23.11.22 Flugsaurier mit Federn?
Begriffsverwirrung führt zu verwirrenden Aussagen Bei einigen Flugsaurierfossilien wurden haarartige, büschelige und fiederige Strukturen auf der Haut entdeckt, die als „Federn“ interpretiert werden. Demnach sollen Federn schon lange vor dem Auftreten von Vögeln entstanden sein. Die betreffenden Körperanhänge sind jedoch sehr klein. Sie als „Federn“ zu bezeichnen, ist evolutionstheoretisch motiviert und durch den Aufbau der Strukturen nicht gerechtfertigt. Die Bezeichnung „Feder“ ist daher irreführend; das führt zu entsprechend irrigen Schlussfolgerungen. Tatsächlich waren Flugsaurier nach gegenwärtigem Kenntnisstand nicht befiedert. Zudem spricht die Verteilung der Ausprägungen von Hautstrukturen für eine freie Kombinierbarkeit von Merkmalen, die einem Schöpfer zur Verfügung steht, nicht aber einer Evolution, die an bestimmte Mechanismen gebunden ist. Flugsaurier gehören zu den seltsamsten und ausgefallensten Geschöpfen. Ihre Körperproportionen sind ungewöhnlich: Ein großer Kopf, teils mit extravaganter Ornamentierung und oft mit spitzer Schnauze, gepaart mit einem langen Hals und einem kleinen Körper und kurzen Beinen. Ihre Flugfähigkeit verdanken sie einer Flughaut, die vor allem am extrem langen vierten Finger und am Arm sowie an der kurzen Körperseite aufgespannt war. Schon seit der Entdeckung der ersten Flugsaurier ist bekannt, dass die die Körperhaut und teilweise auch die Flughaut mit haarartigen Auswüchsen, sog. Pyknofasern, bedeckt war. Pyknofasern sind kurz, weisen einen in der Mitte verlaufenden Kanal auf und sind nicht in die Haut eingesenkt wie die tief verwurzelten Haare der Säugetiere (Anonymus 2018, 301). Vermutlich dienten sie der Wärmeisolierung. Federn bei spatzengroßen Flugsauriern? Die Pyknofasern erhielten in den letzten Jahren neue Aufmerksamkeit. Yang et al. (2019) berichteten von vier verschiedenen Typen haarartiger (oder federartiger?) Körperbedeckung bei zwei Exemplaren der Flugsaurier-Familie der Anurognathidae, deren Alter mit 160 Millionen radiometrischen Jahren (MrJ) bestimmt wurde. Die Anurognathidae gehören zu den kleinsten Flugsauriern und waren nur spatzengroß. Bei ihrer Körperbedeckung handelte sich zum einen um die schon lange bekannten einfachen Fasern, zum anderen wurden andere Typen von Anhängen entdeckt, die bisher bei Flugsauriern unbekannt waren. Es handelt sich 1. um pinselförmig gebündelte Fasern, 2. um Anhänge, die auf halber Höhe büschelig werden, und 3. um daunenförmig verzweigte Anhänge an den Flügelhäuten. Solche Strukturen sind auch bei Vögeln oder bei Dinosauriern bekannt, die als Vogelvorläufer gelten. Darüber hinaus wurden im Inneren der Fasern und in der Haut Melanosomen in verschiedenen Formen entdeckt. Diese Strukturen enthalten den Farbstoff Melanin und bestimmen bei heutigen Vögeln die Farbe des Gefieders. Die Autoren interpretieren diese Befunde insgesamt als Belege dafür, dass bereits Flugsaurier Federn besaßen, und vermuten einen gemeinsamen Ursprung von Federn beim gemeinsamen Vorfahren der Dinosaurier und Flugsaurier vor etwa 250 MrJ. Eine unabhängige Entstehung der „Federn“ wäre zwar auch denkbar, wurde von den Autoren jedoch wegen der Ähnlichkeiten mit Integumentstrukturen (= Strukturen auf der Körperhülle) von Dinosauriern als unwahrscheinlich eingestuft. Die Deutung der Strukturen als Körperanhänge erfuhr zwar Kritik (Unwin & Martill 2020), diese wurde aber von den Autoren Punkt für Punkt zurückgewiesen (Yang et al. 2020). Tupandactylus Nun wurde jüngst von einem weiteren Typ einer Körperbedeckung bei einem anderen, sehr viel größeren Flugsaurier berichtet. Es handelt sich um den Fund eines unvollständigen Schädels von Tupandactylus imperator aus der Unterkreide Brasiliens (113 MrJ). Tupandactylus besaß eine Flügelspannweite von 3–5 Metern. Auffällig ist ein von zwei Knochenspornen aufgespannter, mehrere Dezimeter langer Hautkamm auf dem Kopf, der wahrscheinlich eine Art Schau-Element darstellte. An dessen Basis fanden sich Überreste von teils fädigen, teils flauschigen, verzweigten Strukturen. Eine elektronenmikroskopische Untersuchung offenbarte, dass von einem zentralen, schwer erkennbaren Schaft, der sich zur Spitze hin verjüngte, über fast die gesamte Länge kurze gerade Fasern abgingen (Abb. 416). Die Autoren bezeichnen diese Strukturen daher als „Federn“, die dem Stadium 3b des evolutionären Feder-Entstehungsmodells von Prum (1999) gleichen, weil hier Federäste regelmäßig von einem zentralen Schaft abzweigen (vgl. Abb. 417). Entsprechend lauteten die Pressemeldungen, dass „Flugsaurier mit Federn“ entdeckt worden seien. Auch hier wurden Melanosomen entdeckt. Dabei befinden sich in den Fasern, in den verzweigten Anhängen und in der Haut verschiedene Formen von Melanosomen. Da die Melanosomen mit der Farbmusterung zusammenhängen, wird aus diesem Befund geschlossen, dass verschiedene Regionen des Hautkamms von Tupandactylus unterschiedlich gefärbt waren, was dessen Signalwirkung verstärkt haben dürfte. Es könnte eine fleckige Verteilung von Farben auf der Oberfläche des Hautkamms gegeben haben (Benton 2022; vgl. Abb. 418). Cincotta et al. (2022) kommen wie Yang et al. (2019) zum Schluss, dass federartige Strukturen bereits vorhanden waren, bevor sich die Linien der Flugsaurier und der Dinosaurier trennten – vor etwa 250 MrJ. Dass zumindest die fädigen und büscheligen Anhänge auf einen gemeinsamen Vorfahren beider Sauriergruppen zurückgehen, wurde durch eine Stammbaumanalyse mit 84-prozentiger Wahrscheinlichkeit (unter Annahme einer gemeinsamen Evolutionsgeschichte der Lebewesen) unterstützt. Komplexere Strukturen sollen aber in beiden Gruppen unabhängig entstanden sein (Cincotta et al. 2022). Auch diese Autoren vermuten, dass die „Federn“ der Wärmeisolation dienten und vielleicht auch als Elemente der visuellen Kommunikation fungierten. Diskussion Wer denkt bei „Federn“ nicht zuerst an die flächigen Vogelfedern, die Teil eines komplexen Flugapparats bilden? Meldungen wie „Federn bei Flugsauriern“ wirken daher irreführend. Die Strukturen, die Cincotta et al. (2022) als Federn identifizierten, sind sehr klein, insbesondere im Verhältnis zu dem gewaltigen Kopfkamm des Tieres, an dessen Rückseite sie gefunden wurden. Der zentrale Schaft besaß einen Durchmesser von etwa 60 μm; die abzweigenden Fasern waren etwa 0,1–0,2 mm lang. Die Verankerung im Körper ist unklar. Cincotta et al. verweisen darauf, dass ein Calamus (der eingesenkte Teil des Schafts) zu sehen sein könnte (Abb. 416 1e, weißer Pfeil). Die Art der Verankerung wäre ein wichtiges Indiz für eine Vergleichbarkeit mit Federn (es sei an die oberflächliche Verankerungen von Pyknofasern erinnert; s. o.). Die Anhänge der von Yang et al. (2019) beschriebenen vier Typen von Körperanhängen sind ähnlich klein. Ohne die evolutionäre Sichtweise, dass Vögel von Dinosauriern abstammen, würde man auf der Basis des morphologischen Befundes an sich, also aufgrund der Formen dieser Gebilde, wohl kaum auf die Idee kommen, man habe es mit „Federn“ zu tun. Nun aber ähneln die verzweigten Fasern solchen, die beim Dromaeosauriden Sinornithosaurus millenii gefunden wurden (Abb. 419). Die Dromaeosauriden wiederum werden in einen weiteren Abstammungszusammenhang mit Vögeln gestellt (obwohl sie in deutlich jüngeren Schichten gefunden wurden als Formen mit echten, flächigen, flugtauglichen Federn). Auf diese indirekte Weise wird somit der theoretische Zusammenhang zu „Federn“ bei Flugsauriern hergestellt. Man kann hier durchaus von Begriffsverwirrung sprechen. Sie entsteht dadurch, dass „Federn“ letztlich nicht vorrangig aufgrund der morphologischen Merkmale definiert werden, sondern aufgrund vermuteter evolutionärer Zusammenhänge. Das Vorhandensein verschieden geformter Melanosomen und winziger verzweigter Fasern auf der Haut wird als ausreichend betrachtet, um von „Federn“ zu sprechen (Cincotta et al. 2022, 6871). Das erscheint reichlich fragwürdig. Die Autoren schließen allerdings die Hypothese nicht vollständig aus, dass die fadenförmigen Integumentstrukturen der Flugsaurier eine dritte Art von Wirbeltier-Integumentauswüchsen (neben Haaren und Federn) darstellen, die in der Lage sind, eine auf Melanin basierende Färbung zu vermitteln und zu variieren. Sie halten diese Deutung (vermutlich wegen des evolutionären Denkrahmens) aber für unwahrscheinlich. Eine Folge der Begriffsverwirrung ist die verwirrende Aussage, Flugsaurier hätten Federn besessen. Man wird hier unwillkürlich denken, das habe etwas mit ihrer Flugfähigkeit zu tun. Aber wozu sollen Federn dienen bei einem Spezialisten, der mit einer ausgefeilten Flughaut exzellent fliegen kann (vgl. Pittman et al. 2021)? Zu einer Flugfähigkeit tragen diese Gebilde offensichtlich nichts bei. Aufgrund der Verteilung der „Federn“ des Typs 3b am Körper müsste man – wie von Cincotta et al. auch angemerkt – von einer konvergenten Entstehung bei Flugsauriern und Dromaeosauriden ausgehen. Selbst wenn man also evolutionstheoretisch argumentiert, könnte gerade das interessante Stadium 3b, dem die Integumentstrukturen von Tupandactylus ähneln, nicht als Vorläufer von echten Federn interpretiert werden. Der Befund an sich legt eher nahe, dass die dichte und auch verzweigte Behaarung eine flugsaurierspezifische Form der Wärmeisolierung war und eventuell Signalwirkung ermöglichte. Ein evolutionärer Zusammenhang drängt sich nicht auf. Im Gegenteil: Wenn „Federn“ vom Typ 3b konvergent auftreten, sind sie kein verlässliches Argument für eine gemeinsame Abstammung von Theropoden-Dinosauriern und Vögeln. Wahrscheinlich sind sie hingegen eines von vielen Merkmalen, die wie aus einem Baukastensystem von einem Schöpfer frei kombiniert wurden. Anmerkung 1 Über die Anwesenheit verschieden geformter Melanosomen schreiben sie: „This further supports the hypothesis that the branched integumentary structures in pterosaurs are feathers.“ Literatur Anonymus (2018) Fur and fossils. Nature 564, 301–302. Benton MJ (2022) A colourful view of the origin of dinosaur feathers. Nature 604, 630–631. Cincotta A, Nicolai M et al. (2022) Pterosaur melanosomes support signalling functions for early feathers. Nature 604, 684–688. Pittman M, Barlowa LA , Kaye TG & Habib MB (2021) Pterosaurs evolved a muscular wing–body junction providing multifaceted flight performance benefits: Advanced aerodynamic smoothing, sophisticated wing root control, and wing force generation. PNAS 118, e2107631118. Prum RO (1999) Development and evolutionary origin of feathers. J. Exp. Zool. 285, 291–306. Perrichot V, Marion L, Neraudeau D, Vullo R & Tafforeau P (2008) The early evolution of feathers: fossil evidence from Cretaceous amber of France. Proc. R. Soc. 275B, 1197-1202. Prum RO & Brush AH (2003) Zuerst kam die Feder. Spektr. Wiss. 10/03, 32-41. Unwin DM & Martill DM (2020) No protofeathers on pterosaurs. Nat. Ecol. Evol. 4, 1590–1591. Xu X, Zhou ZH & Prum RO (2001) Branched integumental structures in Sinornithosaurus and the origin of feathers. Nature 410, 200–204. Yang X, Jiang B et al. (2019) Pterosaur integumentary structures with complex feather-like branching. Nat. Ecol. Evol. 3, 24–30. Yang Z, Jiang B et al. (2020) Reply to: No protofeathers on pterosaurs. Nat. Ecol. Evol. 4, 1592–1593. Autor dieser News: Reinhard Junker Informationen über den Autor
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