei ist eine Vielzahl an Parametern wie UV-Strahlung, pH-Wert, chemische Reaktionen, Temperatur, Löslichkeit in Wasser, Vorkommen bestimmter Mineralien etc. zu berücksichtigen. Selbst heute dürfte eine genaue Erklärung und Vorhersage der Dynamik von Atmosphäre und Geosphäre eine fortwährende Herausforderung für viele Expertenteams sein – wie viel mehr gilt das für Zustände, die lange vor unserer Zeit liegen und deren genaue Bedingungen unbekannt sind. Daher konnten die Autoren um Ranjan es nicht vermeiden, für ihre Berechnungen starke Vereinfachungen anzunehmen. So gehen sie z. B. davon aus, dass das Gewässer, in dem die chemischen Bestandteile des Lebens entstehen, absolut homogen ist – eine unrealistische, aber für das erhoffte Ergebnis nötige Voraussetzung. Es wurden noch weitere gewagte Annahmen gemacht, z. B. ein hoher atmosphärischer CO2- Gehalt von 0,9% (heute: 0,04%), damit die Berechnung am Ende zum gewünschten Ergebnis führt, worauf hier nicht detailliert eingegangen werden soll. Jedoch kann festgehalten werden, dass die Schlussfolgerungen des Artikels keineswegs zuverlässig sind. Die Autorin des Berichts auf wissenschaft.de erwähnt solche solche „Details“ allerdings mit keinem Wort. Sie beschreibt die Schlussfolgerungen von Ranjan et al., als gäbe es keinen Grund, sie zu hinterfragen. Dabei wird das gängige erdgeschichtliche Narrativ erneut, wie so oft in vergleichbaren Artikeln, mantraartig wiederholt: Zu Beginn enthielt die Atmosphäre keinen Sauerstoff, es gab eine intensive Aktivität der Vulkane, die eine große Vielfalt an chemischen Verbindungen ausspien. Die Moleküle bildeten anschließend lebenswichtige Bausteine usw. Dass dieser hypothetische Verlauf auf vielen unbegründeten Annahmen und Spekulationen beruht, kommt dabei nicht zur Sprache. Der Artikel von Ranjan et al. ist ein weiteres gutes Beispiel dafür, wie erwünschte Ergebnisse mithilfe passender Annahmen erzeugt werden. Die spekulative Natur der Arbeit von Ranjan et al. hätte in dem Bericht auf wissenschaft.de im Sinne einer objektiven und der Wahrheitssuche dienenden Berichterstattung zumindest erwähnt werden müssen. So aber bestätigt sich ein weiteres Mal die erhebliche Kluft zwischen tatsächlichen Befunden der Lebensursprungsforschung und ihrer unrealistisch optimistischen Wiedergabe in populärwissenschaftlichen Artikeln. Literatur Burczyk J (2018) Brodelnde Ursuppe. https://www.wissenschaft.de/bildervideos/bild-der-woche/brodelnde-ursuppe/, abgerufen am 11. 10. 2018. Herkert J (2015) Herkunft von RNA, Proteinen und Fettsäuren aufgeklärt? Studium Integrale Journal 22, 114-116. (http://www.wort-und-wissen.de/sij/sij222/sij222-10.html) Patel et al. (2015) Common origins of RNA, protein and lipid precursors in a cyanosulfidic protometabolism. Nat. Chem. 7, 301-307. Ranjan S et al. (2018) Sulfidic anion concentrations on early earth for surficial origins-of-life chemistry. Astrobiology 18, 1023-1040. Autor dieser News: Boris Schmidtgall
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