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25.10.21 Evolution der Mehrzelligkeit im Labor: vorprogrammierte Anpassung gegen Fressfeinde?
Aus evolutionstheoretischer Sicht ist die Entstehung der Mehrzelligkeit eine Notwendigkeit für die Evolution höherer Organismen, weil sie die Aufgabenteilung zwischen verschiedenen Zellgruppen ermöglicht. Nach der vorherrschenden Lehrmeinung haben sich mehrzellige Organismen 20-30 mal unabhängig voneinander entwickelt. Daher sollte dieses Merkmal ganz einfach entstehen können. In einer neuen Studie mit Grünalgen wurde kürzlich berichtet, dass sich die Mehrzelligkeit im Labor in weniger als 500 Generationen entwickelt hat. Ein genauer Blick auf die Daten zeigt jedoch, dass es sich um eine programmierte Anpassung handelt, die in der Gegenwart von Raubtieren induziert und/oder selektiert wird. Kürzlich wurde in Nature Communications eine Arbeit mit einem etwas schwer verständlichen Titel veröffentlicht: „The evolution of convex trade-offs enables the transition towards multicellularity“ (Übersetzt: Die Evolution konvexer Trade-offs ermöglicht den Übergang zur Mehrzelligkeit). (Bernardes 2021). Es geht dabei um den Übergang von Einzelligkeit zu Vielzelligkeit. Der Begriff „Trade-off“ lässt sich am besten mit „Ausgleich“ oder „Abhängigkeit“ übersetzen und ist der englische Begriff für eine gegenläufige Abhängigkeit, d.h. nimmt die eine Größe zu, dann nimmt zugleich die andere ab. Um welchen Trade-off handelt es sich hier? Anders gesagt: was genau ist hier die Abhängigkeit? Die Wissenschaftler fanden heraus, dass sich die Algen in Zellverbänden zwar weniger stark reproduzierten als die einzelligen Varianten, sie das aber durch eine höhere Gesamtüberlebensrate ausgleichen. Herausforderungen der Vielzelligkeit Im Rahmen der Evolutionslehre wird davon ausgegangen, dass Mehrzelligkeit entstand, als sich Einzeller in Kolonien zusammenschlossen, um ihre Überlebenschancen zu erhöhen. Dies wird heutzutage auch bei Bakterien in Biofilmen beobachtet. Damit aus einer Einzeller-Kolonie aber ein höherer Organismus entsteht, bedarf es einer ganzheitlichen Umstrukturierung der Zellen, denn die Vielzelligkeit stellt große physikalische und biologische Herausforderungen dar. Zudem muss auch ihr genetisches Informationssystem neu organisiert werden, damit die Programme in den verschiedenen Zellen reguliert werden können. Dies geschieht durch epigenetische Programmierung. Außerdem müssen die Zellen aufeinander abgestimmt sein und miteinander kommunizieren. Große Organismen können nicht einfach als riesige Einzeller existieren, die zu immensen Größen heranwachsen, weil biophysikalische Gesetzmäßigkeiten (Diffusion, Austausch von Signalen usw.) und bioenergetische Beschränkungen (abnehmendes Volumen-Oberflächen-Verhältnis) dies unmöglich machen. Um diese physikalischen Probleme zu überwinden, bedarf es präziser Lösungen. Die zu erfüllenden Funktionen müssen auf verschiedene Zellen aufgeteilt werden, wozu es einer genauen Organisation bedarf. In einzelligen eukaryotischen Organismen geschieht dies mit Hilfe von Organellen wie z. B. Mitochondrien, die auf die Energiegewinnung spezialisiert sind. Um größere Organismen zu bilden, sind spezialisierte Zellgruppen, Gewebe und Organe erforderlich, also mehrzellige Systeme aus spezialisierten Zellen. Mehrzelligkeit ist also eine notwendige Voraussetzung für alle höheren Lebensformen, und dies erfordert neben einem völlig anderen Zelltyp (mit Zellkern und Zellorganellen) auch Abstimmungen zwischen den verschiedenen Zelltypen. Wie entstand die Vielzelligkeit im Experiment? Ausgangspunkt für die Studie von Bernardes et al. waren Einzelzelllinien der Grünalge Chlamydomonas reinhardtii, ein kernhaltiger, eukaryotischer, photoautotropher Organismus mit allen erforderlichen Zellorganellen. Sie wurden in An- beziehungsweise Abwesenheit eines Räubers, des Rädertierchens Brachionus calyciflorus, jeweils sechs Monate lang in einem Medium kultiviert. Nach sechs Monaten (das entspricht etwa 500 Generationen) zeigten alle zehn Zelllinien, die in Anwesenheit des Rädertierchens wuchsen, Kolonien, während in Abwesenheit des Räubers nur 4 von zehn diese Eigenschaft entwickelten. Was bedeuten diese Befunde für die Evolution der Vielzelligkeit? Überhaupt nichts. Es ist vielmehr ein weiteres Beispiel für die Selektion von Merkmalen, die schon zuvor vorhanden waren und dadurch leicht abgerufen werden können, wenn die Algen durch Räuber befallen werden. Eine naheliegende Frage ist, warum die Forscher mit Chlamydomonas reinhardtii begonnen haben, um die Evolution der Vielzelligkeit zu dokumentieren. Diese Gattung (Chlamydomonas) ist dafür bekannt, dass sie unter Stressbedingungen mehrzellig werden kann. Die Bildung von Zellgruppen in C. reinhardtii kann zum Beispiel durch organische Säuren oder Salzstress ausgelöst werden, schreiben die Autoren. Handelt es sich also um ein bereits vorhandenes, vorprogrammiertes Merkmal, das ohne weiteres aktiviert werden kann? Und damit um einen Weg, der in Gegenwart von Fressfeinden leicht gefunden werden kann, wie der Evolutionsbiologe Andreas Wagner ausführlich darlegte? (Wagner 2017). Was wäre passiert, wenn die Wissenschaftler um Bernardes von einem Einzeller ausgegangen wären, von dem wir wissen, dass die Gattung, der er angehört, nicht in der Lage ist, Mehrzelligkeit zu erzeugen? In „The edge of evolution“ sagt Michael Behe voraus, dass sich nichts entwickeln wird, was mehr als vier gleichzeitig auftretende zufällige Mutationen erfordert. Wenn die Evolution der Vielzelligkeit innerhalb dieser Reichweite liegt, sollte sich das Merkmal nach Behe entwickeln können. Sie kann dann als ein vorgegebener Weg betrachtet werden, der Lebewesen hilft, in Stresssituationen zu überleben. Experimentell wäre festzustellen, ob die Veränderung umkehrbar ist, d. h. ob sie mit der Zeit verschwinden und wieder auftauchen kann. Die Umkehrbarkeit würde mit dem übereinstimmen, was wir von einem molekularbiologischen Mechanismus, wie z.B. der Umlagerung von Transposonen (=Genetisches Element (DNA Sequenz), das sich im Genom umlagern und somit neue genetische Zusammenhänge erzeugen kann), erwarten würden. Leider gibt es hierzu bisher keine Daten. Programmierung der Anpassung Bei verschiedenen Stämmen fanden die Forscher dasselbe Merkmal der Entstehung von Kolonien, das sich mehrmals unabhängig voneinander entwickelte. Dies zeigt, dass diese Anpassung an Fressfeinde kein zufälliger Prozess ist, sondern vorprogrammiert. Von Beginn des Experiments an war klar, dass diese Anpassung in der Population stattfinden würde. Das ist etwas anderes als die ursprüngliche Idee, dass die Wege der Evolution nicht vorhergesagt werden können. Neuere Studien zur molekularen Evolution zeigen ein ähnliches Ergebnis. In dem bekannten Langzeitevolutionsexperiment mit E. Coli Bakterien von Richard Lenski wurde ebenfalls beobachtet, dass mindestens zwei Linien separat evolvierender Bakterien unabhängig voneinander zu genau demselben Genregulationsmuster gelangten. Unter mehreren Tausend Genen, die im Genom der beiden Bakterienlinien vorhanden sind, befanden sich lediglich 59, deren Aktivität sich im Lauf des Experiments geändert hatte. Ihre Aktivitäten waren aber nicht willkürlich verändert. Stattdessen war die Exprimierung (=Ablesen und Nutzen von Genen) der Gene in beiden Organismen auf genau dieselbe Weise verändert. Wenn die Aktivität eines bestimmten Gens in Stamm eins zugenommen hatte, dann war das auch in Stamm zwei auch der Fall. Wenn die Aktivität eines anderen Gens in Stamm eins verringert war, dann war das auch in Stamm zwei der Fall – dieses Muster wurde öfter beobachtet. Lenskis Ergebnisse waren beachtenswert, da die genetischen Änderungen eine vorgegebene Richtung anzustreben schienen. (Cooper 2003). Um die Vielzelligkeit in Grünalgen zu bewirken, war ebenfalls nur die Veränderung einer begrenzten Anzahl von Genen erforderlich. Transkriptomunterschiede (=Transkriptom = Momentaufnahme der gesamten RNA-Transkripte, die in einer Zelle oder Gewebe vorhanden sind) zwischen Zellgruppen und Einzelzellen ergaben 76 unterschiedlich exprimierte Gene (57 hochregulierte und 19 herunterregulierte in Gruppen-bildenden Grünalgen). Und der begrenzte Zeitrahmen des Experiments von nur sechs Monaten (<500 Generationen) für die Entwicklung der Mehrzelligkeit ist extrem schnell und bedarf keiner großen Zeiträume, wie sie oft für die Darwin’sche Evolution postuliert werden. Kann dies aber durch Mutation und Selektion geschehen? Obwohl die Forscher eine Sequenzierung des gesamten Genoms durchgeführt haben, berichten sie nicht über die Beteiligung von transponierbaren Elementen, die in Lenskis Experiment die meisten der adaptiven Phänotypen hervorgerufen haben. Dennoch sind sich die Autoren dieser Arbeit darüber im Klaren, dass es sich nicht um einen zufälligen Prozess handeln kann. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass „der ziemlich hohe Grad an Wiederholbarkeit und die geringe Anzahl an Generationen auf einen gewissen Grad an Determinismus für die phänotypische und genomische Reaktion von C. reinhardtii auf Durck durch Fressfeinde schließen lassen.“ Das ist eine beeindruckende Aussage, die in der Wissenschaftspresse zu diesem Thema so nicht zu lesen war (Bernard 2021). Vorhersagbare genetische Veränderungen in der Genexpression sind auch bei den Flügelmustern von Schmetterlingen zu beobachten (Larter 2018). Ist also Abruf vorhandener Programmierungen die Erklärung, die die Evolutionsbiologie liefern kann, nachdem die Molekularbiologie und die genetischen Mechanismen der Anpassung aufgedeckt wurden? In der Tat zeigt die neue Ära der Molekularbiologie immer deutlicher, dass Anpassungen im Voraus festgelegt sind! Dies steht im Einklang mit der Hypothese, dass das Leben das Produkt eines vorausschauenden Designers ist. Quellen Bernard E (2021) Evolution in Echtzeit. Einzellige Grünalge vollzieht in nur 500 Generationen die ersten Schritte zur Mehrzelligkeit. https://www.scinexx.de/news/biowissen/evolution-in-echtzeit/ Bernardes JP et al. (2021) The evolution of convex trade-offs enables the transition towards multicellularity. Nat. Comm. 12, 4222, https://doi.org/10.1038/s41467-021-24503-z Cooper TF, Rozen DE & Lenski RE (2003) Parallel changes in gene expression after 20,000 generations of evolution in Escherichiacoli. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 100, 1072–1077. Larter M, Dunbar-Wallis A, Berardi AE & Smith SD (2018) Convergent Evolution at the Pathway Level: Predictable Regulatory Changes during Flower Color Transitions. Mol. Biol. Evol. 35, 2159–2169. Wagner A (2014) Arrival of the fittest. One World Publications. Autor dieser News: Peter Borger Informationen über den Autor
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