09.03.20 Supergene ermöglichen eine sehr schnelle Veränderung
Das Beispiel des Sexualpolymorphismus beim Kampfläufer
Biologische Variation beruht nicht nur auf langsamer und allmählicher Anhäufung von genetischen Mutationen, wie es dem Neodarwinismus entspricht, sondern kann auch durch große DNA-Blöcke – sogenannte Supergene – moduliert werden. Dabei sind eine oder wenige genetische Veränderungen erforderlich, damit neue Phänotypen ausgeprägt werden können.
Im Jahr 2017 traf sich eine internationale Gruppe von Evolutionsbiologen in Groningen, Niederlande, um die neuesten Erkenntnisse auf ihrem Gebiet zu besprechen. Zu den Organismen, über die sie berichteten, gehörten Kampfläufer, Honigbienen und Zebrafische. Eine große Überraschung, die auf diesem Kongresses präsentiert wurde, war der Befund, dass diese Organismen alle über einen eingebauten Mechanismus – die Wissenschaftszeitschrift Science nannte es eine „Geheimwaffe“ – verfügen, um ihre „Evolution“ zu lenken (Pennisi 2017). Die Biologen beschrieben in allen Fällen die gleichen genetischen Module, sog. Supergene, die es den Organismen ermöglichen, blitzschnell neue Eigenschaften abzurufen.
Kragen und Haube
Kampfläufer sind etwa 30 cm große Wiesenvögel. Wie der Kiebitz und die Uferschnepfe werden sie zu den Watvögeln gezählt und sind wie diese in den letzten Jahrzehnten immer seltener geworden. Wer schon einmal eine Gruppe von Kampfläufern gesehen hat, dem ist sicher aufgefallen, dass es große Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Tieren gibt. Biologen nennen dieses Phänomen „Sexualdimorphismus“. Männliche Kampfläufer haben einen auffälligen Federkragen und eine Haube, die sie von Zeit zu Zeit eindrucksvoll aufrichten. Bei den Weibchen fehlen Kragen und Haube vollständig.
Fast ebenso auffällig sind die großen Unterschiede zwischen den Kragen verschiedener Männchen. Es gibt zwei auffallend unterschiedliche Varianten bei den Männchen, die vor allem die Farbe ihrer Kragen betreffen. Einige Männchen besitzen einen weißen Kragen, der sich deutlich vom grünen Gras abhebt. Die Mehrheit der Männchen hat jedoch einen rötlich-braunen Kragen. Darüber hinaus gibt es männliche Kampfläufer, die den Weibchen sehr ähnlich sehen, weil sie keinen Kragen und keine Haube haben. Biologen haben diese weiblich aussehenden Männchen erst vor einigen Jahrzehnten entdeckt. Die Männchen mit Kragen konkurrieren um die Gunst der Weibchen, während die Männchen ohne Kragen ohne Auseinandersetzung auskommen. Da sie den Weibchen sehr ähnlich sind, können sie sich heimlich anschleichen und sich ungehindert – ohne Rituale der Kämpfer – mit den Hennen paaren. Diese drei klar definierten männlichen Varianten kommen in allen Populationen in ungefähr gleichen Anteilen vor. Die Variation bei den Männchen scheint also erblich bedingt zu sein. Bis vor kurzem war der Ursprung dieser Variation unbekannt, aber dank der Molekularbiologie weiß man jetzt, wie sie entsteht.
Das Super-Gen
Das Erbgut der Kampfläufer enthält eine enorme Menge an Information, die die Merkmale des Vogels betreffen. Diese Information ist auf der DNA der Chromosomen gespeichert. Biologen haben herausgefunden, dass die Ausrichtung dieser Information auf den Chromosomen von großer Bedeutung zu sein scheint. Es stellte sich nämlich heraus, dass bei den Männchen ohne Kragen ein großes Stück DNA in umgekehrter Reihenfolge auf Chromosom 11 angeordnet ist. Dabei handelt es sich um einen DNA-Abschnitt mit mehr als 4 Millionen Nukleotiden (DNA-Buchstaben), der Dutzende von Genen enthält und als eine einzige funktionelle Einheit an die Nachkommen weitergegeben wird. Ein solches genetisches Modul wird als Supergen bezeichnet. Dieses Supergen trägt die Information für die typischen männlichen Merkmale der Kampfläufer, einschließlich des farbigen Kragens. Wenn das Supergen umgekehrt angeordnet ist, verschwinden diese äußeren Merkmale, aber die Information selbst geht nicht verloren. Bei den kragenlosen Männchen wurden die typischen äußeren Merkmale also durch eine Chromosomeninversion abgeschaltet.
Diese Veränderungen („Evolution“) beim Kampfläufer werden am besten als Positionseffekte der bereits vorhandenen genetischen Information interpretiert. Positionseffekte sind oft epigenetischer Natur und lassen sich leicht als veränderte Ausprägung einer bereits vorhandenen genetischen Information erklären. In diesem speziellen Fall wird die Ablesung des Supergens sogar vollständig unterdrückt, was dazu führt, dass die Männchen wie Weibchen aussehen. Diese Veränderung findet ohne die Notwendigkeit neuer genetischer Information statt. Der Prozess erfordert keine Millionen von Jahren der Selektion, da er auf einer einzigen genetischen Veränderung, nämlich der Inversion des Supergens, beruht. Es handelt sich also um eine sofort eintretende Änderung, die unmittelbar stattfindet, mit direkten Folgen für die Nachkommenschaft.
Überall Supergene
Wenn man die genetischen Grundlagen für bestimmte Merkmale genauer untersucht, findet man in vielen Fällen Supergene. Im Erbgut von Honigbienen, Singvögeln und Zebrafischen werden ähnliche modulartige Supergene zur Erzeugung von Variation verwendet. Immer wieder kann man feststellen, dass ein oder mehrere DNA-Abschnitte umgekehrt im Erbgut ausgerichtet sind. Es ist offenbar ein allgemeines genetisches Prinzip, das es ermöglicht, neue Varianten und Arten auf einfache, aber superschnelle Weise hervorzubringen, ohne dass neue genetische Information benötigt wird. Solche Veränderungen dauern also nicht Millionen von Jahren.
In der Vergangenheit wurde diese Art des schnellen Wandels von manchen Biologen vorhergesagt. Bemerkenswerterweise nahmen diese Biologen nicht den Darwinismus, sondern biologische Beobachtungen zum Ausgangspunkt. Der Zellbiologe John A. Davison (1930-2012) fasste diese Beobachtungen unter der Bezeichnung „vorgeschriebene Evolutionshypothese“ („prescribed evolutionary hypothesis“) zusammen, und Todd und Kolnicky entwickelten die „Karyotyp-Spaltungstheorie“ („karyotype fission theory“) (Borger 2018). Nach beiden Theorien entstehen neue Eigenschaften durch eine Neuanordnung des Erbguts, d. h. durch Positionseffekte. Außerdem wird die neue Ausrichtung eine völlig andere epigenetische Steuerung der Gene bewirken.
Die Genetik der Lebewesen erscheint zum Teil wie ein vorgefertigter Baukasten, wie Legosteine. Mit einer begrenzten Anzahl von Bausteinen kann man viele verschiedene Formen realisieren. Auf die gleiche Weise kann man mit einer begrenzten Anzahl von genetischen Modulen eine enorme Menge an Variation erzeugen. Die Molekularbiologie zeigt einmal mehr, wie schön und wunderbar das Leben geschaffen worden ist.
Quellen
Pennisi E (2017) ‘Supergenes’ drive evolution. Science 357, 1083. http://science.sciencemag.org/content/357/6356/1083.full
Borger P (2018) Darwin Revisted. Scholars Press. https://www.amazon.de/Darwin-Revisited-understand-biology-century/dp/6202315113
Der Autor veröffentlichte einen ähnlichen Artikel auf Holländisch für Weet (Weet 2018; 49:22)
Autor dieser News: Peter Borger Informationen über den Autor
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