28.06.21 Ambopteryx: Dinosaurier mit Fledermausflügeln?
Eine Merkmalskombination aus Flughäuten und Federn – gleichsam ein Mix aus Fledermaus und Vogel – hätte man früher bei realen Lebewesen im Rahmen von Evolutionstheorien ausgeschlossen. Die beiden fossilen Arten Yi qi und Ambopteryx longibrachium weisen aber eine solche Kombination auf – allerdings nicht mit echten, flächigen Federn. Beide Arten werden zur Dinosaurier-Gruppe der vermutlich in Bäumen lebenden Scansoriopterygidae („Kletterflügel“) gestellt. Ihre Existenz wirft für evolutionstheoretische Modelle einige schwerwiegende Fragen auf.
Als Kriterium für Wissenschaftlichkeit gilt weithin Falsifizierbarkeit. Das heißt: Es sollten Befunde denkbar sein, die der aufgestellten Hypothese widersprechen und ihre Änderung oder Verwerfung erfordern. Allerdings funktioniert dieses Kriterium bei naturhistorischen Hypothesen kaum und wird in der Praxis auch nicht so gehandhabt (vgl. Junker 2021a). Das gilt auch für Evolutionshypothesen, wie das Beispiel der Hypothesen zur Entstehung des Vogelflugs eindrucksvoll zeigt (Junker 2021b). Es können zudem viele Beispiele von Vorhersagen im Rahmen von Evolutionstheorien genannt werden, die nicht eingetreten sind, ohne dass Evolution als Rahmenparadigma angetastet wurde. Innerhalb dieses Deutungsrahmens gibt es zwar häufig Änderungen im Detail, aber der Rahmen selbst steht nicht zur Disposition.
Zu den von der Standard-Evolutionstheorie (StET) gleichsam verbotenen Befunden gehört laut Beyer (o. J.) das „unabhängige Auftreten spezifischer Ähnlichkeiten. … Daher dürfen mehrteilige und komplizierte Merkmalskomplexe … wie die Vogelfeder, der Wirbeltierknochen oder die Wirbeltierextremität nicht mehrfach und voneinander unabhängig entstanden sein. Falls man derlei findet (z. B. die erwähnte ‚Fledermaus mit Vogelfedern‘), wäre dies ein extrem starkes Falsifikationskriterium für die StET.“
Wenn es so wäre, wären die beiden zur Dinosauriergruppe der baumbewohnenden Scansoriopterygidae („Kletterflügel“) gestellten Gattungen Yi und Ambopteryx ein schwerwiegendes Problem für die Standard-Evolutionstheorie. Im Jahr 2015 war Yi qi („merkwürdiger Flügel“) beschrieben worden (Xu et al. 2015). Yi besaß einen bei anderen Dinosauriern bislang unbekannten langen stabförmigen Knochen, der vom Handgelenk ausging und an dem vermutlich eine Flughaut aufgespannt war, die wahrscheinlich einen Gleitflug ermöglichte. Wie bei anderen Scansoriopterygiden war der dritte Finger verlängert. Darüber hinaus wurden aber auch „Federn“ nachgewiesen – allerdings keine flächigen flugtauglichen Federn, sondern dünne, büschelige, pinselartige Fasern, die kaum eine aerodynamische Bedeutung haben konnten. Die Bezeichnung „Feder“ ist fragwürdig und tendenziös, denn sie ist nicht durch den morphologischen Befund begründet, sondern motiviert durch evolutionstheoretische Hypothesen zur Federentstehung ausgehend von haarartigen Körperbedeckungen bei Dinosauriern. So gesehen könnte also in Bezug auf eine Falsifikation einer Entstehung durch Evolution auch in dieser Hinsicht Entwarnung gegeben werden.
Neuer Fund. Nun wurde eine weitere Gattung mit dieser ungewöhnlichen Merkmalskombination von Flughaut, langem stabförmigem Knochen, langem dritten Finger und haarartigen „Federn“ entdeckt – Ambopteryx longibrachium (Wang et al. 2019), wie Yi in Schichten des Oberjura geborgen (163 Millionen radiometrische Jahre und damit älter als der „Urvogel“ Archaeopteryx). Die „Federn“ sind dicht um den Kopf, den Hals und die Schulterregionen erhalten. Der Gattungsname bedeutet „zweifach geflügelt“. Um den stabförmigen Knochen ist membranartiges Gewebe erkennbar. Die auffallenden Ähnlichkeiten mit Yi rechtfertigen die Zuordnung zu den Scansoriopterygiden. Ambopteryx weist aber auch deutliche Unterschiede zu Yi auf. Beispielsweise ist der leicht gebogene und sich verjüngende stabförmige Knochen anders als bei Yi kürzer als der Oberarmknochen. Die gerade Elle ist kürzer als der Oberarmknochen und hat fast den doppelten Durchmesser im Vergleich zur Speiche, was in starkem Kontrast zum geringen Unterschied zwischen Elle und Speiche bei anderen Scansoriopterygiden steht. Bemerkenswert ist der Besitz einer im Vergleich zu Yi kürzeren Schwanzwirbelsäule mit einem Pygostyl; das sind verschmolzene Schwanzwirbel, an denen bei Vögeln kräftige Muskulatur und fächerförmig angeordnete Schwanzfedern ansetzen. Das Pygostyl ist bei den Scansoriopterygiden als Konvergenz (unabhängig entstandenes Merkmal) zu werten und kann nicht als Hinweis auf eine nähere Verwandtschaft mit den Vögeln interpretiert werden.
Leider erlaubt die Qualität der Erhaltung von Ambopteryx und Yi nicht, die Beschaffenheit des membranösen Gewebes zu rekonstruieren, so dass eine Beurteilung seiner genauen Funktion nicht möglich ist; es ist nach wie vor nicht gesichert, dass die Membran eine Gleitflugfunktion besaß. Diskutiert wird auch eine Unterstützung einer anderen Art der Fortbewegung oder die Funktion als Schmuckelement.
Insgesamt unterscheiden sich die Scansoriopterygiden deutlich von anderen Dinosauriergruppen (Wang et al. 2019, 258). Evolutionstheoretisch müssen sie als spezielle, von anderen Dinosauriern und Vögeln unabhängige Linie interpretiert werden. Anders als die Vögel besaßen die Scansoriopterygiden ungewöhnlich kurze Mittelhandknochen; die Verlängerung der Vorderextremität wird in erster Linie durch die Verlängerung von Oberarmknochen und Elle erreicht, während bei den Vögeln Handwurzel- und Mittelhandknochen zum Carpometacarpus verschmolzen und verlängert sind. Wang et al. (2019, 259) fassen zusammen: „Das gemeinsame Auftreten von kurzen Mittelhandknochen mit membranösen Flügeln – im Gegensatz zu langen Mittelhandknochen und gefiederten Flügeln – zeigt, wie diese beiden deutlich unterschiedlichen Flugapparate die Gesamtstruktur der Vordergliedmaßen beeinflussen können. Membranflügel sind bei den Theropoden der Kreidezeit unbekannt, was darauf hindeutet, dass die Kombination eines vogelähnlichen Körperbaus (z. B. lange Vordergliedmaßen und ein kurzer Schwanz) mit Membranflügeln, die sich bei den Scansoriopterygidae entwickelt hat, eine bisher unbekannte Anpassung von Wirbeltieren mit Flugverhalten darstellt.“
Nach einer neuen Untersuchung der für den Flug relevanten Körperteile von Scansoriopterygiden mittels laserinduzierter Fluoreszenz war ihre Flugmuskulatur schwach, das Brustbein klein und der deltopectorale Kamm am Oberarmknochen, ein Ansatzpunkt für Oberarmmuskeln, nur schwach entwickelt (Dececchi et al. 2020). Daher seien aktiver Flugstart und dauerhafter aktiver Flug praktisch unmöglich gewesen und nur ein suboptimaler Gleitflug denkbar, so Dececchi et al. (2020, 12).
„Experimentierfreudige Evolution“. Eine Merkmalskombination wie bei Yi und Ambopteryx ist evolutionstheoretisch unerwartet. Der „Spiegel“ bringt es populär auf den Punkt: „Ambopteryx longibrachium wirkt wie ein Mix aus Fledermaus, Vogel und Mini-Raubsaurier – als hätte man das Tier aus Teilen verschiedener Puzzles montiert.“1 Nur gibt es in der Evolution keinen Monteur. Die Merkmalskombination passt nicht zwanglos in einen Stammbaum, vielmehr müssen in großem Umfang Konvergenzen, also eine unabhängige Entstehung ähnlicher Merkmale angenommen werden. Das ist eigentlich ein Problem für evolutionäre Hypothesen; nicht umsonst versucht man bei der Konstruktion von Cladogrammen (Ähnlichkeitsbäumen) die Anzahl von Konvergenzen zu minimieren. Aber aus dieser Situation versucht man dennoch, für Evolutionstheorien Kapital zu schlagen: mit der Idee der „Experimentierung“. Die FAZ kommentiert: „An dem Saurier lässt sich ablesen, dass die Natur bei der Erfindung des Fliegens äußerst experimentierfreudig gewesen war und mehrere Lösungen ausprobierte.“2 In der Originalarbeit bei Wang et al. (2019, 256) hört sich das so an: „Die häutigen Flügel, die bei den Scansoriopterygiden durch verlängerte Vordergliedmaßen gestützt werden, stellen wahrscheinlich ein kurzlebiges Experimentieren mit Flugverhalten dar, und gefiederte Flügel wurden schließlich während der späteren Evolution der Paraves bevorzugt.“ Auch Dececchi et al. (2020) sprechen von „Experimentierung“.
Gemessen an den bekannten Evolutionsmechanismen ist das allerdings unhaltbar, weil Mutation, Selektion und andere Evolutionsfaktoren ungerichtet sind, wie gerade die Befürworter der Evolutionslehre immer wieder betonen. Ein Evolutionsprozess wird als natürlicher Vorgang betrachtet, der als solcher keine Ziele verfolgen kann. Warum die Scansoriopterygiden „kurzlebig“ waren und ausgestorben sind, ist in Wirklichkeit unbekannt. Sie hätten jedenfalls nicht entstehen können, wären sie nicht lebens- und konkurrenzfähig gewesen. Man kann davon ausgehen, dass sie ihre eigene ökologische Nische innehatten, die bisher allerdings nicht im Einzelnen aufgeklärt ist. Aus der Sicht der Schöpfungslehre gab es zwar auch keinen Experimentator, jedoch einen Schöpfer, der offenbar eine große Vielfalt an Art und Weisen des Fluges erfunden und verwirklicht hat. Die Frage nach dem Grund des Aussterbens bleibt aber auch hier ohne sichere Antwort.
Anmerkungen
1 https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/forscher-finden-bizarren-fledermausfluegel-saurier-a-1266124.html
2 https://www.faz.net/aktuell/wissen/archaeologie-altertum/flugsaurier-16177567/ambopteryx-longibrachium-im-16176843.html
Quellen
Beyer A (o. J.) Wissenschaft im Rahmen eines Schöpfungsparadigmas? – eine Replik auf ein Positionspapier von „Wort und Wissen“. www.ag-evolutionsbiologie.de/app/download/5785603750/creationscience.pdf
Dececchi TA, Roy A et al. (2020) Aerodynamics show membrane-winged theropods were a poor gliding dead-end. iScience 23(12), 101574, https://doi.org/10.1016/j.isci.2020.101574
Junker R (2021a) Methodologie der Naturgeschichtsforschung. In: Junker R & Widenmeyer M (Hrsg.) Schöpfung ohne Schöpfer? Eine Verteidigung des Design-Arguments in der Biologie. Studium Integrale. Holzgerlingen, S. 65–81.
Junker R (2021b) Erklärungen in der Naturgeschichte am Beispiel der Entstehung von Vogelfeder und Vogelflug. In: Junker R & Widenmeyer M (Hrsg.) Schöpfung ohne Schöpfer? Eine Verteidigung des Design-Arguments in der Biologie. Studium Integrale. Holzgerlingen, S. 83–107.
Wang M, O’Connor JK, Xu X & Zhou Z (2019) A new Jurassic scansoriopterygid and the loss of membranous wings in theropod dinosaurs. Nature 569, 256–259.
Xu X, Zheng X, Sullivan C, Wang X, Xing L, Wang Y, Zhang X, O’Connor JK, Zhang F & Pan Y (2015) A bizarre Jurassic maniraptoran theropod with preserved evidence of membranous wings. Nature 521, 70-73, doi: 10.1038/nature14423. Autor dieser News: Reinhard Junker Informationen über den Autor
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