12.10.21 Fossile Mikroorganismen in sehr alten Sedimentschichten?
Die wohl größte Lücke im Fossilbericht befindet sich im Bereich der ältesten, d.h. der unten liegenden Sedimentschichten. Dort werden Mikroorganismen als frühe Lebensform vermutet. Daher gibt es seit einigen Jahrzehnten Bemühungen, fossile Hinweise auf Mikroorganismen zu finden. Kürzlich behauptete eine internationale Forschungsgruppe um Barbara Cavalazzi, die bisher ältesten fossilen Überreste von Archaeen gefunden zu haben. Die Arbeit verdeutlicht die Tendenz zur theoriegeleiteten Auswahl und Beurteilung von Daten zu mutmaßlich frühen Lebensformen.
Von der Schwierigkeit, Fossilien von Mikroorganismen zu finden
Fossilien dienen als Stützpunkte für die Rekonstruktion hypothetischer Verläufe der Naturgeschichte. Allerdings sind das Fehlen von Fossilien in einem großen Teil der geologischen Schichten sowie die offenen Fragen, wie vollständig und repräsentativ die gefundenen Fossilien für die entsprechenden Abschnitte der Vergangenheit sind, wiederholt als problematisch konstatiert worden. Mikroorganismen haben eine sehr geringe Aussicht, fossil überliefert zu werden. Besonders ausgeprägt ist der Mangel an Fossilien von Einzellern (Mikrofossilien). Um diese große Lücke im evolutionär gedachten frühen Bereich der Geschichte des Lebens, also im unteren Teil des Fossilberichts zu schließen, werden viele Bemühungen unternommen, Mikrofossilien zu finden.
Diese Suche ist jedoch besonders erschwert, da die Fossilisation von Einzellern im Vergleich zu vielzelligen Organismen, insbesondere solchen mit Hartteilen, bedeutend weniger wahrscheinlich ist. Ein weiteres Problem bei der Suche nach Spuren früher Mikroorganismen stellen Kontaminationen dar, die sowohl von heutigen Organismen als auch von den Forschern selbst stammen können (Gold et al. 2017); auch die Verwechslung mit anorganischen Strukturen ist eine Herausforderung. Außerdem sind Befunde, die als fossile Hinterlassenschaften von Bakterien oder Archaeen gewertet werden, wenig aussagekräftig bezüglich Eigenschaften wie Stoffwechsel oder molekulare Ausstattung. Befunde zu Mikrofossilien sind daher nicht selten umstritten.
Älteste fossile Rückstände von Mikroorganismen?
Eine internationale Forschergruppe um Barbara Cavalazzi (2021) präsentierte vor kurzem einige Funde und stellte sie als sichere und bisher älteste fossile Rückstände von Mikroorganismen dar. Wie viele andere Gruppen zuvor analysierten sie Gesteinsproben aus der in Südafrika gelegenen geologischen Schichtenfolge mit der Bezeichnung „Onverwacht-Gruppe“. Sie entnahmen magmatisches Quarzgestein aus der Kromberg-Formation aus ca. 7-8 km Tiefe und identifizierten in dessen feinen Kanälen Strukturen, die sie als fossile Rückstände von Archaeen deuteten. Nach allgemeiner Auffassung soll die geologische Schicht, aus der die Proben stammen, vor 3,4 Milliarden Jahren1 auf einer Flachmeer-Vulkan-Plattform entstanden sein. Mit der Zeit soll sich darin durch hydraulische Risserzeugung ein hydrothermales Kanalsystem2 herausgebildet haben.
Die Autoren interpretierten die Funde als fossile Rückstände von Mikroorganismen aufgrund von Analysen ihrer Form und der chemischen Bestandteile. Hinsichtlich der Form handelt es sich um unverzweigte Filamente (ø = 0,77 µm) mit einigen Unterbrechungen, was als typisches Erscheinungsbild fossilisierter mikrobiologischer Kulturen gilt. Die Unterbrechungen werden als Folge von Zellteilungen oder vor der Fossilisation stattfindendem Abbau der Zellen erklärt. Die gute Erhaltung der 3D-Struktur dieser Filamente wurde auf einen schnellen Versteinerungsvorgang zurückgeführt.
Durch Analyse der chemischen Bestandteile der Strukturen wurde Kohlenstoff als eine der Hauptkomponenten ermittelt, wobei auch die Elemente Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff nachgewiesen werden konnten. Die Autoren schlossen daraus, dass es sich um Rückstände mineralisierter Zellwandbestandteile handelt. Überraschenderweise fehlte jedoch ein für alle Lebewesen essentielles und häufig vorkommendes Element: Phosphor.
Darüber hinaus wurden mittels Massenspektrometrie und Röntgenstrahlung Spuren von Schwefel und Nickel nachgewiesen. Durch weitere Analysen mittels Röntgenstrahlung wurden Rückschlüsse auf die Energie des K-Schalen-Niveaus des Nickels gezogen. Die Ergebnisse passten nach Auffassung der Autoren am besten zu Organonickel-Verbindungen mit Ni in den Valenzstufen II/III. Die Messung der Nickel-Konzentration in den Filamenten ergab ähnliche Werte, wie sie auch in heute vorkommenden methanerzeugenden Mikroorganismen vorgefunden werden.
Auf der Grundlage dieser Daten nehmen Cavalazzi et al. an, dass es sich bei den von ihnen untersuchten Strukturen um fossile Rückstände von methanerzeugenden Archaeen handelt. Das Hauptargument für die Zuschreibung des methanerzeugenden Stoffwechsels ist, dass heutige methanogene Archaeen Nickel-haltige Enzyme für diesen biochemischen Vorgang verwenden.
Zur Deutung der Funde
Insgesamt ist die Deutung der vorgefundenen Strukturen als fossile Rückstände von Mikroorganismen auf den ersten Blick plausibel, wobei die zeitliche Einordnung der Entstehung dieser Fossilien auf dem allgemein angenommenen Alter von 3,4 Milliarden Jahren der Kromberg-Formation beruht und ohne weiteres vorausgesetzt wird. Problematisch ist allerdings das komplette Fehlen des Phosphors in den Filamenten, da dieses Element in sehr vielen biologisch relevanten Molekülen vorhanden ist. Die Autoren kommentierten diesen problematischen Sachverhalt mit nur einem einzigen Satz: „Die Abwesenheit von P könnte das Ergebnis von Aufnahme [durch andere Organismen] oder Auswaschung dieses bioessentiellen Elements sein.“, Diese Ad-hoc-Erklärung leistet keinen Beitrag zu einem tieferen Verständnis des untersuchten Sachverhalts. Es ist überraschend, dass das im peer-review-Prozess des Journals Science offenbar nicht angemahnt worden ist. Es stellt sich automatisch die Frage, warum andere biologisch relevante Elemente wie Nickel oder Schwefel noch erhalten geblieben sind, während der Phosphor selektiv entfernt wurde.
Sollte es sich tatsächlich um fossile Reste von Mikroorganismen handeln, ist außerdem fraglich, ob sie tatsächlich von methanerzeugenden Archaeen stammen, da diese Schlussfolgerung ausschließlich auf den Daten bezüglich des Vorkommens von Nickel beruht. Da Nickel kein seltenes Element in der Erdkruste ist, rechtfertigt dessen Nachweis und Konzentration in den mineralisierten Strukturen allein nicht den Rückschluss auf einen methanogenen Stoffwechsel früher Organismen. Weitere Daten zur Stützung der These wären zwingend notwendig. Stattdessen berufen die Autoren sich wiederholt auf die allgemeine Annahme, dass methanogene Mikroorganismen zu den ältesten Lebensformen gehören. Zudem setzen sie wie viele andere Autoren völlig unkritisch voraus, dass die frühe Erdatmosphäre sauerstofffrei war – ungeachtet vieler Ungereimtheiten dieser Hypothese (Schmidtgall 2021).
In diesem Zusammenhang ist es auffällig, dass in einer Reihe von früheren Arbeiten zu Mikrofossilien über oxygene3 Photosynthese betreibende Organismen berichtet wurde, die bereits vor 3,1–3 ,4 Milliarden Jahren existiert haben sollen (Schopf 1993, Tice & Lowe 2004). Einige dieser Befunde wurden später aus fragwürdigen Gründen bestritten (Hohmann-Marriott & Blankenship 2011). Es wurde allgemein in Frage gestellt, ob der Fundort ungestört und für mikrobielles Leben geeignet sei. Solche Zweifel bei Mikrofossilfunden können aber prinzipiell immer angeführt werden können und sind daher nicht ausreichend, um eine ganze Reihe an Befunden in Frage zu stellen. Gegenwärtig finden Veröffentlichungen über oxygene Mikroorganismen vor 3,4 Milliarden Jahren kaum Beachtung und wurden auch von Cavalazzi et al. vernachlässigt. Interpretationen wie diejenige von Cavalazzi et al. ereilt dieses Schicksal dagegen vielleicht deshalb nicht, weil sie mit der Annahme einer frühen sauerstofffreien Atmosphäre zusammenpassen, die für die Evolutionstheorie unverzichtbar ist. Aufgrund von theoretischen Vorgaben wird hier offenbar bezüglich der Qualität der vorgebrachten Argumente mit unterschiedlichem Maß gemessen. Jedenfalls ist es überraschend, dass aus dem unspezifischen Vorkommen von geringen Mengen an Nickel weitreichende Schlussfolgerungen bezüglich des Stoffwechsels der vermuteten Mikroorganismen gemacht werden, während das komplette Fehlen des viel wichtigeren Phosphors, dessen Vorkommen in nennenswerter Konzentration zu erwarten wäre, praktisch ignoriert wird. Es liegt die Vermutung nahe, dass es für Cavalazzi et al. bei ihrer Dateninterpretation mehr auf die Kompatibilität der Ergebnisse zur Evolutionstheorie ankam als auf die tatsächliche Relevanz der Daten.
Anmerkungen
1 Die hier angeführten Altersdatierungen beruhen letztlich auf radiometrischen Datierungen. Daher sind Altersangaben i. S. v. radiometrischen Jahren und nicht tatsächlichen Jahren zu verstehen.2 Systeme, die heißes Wasser aus tiefen Schichten führen. Typische Beispiele hierfür sind Geysire. 3 Sauerstoff-erzeugende
Literatur
Cavalazzi B et al. (2021) Cellular remains in a 3,42-billion-year-old subseafloor hydrothermal environment. Sci. Adv. 7, eabf3963.
Gold DA et al. (2017) Paleoproterozoic sterol biosynthesis and the rise of oxygen. Nature 543, 420-423.
ohmann-Marriott MF & Blankenship RE (2011) Evolution of photosynthesis. Annu. Rev. Plant. Biol. 62, 515-548.
Schmidtgall B (2021) Die „Sauerstoffkatastrophe”, Stud. Integr. J. 28, 13-21.
Schopf JW (1993) Microfossils of the early archean apex chert: new evidence of the antiquity of life. Science 260, 640-646.
Tice MM & Lowe DR (2004) Photosynthetic microbial mats in the 3,416-Myr-old ocean. Nature 341, 549-552.
Autor dieser News: Boris Schmidtgall Informationen über den Autor
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