04.02.21 Wie fliegt ein Schmetterling?
Die flatternden Sommervögel haben unter den Insekten einen ganz eigenen Flugstil. Mit Ihren großflächigen Flügeln scheinen sie eher ziellos und zufällig hin und her zu flattern. Wie aber funktioniert der Flug der Schmetterlinge? Wie erzeugen die Vor- und Auftrieb? Interessante Experimente geben Einblicke in einige der zugrundeliegenden aerodynamischen Prozesse.
Ein Schwalbenschwanz (Papilio machaon) der eben noch auf einer Blüte ruhte, hat sich mit wenigen Flügelschlägen erhoben und flattert mit eingestreuten Segeleinlagen dem Wegrain entlang. Wie erheben sich diese filigranen Insekten in die Luft und nach welchen Prinzipien funktioniert diese zufällig scheinende Luftfahrt? Diese Frage kann man nach derzeitigem Wissenstand nur ansatzweise beantworten; hier werden einige Beobachtungen und Einsichten zusammengestellt, die zum Nachdenken anregen und zu eigenem Beobachten ermutigen sollen.
Otto Liliental, einer der Flugpioniere, hat gemeinsam mit seinem Bruder Gustav bereits als Schüler mit intensiven Studien des Vogelflugs begonnen. Daraus haben sie Modelle zum Schlagflug (Fliegen mit sich auf und ab bewegenden Flügeln) entwickelt und dazu auch experimentelle Untersuchungen durchgeführt. Schließlich entwickelten sie erste Flugapparate mit starren und gewölbten Tragflächen, mit denen sie den Gleitflug großer Vögel nachahmen konnten (Lilienthal 1889). Bis heute ist der Vogelflug Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen, weil man sich noch viele spannende und technisch nutzbare Entdeckungen verspricht.
Der Insektenflug unterscheidet sich vom Vogelflug nicht nur aufgrund der unterschiedlichen Dimensionen an Masse und der Größe sowie an den eingesetzten Materialien; dabei kommen auch andere aerodynamische Prinzipen ins Blickfeld und gewinnen an Einfluss. Die hauptsächlich aus Chitin1 bestehenden flexiblen Insektenflügel werden typischerweise mit hoher Frequenz geschlagen und damit Vor- und Auftrieb erzeugt. Schwebfliegen und Libellen sind mit ihren nicht durch Muskelkraft aktiv veränderbaren Flügeln zu ganz erstaunlichen und faszinierenden Flugmanövern fähig.
Die meisten Schmetterlinge weichen in ihrem typischen Körperbau von dem anderer Insekten ab. Ein schmaler kleiner Körper trägt vier großflächige Flügel, die in der Regel auf jeder Seite paarweise synchron auf und ab bewegt werden. Die aus einer Chitin-Doppelmembran bestehenden Flügel sind mit Adern durchzogen und mit einer unüberschaubar großen Zahl winziger Schuppen bedeckt. Diese sind nur lose an der Chitin-Membran angeheftet. Im Flug nutzen Schmetterlinge ihre Flügel typischerweise mit einer niedrigen Frequenz von z.B. 15 Hz. Das Taubenschwänzchen (Macroglossum stellatarum), das im Schwirrflug, wie ein Kolibri an einer Blüte steht, schlägt die Flügel mit ca. 80 Hz. Die meisten Schmetterlinge zeigen auch einen typisch schaukelnden Flug, der auf den ersten Blick wenig zielgerichtet und effizient erscheint (obwohl Wanderfalter, wie z.B. der Monarchfalter [Danaus plexippus] große Strecken mit extremer Effizienz zurücklegen können).
Wie also fliegt ein Schmetterling, was sind die dabei genutzten Mechanismen? Mit großem experimentellen Aufwand untersuchten Fuchiwaki et al. (2013) mit an den Beinen auf einem kleinen Träger fixierte Distelfalter (Cynthia cardui) und Weiße Baumnymphen (Idea leuconoe) im Windkanal. Dabei kamen Hochgeschwindigkeitskameras, Laserlichtquellen und sehr leichte, kleinste Kunststoffkügelchen (10µm Durchmesser) zum Einsatz, um Luftwirbel dokumentieren zu können. Die an technischen Instituten in Japan arbeitenden Wissenschaftler wollten Informationen zur Verbesserung technischer Kleinstfluggeräte wie Mini-Drohnen gewinnen. Sie konnten – mit erheblichem mathematischem Aufwand – dokumentieren, dass sich beim Auf- und Abschlag der Schmetterlingsflügel an den Flügelkanten ringförmig geschlossene, schlauchartige Wirbel ausbildeten, die sich an den Umkehrpunkten der Flügel von denselben ablösten. Das war bei beiden Schmetterlingsarten gleich, die Form der Wirbelschläuche war aber entsprechend der unterschiedlichen Flügelgröße und -umrisse verändert. Diese Luftwirbelschläuche an den Flügelkanten tragen nach den Erkenntnissen der Autoren mit zum Flugverhalten der Falter bei.
Johansson & Henningsson, zwei schwedische Biowissenschaftler eines Ökologischen Instituts, untersuchten in einem vergleichbaren Experiment frei fliegende Exemplare des Kaisermantels (Argynnis paphia) im Windkanal. Dabei kamen mehrere Hochgeschwindigkeitskameras zum Einsatz, was einen entsprechend höheren Rechenaufwand erforderte. Bei dieser Studie (Johansson & Henningsson 2021) starteten die Schmetterlinge im Windkanal von einer Startplattform aus gegen einen Luftstrom von ca. 2 m s-1. Beim Aufschlag der Flügel bilden die flexiblen Flügelflächen, kurz bevor sie oben zusammenschlagen, eine tassenförmige Struktur, deren Öffnung nach hinten gerichtet ist. Wenn die Flügelflächen aufeinander klatschen, ergibt sich ein nach hinten gerichteter Luftstrom, der für den Schmetterling einen Vortrieb bewirkt. Die Untersuchung ergab, dass der Flügelaufschlag bei Kaisermantel in der allerletzten Phase, kurz vor dem Zusammenklatschen der Flügel, den Vortrieb erzeugt. Der Abschlag dagegen dient vor allem als Gegenkraft zur Gravitation, d.h. die Körpermasse des Schmetterlings wird dabei ausgeglichen. Die Autoren betonen, dass damit der schaukelnde und scheinbar wenig effiziente Flug des Kaisermantels in einem neuen Licht erscheint. Im Vergleich zu Modellen mit starren Flügeln bringt die aufgrund der Flexibilität der Flügel erzeugte tassenförmige Struktur einen um 22 % höheren Impuls im Vortrieb und eine um 28 % gesteigerte Effektivität beim Fliegen. Auch diese Autoren bemerken abschließend in ihrer Veröffentlichung, dass diese neu gewonnenen Erkenntnisse zur Verbesserung von Flugrobotern genutzt werden können.
Die hier angeführten Einsichten könnten uns dazu herausfordern, Schmetterlingen nicht nur aufgrund ihrer vielfältigen Farbenpracht oder ihres Nutzens durch ihre Bestäubertätigkeit aufmerksam und genau zu beobachten. Es wird deutlich, wie viel uns bei den bisherigen Beobachtungen verborgen geblieben und deshalb noch zu entdecken ist. Es kann uns aber auch zum Staunen bringen und nachdenklich machen, wenn wir hier – wie auch an vielen anderen Beispielen – erkennen, wieviel Detailwissen und vielfältige Prinzipien in Lebewesen verwirklicht sind. Wer dies wahrnimmt, kann auch bedenken, was ein alter Prophet in Israel sagt: Er ist es, der die Erde gemacht hat durch seine Kraft, der den Erdkreis gegründet durch seine Weisheit und den Himmel ausgespannt durch seine Einsicht (Jer. 10,12).
Anmerkung
1 Ein Polysaccharid ähnlich der Cellulose; der Monomerbaustein besteht anstelle von Glucose aus N-Acetylglukosamin.
Literatur
Fuchiwaki M, Kuroki T, Tanaka K & Tababa T (2013) Dynamic behavior of the vortex ring formed on a butterfly wing. Exp. Fluids 54, 1450–1461.
Johansson LC & Henningsson P (2021) Butterflies fly using efficient propulsive clap mechanism owing to flexible wings. J. R. Soc. Interface 18: 20200854; doi.org/10.1098/rsif.2020.0854
Lilienthal O (1889) Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin. https://www.deutschestextarchiv.de/book/show/lilienthal_vogelflug_1889
Autor dieser News: Harald Binder Informationen über den Autor
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