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29.07.19 DNA als Retter der RNA-Welt-Hypothese?Ungeachtet ihrer Beliebtheit weist die RNA-Welt-Hypothese als Erklärung des Ursprungs der ersten Organismen große Defizite auf. Im Sinne einer Ergänzung dieser Hypothese veröffentlichte die Forschungsgruppe um Oliver Trapp eine Arbeit zur präbiotischen Synthese von Desoxy-Nukleosiden (DNA-Bausteine). Diese Arbeit wurde auf der populärwissenschaftlichen Seite scinexx recht euphorisch kommentiert und als Erklärung für den natürlichen Ursprung der DNA vorgestellt. Eine genauere Analyse zeigt jedoch, dass sich ein gänzlich anderes Bild ergibt. Nach Ansicht der meisten Lebensursprungs-Forscher stellten sich selbst vervielfältigende molekulare Systeme auf der Basis von RNA-Molekülen das Vorstadium zu den ersten Organismen dar. Die RNA gilt als der beste Kandidat für einen möglichst einfachen Ursprung des Lebens, weil sie als einziges Biomolekül zugleich zwei wichtige Eigenschaften in sich vereint: sowohl die Fähigkeit zur Informationsspeicherung und -übertragung als auch zur Katalyse (Beschleunigung) bestimmter chemischer Reaktionen. Damit wären zumindest hypothetisch chemische Verbindungen in einer „RNA-Welt“ vorhanden, die sowohl Stoffwechsel als auch Vererbung ermöglichen (Gilbert 1986). Allerdings sind gravierende Schwächen des RNA-Welt-Modells in der Fachwelt allgemein bekannt. Weder für die Möglichkeit der Entstehung der notwendigen Bausteine der RNA, der Ribonukleotide, noch für ihre anschließende Polymerisation (Verknüpfung) zu RNA-Strängen sind plausible präbiotische Bedingungen aufgezeigt worden. Noch weit größer ist die Herausforderung, die anschließend erforderliche Replikation (Vermehrung) der RNA in einem wässrigen, annähernd natürlichen Milieu zu realisieren. Das Kernproblem dabei ist die ausgeprägte Labilität sowohl der RNA-Bausteine als auch des Makromoleküls RNA selbst in wässriger Lösung. Behauptungen, dass diese Probleme schon gelöst seien, sind nicht überzeugend, denn die Publikationen, auf die dabei oft verwiesen wird (Powner 2009, Ferris 2006, Deck 2011), beschreiben Kunstgriffe, die auf chemischer Erfahrung beruhen und die keinerlei Bezug zu realistischen Bedingungen auf einer Erde haben. Diese offenkundigen Schwächen des RNA-Welt-Modells veranlassen Forscher immer wieder dazu, das bestehende Modelle abzuwandeln oder neue Ideen für einen hypothetischen Anfang des Lebens zu entwickeln. Kritische Kommentare dazu wurden bereits früher publiziert (Binder 2009, Schmidtgall 2014). Eine Möglichkeit, die bereits früher erwogen worden ist, besteht in der stabilisierenden Wirkung des chemisch verwandten Biopolymers der RNA, der DNA (Lindahl 1993). Allerdings galt ihre Entstehung bisher als problematisch, weil nach den gängigen Vorstellungen DNA aus RNA gebildet worden sein soll und dazu das komplexe Enzym Ribonukleotid-Reduktase erforderlich ist. Dieses entfernt die Hydroxy-Gruppe an der 2‘-Position der Ribose und wandelt sie in 2-Desoxyribose um (Abb. 405). Das wäre aber kein einfacher Anfang des Lebens. Die scinexx-Autorin bezog sich in ihren Ausführungen auf einen kürzlich in der chemischen Fachzeitschrift Angewandte Chemie erschienenen Artikel der Forschungsgruppe um Oliver Trapp (Teichert et al. 2019). In diesem Artikel ist allerdings an keiner Stelle die Rede davon, dass tatsächlich DNA entstanden sei. Die Autoren der Originalarbeit befassten sich ausschließlich mit der Entstehung von DNA-Nukleosiden – das heißt den Einzelbausteinen der Erbsubstanz – durch Reaktion dreier chemischer Verbindungen (Nukleobasen, Acetaldehyd und D-Glyceraldehyd, Abb. 406). Dass sich die Einzelbausteine anschließend zur DNA zusammenzufügen, ist aber alles andere als selbstverständlich. Man könnte geneigt sein, der scinexx-Autorin einen Schreibfehler zu unterstellen, wenn im Rest des Artikels eine auch nur ansatzweise kritische Reflektion der Originalarbeit erkennbar wäre. Dies ist allerdings nirgendwo der Fall. Weiter heißt es in dem scinexx-Artikel, dass für den entscheidenden Schritt zum DNA-Gerüst „normale Reaktionsbedingungen“ ausreichend seien, wobei hier mit „normal“ so viel wie „nah an natürlichen Bedingungen“ bedeutet. Diese Aussage ist nur zum Teil richtig. Es trifft zwar zu, dass die Versuchsbedingungen im Vergleich zu vielen anderen Simulationen der Entstehung von Makromolekülen des Lebens relativ einfach waren. Die Versuche wurden in wässrigem Milieu durchgeführt und es wurden keine zwischenzeitlichen Aufreinigungsschritte von Zwischenprodukten vorgenommen. Auch waren keine Veränderungen der Temperatur oder anderer Parameter (pH, Konzentration) nötig. Das klingt in der Tat nach einem beachtlichen Erfolg auf der Suche nach einem plausiblen Szenario für den Ursprung erster Biomoleküle. Allerdings fällt bei näherer Betrachtung der experimentellen Details auf, dass die Versuche geradezu meisterhaft geplant wurden, um DNA-Nukleotide zu erhalten. Es bedarf keiner vertieften Erörterung, dass die Verwendung hochreiner chemischer Verbindungen (Nukleobasen, Acetaldehyd und D-Glyceraldehyd) in demineralisiertem Wasser – wie in den Versuchen von Teichert et al. geschehen – keineswegs eine Nähe zu natürlichen Bedingungen darstellt. Zudem wurden die Versuche stets in geschlossenen Ampullen durchgeführt, da anderenfalls der flüchtige Acetaldehyd (Siedepunkt 20 °C) aus der Reaktionsmischung schnell entweichen würde. In dem Originalartikel wird der Einsatz geschlossener Ampullen damit begründet, dass auf der frühen Erde ein deutlich höherer Atmosphärendruck geherrscht haben soll – eine kaum überprüfbare Vermutung. Außerdem wurde mit D-Glyceraldehyd gezielt ein Molekül gewählt, das von seiner geometrischen Beschaffenheit (Konfiguration) her für das anvisierte Resultat genau passend ist. Das Spiegelbild-Molekül L-Glyceraldehyd findet weder in dem scinexx-Artikel noch in der Publikation von Teichert et al. Erwähnung, obwohl dessen Entstehung unter natürlichen Bedingungen genauso wahrscheinlich ist wie diejenige des D-Glyceraldehyds. Die Verwendung von L-Glyceraldehyd anstelle des D-Glyceraldehyds ist problematisch, weil seine entsprechende Reaktion Nukleoside hervorbringt, die für die Bildung von Erbmolekülen aufgrund ihrer Geometrie ungeeignet sind. Selbst wenn der L-Glyceraldehyd nur einen Teil des Gemischs ausmacht, würde das die Synthese von funktionsfähigen DNA-Molekülen wirksam verhindern. Für einen erfolgreichen Reaktionsverlauf ist es also nötig, dass der D-Glyceraldehyd in reiner Form vorliegt. Hier wird also das Problem der Entstehung enantiomerenreiner (nur D-Form oder nur L-Form liegt vor) chemischer Verbindungen ohne gezielte Steuerung durch einen Experimentator schlicht übergangen. Dabei ist jedem Chemiker bekannt, dass die Herstellung enantiomerenreiner chemischer Verbindungen selbst mit fortschrittlichen Methoden der Synthesechemie oft eine Herausforderung ist. Die angebliche Spezifität der von Teichert et al. aufgezeigten Synthese wird auch durch mögliche Reaktionen mit anderen Carbonylverbindungen eingeschränkt. Warum sollten neben D-Glyceraldehyd nicht auch andere Aldehyde vorhanden sein und damit den resultierenden Cocktail in seiner Zusammensetzung komplex werden lassen? Im Hinblick auf die beabsichtigte Synthese von DNA wäre ein solches Gemisch unbrauchbar. Ein weiteres Problem sind die Ausbeuten der von Teichert et al. veröffentlichten Reaktionen. Während in dem scinexx-Artikel behauptet wird, dass die Ausbeuten „ausreichend“ seien, sieht es in der Originalarbeit nach einem eher dürftigen Ergebnis aus. Die angesprochene Reaktion wurde für alle vier kanonischen Nukleoside durchgeführt. Dabei ergaben sich für drei 2‘-Desoxy-Nukleoside (Adenosin, Guanosin, Thymidin) Ausbeuten von unter einem Prozent. Nur im Fall von 2‘-Desoxy-Cytidin lag die Ausbeute bei immer noch mageren 2,5%. Angesichts des schwerwiegenden präbiotischen „Verdünnungsproblems“ sind diese Resultate in keiner Weise überzeugend. Es ist noch wichtig zu erwähnen, dass die Reaktion in Gegenwart von Magnesium-Salzen kaum abläuft, wie der Originalliteratur entnommen werden kann. Das aber bedeutet, dass ein in der Erdkruste häufig vorkommendes Ion abwesend sein müsste, damit die Reaktion stattfindet – ein praktisch unüberwindbares Problem für dieses hypothetische Szenario der Entstehung der Bausteine der DNA. Schließlich stellt sich die Frage, warum Teichert et al. die Entstehung von DNA-Bausteinen ohne angefügte Phosphatgruppen simulierten. Denn ohne Phosphatgruppen ist die Weiterreaktion der Bausteine zu DNA-Makromolekülen absolut ausgeschlossen. Es ist bezeichnend, wie dieses Thema auf der Seite von scinexx dargestellt wurde. Zum einen wurden die Ergebnisse des Originalartikels beschönigt bis hin zu glatten Falschaussagen. Zum anderen wurden kritische Aspekte der Originalarbeit komplett ausgeblendet. Auf diese Weise wirkt der Kommentar manipulativ und nicht im Sinne einer ausgewogenen Berichterstattung. Denn die Originalarbeit von Teichert et al. liefert kein gutes Argument für eine mögliche Entstehung von DNA noch von Desoxy-Nukleosiden unter plausiblen präbiotischen Bedingungen. Vielmehr verdeutlicht die Arbeit erneut, dass Moleküle des Lebens nur mithilfe von ausgefeilter Experimentierkunst hergestellt werden können. Quellen Benner SA (2013) Asphalt, Water, and the Prebiotic Synthesis of Ribose, Ribonucleotides and RNA. Acc. Chem. Res. 12, 2025-2034. Binder H (2009) Neue Synthese für Nukleinsäure-Bausteine- ein plausibler Weg zu ersten Nukleinsäuren? Stud. Integr. J. 16, 111-113. Deck C, Jauker M & Richert C (2011) Efficient enzyme-free copying of all four nucleobases template by immobilized RNA. Nature Chemistry 3, 603-608. Ferris JP & Huang W (2006) One-Step, Regioselective Synthesis of up to 50-mers of RNA Oligomers by Montmorillonite Catalysis. J. Am. Chem. Soc. 128, 8914-8919. Gilbert W (1986) The RNA world, Nature 319, 618. Lindahl T (1993) Instability and decay of the primary structure of DNA. Nature 362, 709-715. Powner MW, Gerland B & Sutherland JD (2009) Synthesis of activated pyrimidine ribonucleotides in prebiotically plausible conditions. Nature 459, 239-242. Schmidtgall B (2014), RNA-Welt: Krise überwunden? Stud. Integr. J. 21, 22-28. Teichert JS, Kruse FM & Trapp O (2019) Directed prebiotic pathway of DNA nucleosides. Angew. Chem. 131, 10049-10052; Angew. Chem. Int. Ed. 58, 9944-9947. Autor dieser News: Boris Schmidtgall
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